Kaouther Ben Hanias Filmgroteske endlich im Kino

Emanzipationskino aus Tunesien

Große Kunst, große Liebe, große Politik – und großes Tempo: Mit wenigen kurzen Szenen umreißt die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania die Eckpunkte ihres neuen Films „Der Mann, der seine Haut verkaufte“, zu dem sie ein realer Coup auf dem internationalen Kunstmarkt inspirierte: 2008 verkaufte der belgische Konzeptkünstler Wim Delvoye sein Schweizer Modell Tim Steiner, genauer, dessen von ihm tätowierte Rückenhaut, an einen reichen Kunstsammler für 150.000 Euro – zu übergeben, sobald Steiner als lebenslanges Kunstmarkt-Ausstellungsstück sein Leben ausgehaucht hat. Ein Spekulationsgeschäft, das im Börsenjargon „Futures“ hieße, obwohl es für Delvoyes „Partner“ Tim nur ein Gnadenbrot bietet.

Für den jungen Syrer Sam Ali, der in der Filmversion nun Tims Part übernimmt, bietet sich so die letzte Chance, doch noch sein Glück an der Seite seiner Freundin Abeer zu erreichen: Die hatte ihm endlich ihre Liebe erklärt, der überglückliche Sam spontan eine „Hochzeit“ in der vollen Bahn ausgerufen, doch ein Satz darin hatte der Obrigkeit missfallen und Sam kurzfristig in den Knast gebracht. Schlimmer noch: Adeer hat sich von ihren reichen Eltern in eine Heirat mit dem langweiligen Diplomaten Riad drängen lassen, dem sie nun nach Brüssel folgen muss.

Dem verliebten Sam – so will es das stellenweise etwas holprige Drehbuch – gelingt die Flucht nach Beirut, und weil er sich nicht mit den Krümeln begnügen will, die vom Tisch der Reichen fallen, schleicht er sich dort in die Vernissage des belgischen Starkünstlers Jeffrey. In Schwarz und diabolisch geschminkt tritt dieser als Mephisto auf und bietet Sam einen Vertrag an, den der nicht ablehnen kann: Ein auf seinen nackten Rücken tätowiertes Visum, das er fortan live in Museen der Schengen-Staaten ausstellen muss, bringt ihn in Luxushotels und zugleich Abeer näher, und dafür trägt der rebellische Sam gerne seine Haut zu Markte.

Somit ist Ben Hanias Film am Ziel ihrer bitteren Ironie – und die verteilt sie großzügig auf Feind wie Freund, vor allem auf die Strukturen des weltweiten Kunstmarkts mit seinen Spekulationspreisen und elitären Auktionen, auf dem Sam nun als Handelsware herumgereicht wird. „Haben Sie Probleme?“ fragt der servile Diplomat Riad, den Abeer um Hilfe für Sam bittet, obwohl in dessen Gesicht die Folterspuren aus dem Knast nicht zu übersehen sind. Für „so einen“ mag sich auch Abeers Familie nicht einsetzen, aber als Riad im Streit versehentlich ein 11-Millionen-Kunstobjekt zerstört, soll Sam für ihn um Gnade bitten.

Auf den edlen Buffets der Kunstmafia würden die vielen Hähnchenküken nur stören, die Sam in Beirut im Nebenjob keulen musste, und von den vielen Fanporträts der Fotoshoots darf Sam keines seiner Mutter schicken. Vorgänge im Museumsbetrieb werden durch rituelle Musik zu Götzendiensten. Ein plötzlich auf Sams Rücken auftretender Pickel stürzt die Kunstwelt fast ins Chaos und als Sam schließlich für fünf Millionen versteigert werden soll, rettet er sich nur per Urschrei in eine Großpanik – und wieder in den Knast. Und das Drehbuch setzt noch einen drauf: Von Abeer erneut befreit, kehrt Sam in seine Heimatstadt Raka zurück, wird von einem IS-Kommando erschossen und handelt von Wolke Sieben mit Jeff die weitere Abwicklung ihres Teufelsvertrages aus.

Wie gesagt: Bei politischen Allegorien dieser Art gerät die Handlungslogik oft arg ins Knirschen, und so spricht aus Ben Hanias bitterer Abrechnung mit der restlichen Welt wohl auch eine Portion Frust, den Filmemacher aus dem frankophonen Afrika im Laufe ihrer Karriere empfinden müssen. Doch wer seine Attacken so allseitig und klug führt und dabei das feine Florett der Intelligenz wirkungsvoll zum Vergnügen des Zuschauers einzusetzen weiß, verdient Achtung und Erfolg.


Der Mann der seine Haut verkaufte
Regie: Kaouther Ben Hania
Unter anderem mit: Yahya Mahayni, Koen De Bouw, Husam Chadat und Monica Bellucci
Im Kino

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"Emanzipationskino aus Tunesien", UZ vom 25. Februar 2022



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