Zu den Ausschreitungen in Frankreich

Endstufe des ­neoliberalen Verfalls

Nahel Merzouk ist zu einem Symbol geworden. Der Polizeimord an dem 17-Jährigen mit Maghreb-Migrationshintergrund hat eine Eruption von Protesten hervorgebracht, die in kürzester Zeit ganz Frankreich erfasst hat. Der Mord an Nahel steht für einen Polizeistaat, der die Benachteiligten, Beleidigten und Ausgegrenzten mit brutaler, zur Not tödlicher Gewalt niederzuhalten gesonnen ist. Wie immer kennt das offizielle Paris nur ein Mittel, die Mobilisierung seiner Bürgerkriegsarmee. Wie schon 2005, wie schon gegen die Gelbwesten, wie schon gegen die Proteste gegen die Rentenkürzungen. Das routinemäßige Niederknüppeln jeden Protests hat Folgen. Auch die Protestierenden greifen immer stärker zur Gewalt. Vor allem da, wo kaum oder keine politisch erfahrene Organisationsstrukturen ein angemessenes, zielorientiertes Handeln durchzusetzen in der Lage sind.

Die Jahrzehnte der neoliberalen Verarmungspolitik und des finanzkapitalistischen Globalisierungsausverkaufs haben tiefe Spuren in den Gesellschaften des sich so gern als globales Vorbild feiernden „Wertewestens“ hinterlassen. Die Corona-Maßnahmen und erst recht der NATO-Krieg gegen Russland haben die Repression, die Zensur, die Ausgrenzung jeder abweichenden Meinung auf ein seit 1945 nicht gekanntes Maß gehoben. Die enormen Milliardenbeträge, die in den verlorenen Krieg und die kontraproduktive Sanktionspolitik investiert wurden und weiterhin investiert werden, fehlen in den Staatskassen und Sozialsystemen. Der neoliberale Staat, auch der französische, ist seit Jahrzehnten nicht mehr in der Lage, Probleme effizient zu lösen, für Wirtschaftswachstum, Wohlstand und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen.

Das Frankreich des „Savoir-vivre“ existiert nur noch für die reiche Oberschicht. Wie in fast allen Staaten des „Wertewestens“ ist die etablierte „politische Klasse“, einschließlich der reformistischen Parteien, weder willens noch in der Lage, dem Verfall und der Desintegration abzuhelfen. Das abgewrackte Macron-Regime hat keine Mehrheit, aber trotzdem lässt man es gewähren. Es ist auch in Frankreich zunehmend egal, welche der etablierten Parteien man wählt. Die asoziale Politik bleibt doch die gleiche. Wundert es da noch irgendjemand, dass Frau Le Pen im Aufwind ist und große Chancen hat, die nächste Präsidentin Frankreichs zu werden?

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"Endstufe des ­neoliberalen Verfalls", UZ vom 7. Juli 2023



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