Clare Daly ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments für den Wahlkreis Dublin. Zuvor war sie von 2011 bis 2019 Mitglied des irischen Parlaments für den Wahlkreis Dublin-Fingal. Mit ihren Auftritten gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen den Völkermord in Gaza ist sie der etablierten Politik ein Dorn im Auge. UZ sprach mit ihr über die Heuchelei der EU, die Neutralität Irlands und die Aufgaben der Friedensbewegung. Herzlichen Dank an Jenny Farrell für die Unterstützung und die Übersetzung des Interviews.
UZ: Deine erste Legislaturperiode im EU-Parlament geht zu Ende. Dir werden viele Skandale nachgesagt.Wie ist es, im EU-Parlament eine Friedenskämpferin zu sein? Vor allem sehr einsam, oder?
Clare Daly: Ich würde es nicht als Skandal bezeichnen, aber es ist schon definitiv so, dass ich zum ersten Mal in meinem politischen Leben einer anhaltenden Verleumdungskampagne ausgesetzt war. Mir wurde unterstellt, eine Putin-Marionette, ein Kreml-Agent oder ein russischer Spion zu sein, nur weil ich genau die gleiche Antikriegs-, Antiimperialismus- und Friedensposition vertrete, für die ich schon mein ganzes politisches Leben lang kämpfe. Es war auch frappierend, dass sich das gesamte Medien- und Politikestablishment in Irland hinter diese Angriffe gestellt hat, obwohl ich während meines politischen Lebens für meine antimilitaristischen Kampagnen weithin bekannt war und dies sogar eine der Schlüsselbotschaften war, die ich während meiner Wahlkampagne für das EU-Parlament vertrat.
Ich hatte das Glück, dass sich mein Kollege Mick Wallace gemeinsam mit mir für diese Anliegen eingesetzt hat. Das hat die Sache natürlich etwas vereinfacht. Vor allem war es aber auch gut, dass die Menschen in Europa voll und ganz hinter uns stehen. Ich kann nirgendwo in Europa hingehen, ohne dass Menschen auf uns zukommen und uns für unsere Arbeit für den Frieden, für eine vernünftige Lösung und die friedliche Beilegung von Streitigkeiten danken. Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass die meisten Menschen so denken wie ich und es ist für mich sehr erfüllend gewesen, im Parlament eine Plattform zu haben, auf der ich mich für diese Ideen für Menschen einsetzen kann, die sich sonst oft stimmlos fühlen.
UZ: EU-Politiker bejammern das Leid der Menschen in Gaza, aber was tut die EU konkret für ein Ende des Völkermords?
Clare Daly: Die Heuchelei der Europäischen Union ist empörend. Einerseits spricht sie über ihre Besorgnis angesichts der humanitären Krise, während andererseits die Mitgliedstaaten ihre Waffenlieferungen an Israel intensivieren. Sie sagen nichts zu Joe Biden, der sich ebenfalls „beunruhigt“ über die humanitäre Krise zeigt und einen provisorischen Pier entwickeln lässt, um Hilfe zu bringen, während er gleichzeitig die Tatsache ignoriert, dass Hunderte von Lastwagen an den Landübergängen mit vollen Vorräten bereitstehen. Es ist allein der zionistische Apartheidstaat Israel, der sie am Übergang hindert – derselbe Staat, für den die USA weitere 17,6 Milliarden US-Dollar an Militärhilfe bereitstellen. Die EU spricht im Grunde genommen mit gespaltener Zunge. Sie unternimmt nichts, um den Völkermord zu beenden. Sie hat keinerlei ernsthafte Sanktionen gegen Israel verhängt, das weiterhin von seiner bevorzugten Stellung durch das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Israel profitiert. Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass sie sich an diesem Völkermord mit-schuldig machen.
UZ: Du äußerst dich im EU-Parlament offen und schonungslos. Werden deine Beiträge und Anträge ernst genommen? Oder wirst du vom Politikestablishment der EU ignoriert?
Clare Daly: Die Menschen in Europa haben sicherlich nicht ignoriert, was wir gesagt haben. Die Plattform im Parlament hat sich als nützlich erwiesen und obwohl die Machthaber offiziell nicht anerkennen, was wir sagen, haben wir ihnen doch die Probleme vor Augen geführt. Als ich beispielsweise Biden auf die Heuchelei hinwies, die darin besteht, dass er behauptet, Ire zu sein, und dennoch einen Völkermord unterstützt, setzten sich die Mainstreammedien in den USA mit seinem Büro in Verbindung, um ihn um eine Stellungnahme zu bitten. Sie hören also, auch wenn sie vielleicht nicht zuhören. Es ist peinlich für sie, wenn sie mit der Nase darauf gestoßen werden.
UZ: Hast du in der Friedensfrage wenigstens Rückhalt aus deiner Fraktion?
