Überlebende der mörderischen Blockade faschistischer Truppen von Leningrad 1941 bis 1944 haben sich in einem Offenen Brief an die Bundesregierung gewandt. Sie fordern Entschädigungen – ohne Ansehen der ethnischen Zugehörigkeit. Bis heute werden nur jüdische Überlebende unterstützt. UZ dokumentiert im Folgenden den Aufruf der Veteranen, der auf diesen Skandal aufmerksam macht:
Sehr geehrte Mitglieder der Regierung der Bundesrepublik Deutschland,
diesen Aufruf richten an Sie diejenigen, die die in ihrer Brutalität einmalige Blockade von Leningrad überlebt haben: Bombenangriffe und Beschüsse, Kälte und Hungersnot, die die faschistischen Truppen und ihre Helfershelfer aus einer ganzen Reihe europäischer Staaten über uns gebracht haben. Es ist die damalige deutsche Regierung, die es zu verschulden hat, dass in den Jahren 1941 bis 1944 unsere Stadt, in der über 100 Nationalitäten lebten, allein unter Zivilisten eine Million Tote zu beklagen hatte, und weitere mindestens 500.000 Menschenleben in drei Evakuierungen gefordert wurden. Die Tatsachen der unmenschlichen Verbrechen der deutsch-faschistischen Eindringlinge sind in unserer Erinnerung sehr lebendig sowie in den Nürnberger Prozessen nachgewiesen und durch zahlreiche Dokumente belegt worden. 2022 stufte das Stadtgericht St. Petersburg die Leningrader Blockade als Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid an den Völkern der Sowjetunion ein.
Heute leben die Blockade-Opfer in vielen Ländern der Welt. Mittlerweile sind wir weniger als Sechzigtausend, alles Menschen verschiedener Nationalitäten, die die Gräuel der belagerten Stadt überlebten und unabhängig von ihrem Wohnort in gemeinsamer und unzerstörbarer Blockade-Bruderschaft verbunden sind.
Wir verurteilen entschieden die zwiespältige Position der Bundesregierung, die über lange Zeit humanitäre Leistungen an jüdische Blockade-Überlebende auszahlt, sich jedoch unter erfundenen Vorwänden kategorisch weigert, diese Leistungen auf alle heute noch lebenden Blockade-Opfer ohne Ansehen ihrer ethnischen Zugehörigkeit auszuweiten. Der grausame Kalkül der Nazis, die ganze Bevölkerung des unbeugsamen Leningrads durch Kälte und Hunger auszumerzen, sah keine Ausnahmen aufgrund von Nationalität vor. Die Einwohner unserer Stadt waren ungeachtet ihrer Nationalität gleich vor dem qualvollen Tod, den ihnen die Hitler-Ungeheuer bereiteten.
Zahlreiche Versuche, das Gewissen der Machthaber in Deutschland zu erreichen, blieben leider erfolglos. Anstatt zu Recht allen Blockade-Überlebenden Entschädigungsleistungen zukommen zu lassen, hat sich die Bundesregierung 2019 als „humanitäre Geste“ auf die Modernisierung eines Krankenhauses für Kriegsveteranen in St. Petersburg beschränkt. Auch diese ist jedoch immer noch nicht realisiert worden.
Wir appellieren an die deutsche Bundesregierung, die einzig richtige Entscheidung nicht hinauszuzögern und die humanitären Auszahlungen auf ausnahmslos alle Blockade-Überlebenden auszuweiten, die es immer weniger gibt.