„Jede Kilowattstunde hilft“: Täglich schriller werden die Appelle von Wirtschaftsminister Robert Habeck, Erdgas zu sparen, wo immer das möglich ist. Gaskraftwerke abschalten, den industriellen Verbrauch reduzieren und vor allem die Heizungen ab dem kommenden Herbst runterdrehen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Und es stimmt ja: Es könnte in der Tat eng werden mit der Erdgasversorgung in der Bundesrepublik.
Dass dem so ist, dafür trägt vor allem die Bundesregierung Verantwortung – denn sie hat sich entschieden, so rasch wie möglich aus dem Bezug russischer Energieträger auszusteigen, um Moskau finanziell zu ruinieren. Sie hat also Energie zur Waffe gemacht. Gazprom hat zunächst umstandslos weitergeliefert. Erste Schwierigkeiten tauchten auf, als die russische Regierung neue Zahlungsmodalitäten einführte, um zu verhindern, dass sie in Euro und in US-Dollar kassierte Beträge sanktionsbedingt nicht mehr nutzen kann. Die fünf EU-Staaten, die nicht bereit waren, den unmittelbaren Umtausch ihrer Euro-Zahlungen in Rubel zu akzeptieren, erhalten kein russisches Erdgas mehr.
Dann stellte sich die Ukraine quer und legte eine Leitung still, durch die ein Drittel ihres Transits in Richtung EU floss; die Transitgebühren hatte sie trotz des Krieges stets erhalten. In der vergangenen Woche kamen schließlich noch Probleme mit Nord Stream 1 hinzu: Kanada verhinderte unter Verweis auf Sanktionen den Rücktransport einer Turbine, die bei Siemens Energy in Montreal gewartet worden war und die für den Betrieb der Ostseepipeline benötigt wird. Gazprom sah sich genötigt, den Betrieb herunterzufahren und die Lieferungen zu reduzieren.
Es mag auch sein, dass Gazprom die Lieferungen inzwischen etwas mehr reduziert, als es der Ausfall der Turbine erzwingt. Nur: Wer, wie die Bundesregierung, Energie zur Waffe macht, darf sich nicht wundern, wenn der Gegner zurückschlägt. Wieso soll Moskau Deutschland stets loyal versorgen, bis es die letzte Kilowattstunde, die es mit russischem Gas erzeugt hat, anders produzieren kann und seinem langjährigen Lieferanten per Boykott den finanziellen Gnadenstoß gibt? Eins ist doch klar: Auch im Wirtschaftskrieg kämpfen beide Seiten. Wer angreift, ohne Reaktionen des Gegners einzuplanen, ist dumm.