Clare Daly: Die Linksfraktion im Parlament hat mich furchtbar enttäuscht. Es ist absolut schockierend, dass einige Mitglieder der Fraktion, insbesondere aus Skandinavien, sich sogar für die Lieferung von Waffen an die Ukraine eingesetzt haben. Das ist ziemlich unfassbar. Es ist also eine gemischte Sache. In der Frage des Gazastreifens war es im Großen und Ganzen besser. Aber ich denke, dass die Fraktion im Allgemeinen viel von ihrer prinzipiellen Position des Antimilitarismus und des Plädoyers für den Frieden eingebüßt hat. Sie hat sich in der Propaganda zum Krieg in der Ukraine ein wenig verirrt, und diejenigen, die die Linke in Deutschland vertreten, waren insbesondere in Bezug auf Israels völkermörderisches Verhalten sehr schwach.
UZ: Du stellst dich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen Sanktionen gegen Russland. Was sind deiner Meinung nach notwendige Schritte für eine Beendigung des Kriegs?
Clare Daly: Die Bewaffnung der Ukraine hat nur zur Verlängerung des Konflikts beigetragen und den Verlust von Menschenleben in der ukrainischen und russischen Arbeiterklasse erhöht. Die Sanktionen haben die Lebenshaltungskosten der europäischen Bürger um 17 Prozent erhöht, während Russland inzwischen zur größten Volkswirtschaft in Europa aufgestiegen ist. Das war ein absoluter Selbstmord für das europäische Establishment, aber eine sehr gute Nachricht für die USA, die davon profitiert haben, indem sie uns exorbitante Preise für Gas und Energie aufgebürdet haben. Die Schritte zur Beendigung des Krieges bestehen nach wie vor darin, dass sich die Gemeinschaft für einen sofortigen Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung einsetzt, die zur Beruhigung aller Seiten nur dann zustande kommen würde und könnte, wenn die Ukraine neutral und nicht in die NATO oder andere Militärbündnisse eingebunden wäre – im Gegenzug für eine Sicherheitsgarantie, die Russland und alle wichtigen westlichen Länder einschließen würde. Nur so wäre die Ukraine bei der Unterzeichnung eines solchen Abkommens auf sicherer Seite. Sie bräuchte eine internationale Garantie, die die USA und die westlichen Länder ihr im April 2022 nicht geben wollten, als sie den Entwurf eines Abkommens mit den Russen hatten. Andere Bereiche wie die Zukunft des Donbass und der Krim sollten dann für eine breitere politische Lösung in der Zukunft auf der Grundlage der Standpunkte der Menschen, die in diesen Gebieten leben, herangezogen werden.
UZ: Irland ist eigentlich neutral, die Militarisierung wird aber vorangetrieben. Wie steht die Bevölkerung dazu?
Clare Daly: Das irische Volk hat sich sehr lautstark für die Verteidigung unserer Neutralität eingesetzt. Die Regierung hat sich in diesem Zusammenhang stets als doppelzüngig erwiesen. Sie hat unsere Autorität ständig untergraben und zugelassen, dass Irland als vorgeschobener Stützpunkt für das US-Militär auf dem Weg zu Konflikten im Nahen Osten genutzt wird, was in krassem Widerspruch zu einer neutralen Position steht, aber sie fühlte sich zumindest verpflichtet, die Fassade aufrechtzuerhalten. Sie hatten gehofft, der Krieg in der Ukraine gäbe ihnen die Möglichkeit, diesen Standpunkt aufzugeben, aber die Menschen in Irland waren sehr entschieden der Meinung, dass das nicht geschehen darf.
Unser Präsident hat eine gute Rolle dabei gespielt zu verdeutlichen, dass wir als ehemals unterdrücktes und besetztes Land eine einzigartige Rolle auf der Weltbühne haben, um für Diplomatie und die friedliche Lösung von Konflikten zu plädieren. Es ist der einzig vernünftige Standpunkt für ein kleines Land, sich nicht in irgendeinem Spiel der Großmächte ausnutzen zu lassen, und ich denke, die Menschen in Irland begreifen das. Nichtsdestotrotz hat die Regierung unsere Neutralität immer weiter ausgehöhlt, indem sie uns mehr und mehr in gemeinsame europäische Verteidigungsprojekte verwickelt hat. Insofern ist das Gerede um eine NATO-Mitgliedschaft, die wir ablehnen, also ein Ablenkungsmanöver, denn die NATO und der EU-Militarismus, in den wir immer stärker verwickelt werden, sind heutzutage ein und dasselbe.
UZ: Wie ist es momentan um die Friedensbewegung in Irland bestellt?
Clare Daly: Wahrscheinlich ist sie nicht so stark, wie sie sein sollte. Die Linke in Irland hat sich nicht laut genug zu diesen Fragen geäußert. Der Krieg in Syrien und der Krieg in der Ukraine haben die Linke in gewisser Weise entgleisen lassen. Sie waren nicht so antimilitaristisch, wie sie es hätten sein sollen, und ließen sich von dem enormen Hurrapatriotismus und der Propaganda der NATO und der USA mitreißen. Dennoch gibt es eine Reihe von Organisationen und Personen, die über große Erfahrung auf diesem Gebiet verfügen und entschlossen und unablässig die Fahne des Friedens hochgehalten haben. Diese Erfahrung ist nicht vergeudet und angesichts des Schreckens über den Völkermord in Gaza schließen sich immer mehr Menschen an oder verstehen zumindest die Notwendigkeit des Friedens und wie sehr der europäische Militarismus an der Unterstützung des israelischen Völkermords durch die EU beteiligt ist.
