Ende der Strafbefreiung für Nazis?

Ein Kommentar von Ulrich Sander

Wird nach dem Lüneburger Auschwitzprozess nun endlich Schluss sein mit einer Nachkriegsjustiz der selektiven Aburteilung und damit vielfachen Strafbefreiung? Wird endlich dem Initiator des Frankfurter Auschwitz Prozesses, Fritz Bauer, gefolgt, der vergeblich verlangt hatte, die Mitwirkenden an der Mordmaschine zu bestrafen und nicht nur jene, denen man eine ganz bestimmte Tat nachweisen konnte? Und wird endlich die Unverjährbarkeit von Mord und Beihilfe zum Mord tatsächlich gültig – wie sie das Gesetz befiehlt – oder werden weiter Altersgrenzen gelten?

ende der strafbefreiung fuer nazis - Ende der Strafbefreiung für Nazis? - Antifaschismus, Auschwitzprozess, Kommentar - Politik

Es gibt viele solcher Fragen nach einem Prozeß wie dem in Lüneburg. Denn erst kürzlich war vom Oberlandesgericht Köln ein Freispruch eines Mörders erfolgt, der als SS-Mann an dem Massenmord an der Bevölkerung von Oradour-sur-Glane teilnahm. Opferverbände haben jetzt erneut betont: Jeder, der in der Mordmaschinerie seinen Platz einnahm, sollte wegen Mord und Beihilfe dazu verurteilt werden. Das erfordert nicht nur die Bestrafung von SS-Leuten aus Konzentrationslagern und ihren Helfern, sondern auch der Mitwirkenden an der Mordmaschinerie der Wehrmacht, wie sie in sowjetischen, griechischen und italienischen Städten und Dörfern unbeschreiblich grausam herrschte.

Mit den Verurteilungen der Wachmänner von Sobibor und Auschwitz, Demjanjuk und Gröning, ist es nicht getan. Wenn Kriegsverbrecher nach 1945 wieder Soldaten wurden, waren sie von Strafe befreit. Die Gebirgsjäger aus Wehrmacht und Bundeswehr waren faktisch vor Strafe geschützt, obwohl sie an Massakern teilgenommen haben. Der in Frankreich zum Tode verurteilte General Karl-Theodor Molinari stieg auch in der Bundeswehr auf, mußte erst zurücktreten, weil er wegen eines Haftbefehls nicht mehr ins Ausland reisen konnte. Er wurde dann CDU-Politiker und Gründer des Bundeswehrverbandes, dessen Bildungswerk noch immer den Namen „Karl-Theodor Molinari“ trägt.

Zudem muß die Praxis der deutschen Justiz, Verbrechen alter und neuer Nazis nicht mehr zu verfolgen, wenn der Haupttäter verstorben ist und überhaupt stets von Einzeltätern auszugehen und mörderische Netzwerke etc. (wie im Falle NSU) auszublenden, mit dem Urteil im Lüneburger Auschwitzprozess endgültig in Frage gestellt werden.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Ende der Strafbefreiung für Nazis?", UZ vom 24. Juli 2015



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit