Zahl der Wohnungslosen verdoppelt – Regierung zahlt Milliarden für Rüstung und Krieg

Elend an der Heimatfront

Wer in den letzten Monaten an einem x-beliebigen Bahnhof einer größeren deutschen Stadt die Augen vor dem sozialen Elend nicht verschlossen hat, weiß von dem Problem. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) hat diese Beobachtungen jetzt mit Zahlen unterlegt: Etwa 50.000 Menschen leben in Deutschland auf der Straße. Das entspricht der Einwohnerzahl Heidenheims in Baden-Württemberg. Eine ganze Stadt schläft unter Brücken, in Hauseingängen oder Zelten.

Aber nur ungefähr jeder zehnte Mensch ohne feste Wohnung lebt auf der Straße. Viele von ihnen sind in Unterkünften untergebracht oder schlafen bei Freunden und Bekannten. Laut BAG W waren 2022 über 600.000 Menschen obdachlos, fast die Einwohnerzahl Leipzigs. Ein Viertel davon waren Kinder. Der Großteil obdachloser Familien wohnt in Notunterkünften. Notunterkunft heißt: leben auf wenigen Quadratmetern, mit Gemeinschaftsküche und gemeinsam zu nutzenden sanitären Anlagen. Schon vor Jahren erklärte mir der Leiter des Jugendamts in Stuttgart-Zuffenhausen, einem Stadtteil mit vielen Notunterkünften, dass das Jugendamt dort die Augen zudrücke. Dieses Wohnumfeld erfülle viele Kriterien einer Kindeswohlgefährdung, aber wo sollen die Menschen denn hin?

Skandalöse Zustände, die schon damals niemand auf die Titelseiten schrieb. Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG W, stellt fest, „Inflation, gestiegene Kosten und steigende Mieten belasten einkommensschwache Haushalte in Deutschland. Dies führt zu (Energie-)Armut, Mietschulden und Wohnungsverlust. Besonders gefährdete Gruppen sind einkommensarme Ein-Personen-Haushalte, Alleinerziehende und kinderreiche Paare.“ Im Vergleich zu 2021 hat sich die Obdachlosigkeit in Deutschland mehr als verdoppelt. Markus Seidel, Gründer der Stiftung „Off Road Kids“, kümmert sich um Kinder und Jugendliche auf der Straße. Er geht von 38.000 Kindern und Jugendlichen in verdeckter oder offener Obdachlosigkeit aus – Vergleichbar mit der Einwohnerzahl des niedersächsischen Papenburg. Seidel schlug schon im September Alarm: „Es muss jetzt etwas geschehen, sonst gibt es Aufruhr auf der Straße.“

Von Ampel-Regierung oder Opposition war zu diesem Thema nichts zu hören. Wer damit beschäftigt ist, Deutschland „kriegstüchtig“ zu machen und dafür zu sorgen, dass der Völkermord Israels in Gaza schöngeredet wird, hat für solche Kleinigkeiten keine Zeit. Geld für Soziales war sowieso immer nur in homöopathischen Dosen und nach langen Kämpfen zu bekommen. Das Geld für die Kosmetik zur Verdeckung des sozialen Elends fließt inzwischen direkt in die Aufrüstung. Laut „Spiegel Online“ vom Dienstag macht das Finanzministerium zusätzliche sechs Milliarden Euro für die weitere Bewaffnung der Ukraine locker – am gesamten Haushalt vorbei, in einem Sondertopf, der keinem Ressort zugeordnet wird. Laut „Spiegel Online“ „könnte die Summe aus der nicht ausgeschöpften sogenannten Flüchtlingsrücklage und dem konjunkturbedingt größeren Spielraum für Neuverschuldung abgezwackt werden“.

Und die Milliarden für die Ukraine sind Peanuts im Vergleich zur Erhöhung des Rüstungshaushalts und der geforderten Neuauflage der „Sonderschulden“ für die Bundeswehr. Niemand in der Ampel lässt einen Zweifel daran, dass dieser Kurs unbeirrt fortgesetzt wird.

Wo der Investitionsbedarf in diesem Land besteht macht Rosenke deutlich: „Mit 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr – wie von der Ampel-Regierung versprochen – kann dem Mangel an bezahlbaren Wohnungen nicht ausreichend entgegengesteuert werden. Zusätzlich zu den Sozialwohnungen werden weitere 100.000 bezahlbare Wohnungen benötigt. Entstanden sind in den letzten Jahren jeweils nur circa 25.000 neue sozialgebundene Wohnungen, die nicht einmal das Abschmelzen des Sozialwohnungsbestandes durch Auslaufen der Bindungen kompensieren können.“

Diejenigen, die sich um die Abmilderung des Elends bemühen, wie Rosenke und Seidel, müssen erkennen, dass die Ampel-Regierung den sozialen Kompromiss unausgesprochen gekündigt hat. Noch steht ihnen die Angst vor dem „Aufruhr“ im Weg.

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"Elend an der Heimatfront", UZ vom 17. November 2023



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