UZ: Es gibt traditionell in Irland eine starke Solidarität mit Palästina. Was gibt es momentan für Aktionen und wie wird in Irland der menschenverachtende Kurs der EU gesehen?
Clare Daly: Die Maßnahmen der EU, insbesondere in der Person von Ursula von der Leyen, die den israelischen Völkermord unterstützt und bejubelt hat, waren für viele Menschen in Irland zutiefst schockierend. Bisher hatten sie geglaubt, dass die EU für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Werte und Menschenrechte stehe, aber diese Illusion ist nun vollends zerstört. Die Menschen erkennen sie nun als das, was sie sind: totale Heuchler. Das wird nachhaltige Auswirkungen darauf haben, wie die EU in Irland wahrgenommen wird.
UZ: Eine Frage zum Schluss: Was sind aus deiner Sicht heute die dringendsten Aufgaben der Friedensbewegung?
Clare Daly: Ich glaube, es ist unbedingt notwendig, die Informationen zu nutzen, die der Öffentlichkeit durch die Europäische Union vorenthalten werden, und zwar über die riesigen Summen von Milliarden und Abermilliarden an europäischen Steuergeldern, die in die Taschen des militärisch-industriellen Komplexes fließen. Es muss deutlich dargelegt werden, wie all dies getan wird, um die Aktionäre zu bereichern und die NATO zu stärken, und wie dies absolut gegen die Interessen der einfachen Menschen in Europa und der Welt gerichtet ist. Es ist auch unerlässlich, auf die enorme Umweltbelastung durch das Militär hinzuweisen. Ressourcen für Umweltprojekte werden in den Militarismus umgeleitet und natürlich wird der ökologische Fußabdruck des Militärs nirgends berechnet. Dies ist ein wichtiger Bereich, der im Interesse vor allem junger Menschen, die am meisten von der Klimakrise betroffen sind, hervorgehoben werden muss.
USA nutzen Irland als militärische Drehscheibe
Die unabhängigen irischen Parlamentarier Clare Daly und Mick Wallace sind dem Establishment schon lange ein Dorn im Auge. Als Barack Obama 2013 an einem G8-Gipfel im Norden Irlands teilnahm, erklärte Daly dem Parlament, er sei der „Heuchler des Jahrhunderts“, da er nordirischen Teenagern Frieden predige, während er die US-Drohnenangriffe um 200 Prozent erhöhe. In dieser Rede verurteilte sie auch die Nutzung des Flughafens Shannon für den Transport von US-Truppen und Waffen in Kriegsgebiete.
Irlands Luftfahrtgesetz besagt, dass ausländische Militärflugzeuge nur dann irischen Luftraum nutzen dürfen, wenn sie unbewaffnet sind und nicht Teil einer militärischen Operation oder Übung. Das Gesetz verbietet zudem den Transport von Kriegsmunition durch zivile Flugzeuge.
Am 22. Juli 2014 wurden Daly und Wallace bei dem Versuch verhaftet, zwei US-Militärflugzeuge zu inspizieren – sie hatten einen Sicherheitszaun beschädigt, um sich Zugang zum betreffenden Bereich des Flughafens zu verschaffen. Wallace erklärte, dass beide Abgeordnete im Parlament wiederholt Bedenken geäußert hatten, dass US-Militärflugzeuge Truppen und Waffen durch den Flughafen in Shannon beförderten. Statt eine Inspektion durch die Behörden anzuordnen, wurden Beweise von den Parlamentariern gefordert. Die Regierung indes vertraute den Zusicherungen seitens der USA. Clare Daly beschuldigte die Regierung, blind der amerikanischen Agenda zu folgen, wies auf die erheblichen Aufwendungen für diese Flugzeuge hin und sagte: „Es kostet enorme Summen, diese Flugzeuge zu transportieren, und sie befördern keine Urlauber.“ Der Friedensaktivist Ed Horgan war Zeuge der Festnahmen und bestätigte, dass die Abgeordneten von Flughafenpolizisten in der Nähe der bewachten Flugzeuge abgefangen wurden. Bei den fraglichen Flugzeugen handelte es sich um ein US-Herkules-Transportflugzeug und eine für militärische Zwecke umgebaute Boeing 737.
Wallace und Daly setzen sich weiterhin dafür ein, dass US-Militärflugzeuge, die am Shannon Airport landen und betankt werden, unabhängig durchsucht werden, um sicherzustellen, dass die Neutralität Irlands nicht gefährdet wird.
Niall Farrell