Lübcke-Mord: Sechster Prozesstag

Emotionalisierung und Entpflichtung

Der sechste Verhandlungstag im Mordprozess Walter Lübcke enthielt eine überraschende Wendung. Der als „Pegida-Anwalt“ bekannte Frank Hannig einem der beiden Verteidiger Stefan Ernsts, stellte Beweisermittlungsanträge, die sich unter anderem mit dem Unternehmen der Lübckes und mit einem Einbruch in Lübckes Arbeitsort, dem Kasseler Regierungspräsidium befassen. Ernst verwahrte sich durch seinen zweiten Anwalt Kaplan gegen diese Anträge. Kaplan sagte, die Familie Lübcke würde dadurch „mit Dreck beworfen“. Auf Nachfrage des Richters bestätigte Ernst, dass er sich durch den Anwalt Hanning nicht vertreten fühle. Daraufhin entpflichtete das Gericht Hannig. In einem YouTube-Video präsentierte sich dieser später als „unbequemer“ Rechtsanwalt, der der Gerichtspraxis widerstanden hätte. Das Gericht versuche „eine Decke“ über bestimmte Fragen zu legen. Sein Anwaltskollege sei ihm „in den Rücken gefallen“. Im Video stellte erden Gedanken an, dass Ernst nicht auf eigene Faust gehandelt hätte, sondern er die ausführende Hand gewesen sei, hinter der ein „Kopf“ stehe. Das passt nicht zu den Anträgen, die sich mit anderen Fragen befassten. Mit Hannig fällt bereits der zweite Anwalt Stefan Ernsts aus.

Die Vernehmung des des Sohns von Walter Lübcke, Jan-Hendrik brachte Informationen zutage, wie das Mordopfer gefunden wurde. Jan-Hendrick Lübcke kam von einer im Dorf stattfindenden Feierlichkeit nach Hause und fand seinen Vater auf der Veranda. Zuerst dachte der Sohn, sein Vater sei eingeschlafen. Als er kein Lebenszeichen erkennen konnte, vermutete er an einen Schlaganfall. Die Reanimierungsversuche durch ihn, die herbeigerufene Familie und den Notarzt blieben ohne Erfolg. Dabei wollen alle Beteiligten die Schusswunde am Kopf nicht bemerkt haben. Das erscheint möglich, wenn – wie das erste Geständnis von Stefan Ernst nahelegt – der Schuss gezielt und aus kurzer Entfernung abgegeben wurde und keine zu große Wunde entstandt. Wie eine so kleine Wunde entstehen soll, wenn der Schuss – wie im zweiten Geständnis behauptet – im Laufe einer handgreiflichen Auseinandersetzung abgegeben sein soll, konnte nicht geklärt werden.

In der Zwischenzeit veröffentlichte „Strg_V“, ein YouTube-Format von ARD und ZDF, Teile der Vernehmungsvideos. In einem „Spiegel“-Interview kritiserte der Anwalt Mustafa Kaplan die Veröffentlichung. Es verstoße gegen das Resozialisierungsgebot der Rechtsprechung. Die Videoschnipsel zeigen den fast abgebrüht wirkenden Stefan Ernst während der ersten Aussage. Das könne zur weiteren Emotionalisierung der öffentlichen Auseinandersetzung beitragen, wenn neben dem charmanten, netten, mit “christlichen Werten” argumentierenden Sohn Lübckes der abgebrühten Nazi-Mörder gezeigt wird. Auch der entpflichtete Anwalt Hannig stellt sich als „demokratischer Beobachter“ gegen diese Emotionalisierung.

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