Der Wirbel, der derzeit um die Berliner Kampagne zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gemacht wird, belebt die wohnungspolitische Debatte. Eine Abkehr von der kapitalfreundlichen Wohnungspolitik der Landesregierung ist damit aber nicht in Sicht.
Bevor Immobilien-AGs wie „Deutsche Wohnen“ (DW) oder „Vonovia“ existierten, zeigte die Berliner Wohnungspolitik aller regierenden Parteien vor allem zwei Merkmale: Sie redeten den Leerstand in Ostberliner Neubau-Großprojekten schlecht und rissen noch bis 2012 massenhaft „DDR-Platten“ ab und sie privatisierten außerdem riesige Wohnungsbestände. Bei der GSW-Privatisierung von 2004 durch den „rot-roten“ Senat ging es um über 60 000 Einheiten, die für damals 410 Millionen Euro plus Übernahme von 1,6 Milliarden Euro Altschulden verscherbelt wurden. Aktuell wird ihr Wert auf knapp 9 Milliarden Euro geschätzt. Aber es gab zahlreiche weitere Privatisierungen im Wohnungswesen, mittlerweile wird auch der verbliebene öffentliche Wohnungsbestand ganz überwiegend profitorientiert als AG oder GmbH betrieben.
Artikel 14 im Grundgesetz, auf den sich die aktuelle Kampagne beruft, sagt: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“ Die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gibt aus drei Gründen zu denken: Klar ist, dass ihr „Erfolg“ eine Entschädigung und somit eine Umverteilung erheblicher Steuermittel von Unten nach Oben zur Folge hätte – ein sattes Geschäft für die Immobilien-AGs und ihre Aktionäre. Zweitens sind Hoffnungen unbegründet, dass die Mieten der Wohnungen in öffentlicher Hand billiger und Mieterhöhungen künftig ausgeschlossen werden. Das zeigt der Blick auf die marktorientierte Praxis der öffentlichen Wohnungsunternehmen. Und drittens fehlt jeder Grund, eine „Enteignung“ nach Artikel 14 durchsetzen zu können, denn ein Wohl der Allgemeinheit nachzuweisen, wie es der Passus verlangt, dürfte schwierig werden.
Denn DW und Co. machen das, was Grundlage des Kapitalismus und somit legal ist: Sie machen mit der Ware Wohnung Profit. Zudem liegen die durchschnittlichen Mietpreise der Berliner DW und Vonovia bei zirka 6,46 Euro pro Quadratmeter. Beim derzeit vom Land Berlin geförderten Wohnungsbau liegt die Einstiegsmiete bei 6,50 Euro – das gilt als „sozial“. Vom DW-Gesamtbestand liegen 58,2 Prozent der Wohnungen unterhalb dieser 6,50 Euro und 42 Prozent unter 6,00 Euro pro Quadratmeter (DW-Geschäftsbericht 2017). Welcher bürgerliche Richter soll da mitspielen? Nur weil die Initiatoren der Kampagne sagen, dass eine „Enteignung“ weit unter Marktwert möglich sei und intern gerade „unterschiedliche Modelle dazu“ diskutiert würden, umgeht man diese Hürde nicht.
War die Kampagne also lediglich ein Impuls für „Rot-Rot-Grün“?
In den Hauptstadtmedien jedenfalls wird „Enteignung“ derzeit rauf und runter diskutiert. CDU, FDP und AfD argumentieren schlüssig, dass durch einen Erfolg der Kampagne keine einzige Wohnung zusätzlich entstehen würde. Sie wollen die Förderung der privaten Immobilien- und Bauwirtschaft, die vom Wohnraummangel profitiert, Rekordgewinne einfährt und ausschließlich im hochpreisigen Segment baut. Die Partei „Die Linke“ unterstützt den Volksentscheid, die Grünen werden vermutlich nachziehen – grotesk, da sie regieren, richtet er sich doch gegen die eigene Regierungspolitik.
Der Regierende Bürgermeister Müller (SPD) will besagten Ex-GSW-Bestand, nun 66 000 Wohnungen, wieder zurückkaufen. Und die DW würde sehr gern zumindest Teile verkaufen, was angesichts der extrem spekulativen Preisentwicklung nicht verwundert. Der Konzern hat jahrelang Miete kassiert, Mieten erhöht, Mieter verdrängt, teurer neu vermietet und Filetstücke verhökert. Nun droht der Bestand zu großen Teilen sanierungsbedürftig zu werden, also weg damit und frisches Geld in die Kassen. Und so verzeichnet die Aktie der DW bereits jetzt einen deutlichen Kurssprung: „Der Verkauf (…) würde zwar den Bestand des Unternehmens deutlich verringern, es aber auch mit einem Schlag entschulden – und mit den vielen Milliarden aus dem Erlös könnte es neue Wohnungen kaufen“, hieß es in „Börse im Ersten“ am 16. Januar. Bei „Enteignung“ aller 115 000 Berliner DW-Wohnungen könnten 15,6 Milliarden Euro in die Kassen des Konzerns fließen, so das „Neue Deutschland“. Zum Vergleich: Der gesamte Landeshaushalt 2019 umfasst 30 Milliarden Euro.
Kommunalen Wohnungsneubau, die fortschrittliche Alternative, gibt es hierzulande bislang nicht; eine entsprechende Tradition existiert allerdings: die Großsiedlungen der 1920er Jahre, mit denen Tausende Kommunalwohnungen entstanden. Oder das in der DDR vor 40 Jahren in Rekordzeit errichtete, knapp 100 000 Wohnungen umfassende Riesen-Neubaugebiet in Marzahn. Österreichs bis heute praktizierte Gemeindebau-Tradition kann ebenso als Vorbild dienen.