Kutlu Yurtseven über den Terror in Hanau

Ekel, Wut und Tränen

Mittwochnacht kam ich wieder nach Hause, war mit Esther und Joram drei Tage in Lissabon unterwegs gewesen. Ich öffnete die Tür und herzte meine Familie. Meine Tochter hatte es geschafft, nicht einzuschlafen, und umarmte mich noch an der Tür. Mein Sohn lag schon im Bett, hatte aber auf mein Diktiergerät eine Nachricht gesprochen und teilte mir mit, wie sehr er mich vermisst hat. Wir legten uns schlafen. Am nächsten Tag begrüßte mich dann wieder dieser Teil von Deutschland, der mich anekelt, der mich wütend macht und der mir die Tränen in die Augen schießen lässt.

Ich erfuhr durch einen Freund von den rassistischen Morden in Hanau und verfiel in Schockstarre. Gökhan Gültekin, Ferhat Ünvar, Mercedes Kier­pacz, Hamza Kurtovic, Said Nesar El Hashemi, Sedat Gürbüz, Kalojan Welkow, Vili Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Frau R. werden nie wieder durch die Türe ihrer Häuser treten können, sie können nie wieder von ihren Familien begrüßt und geherzt werden – aufgrund einer kranken, rassistischen und unmenschlichen Ideologie!

Aber unmenschlich waren zunächst auch wieder einmal die Schlagzeilen, es wurde wieder von „Shisha-Morden“ und Milieukriminalität schwadroniert, von „Fremdenfeindlichkeit“ und einem „verwirrten Einzeltäter“. Es ekelt mich an! Habt ihr denn gar nichts aus dem NSU-Komplex, von Halle, von Hanau, von den täglichen rassistischen Angriffen gelernt? Es sind keine Einzeltaten und Einzeltäterinnen oder Einzeltäter! Nazis sind vernetzt und morden. Hanau ist nur ein weiterer rassistischer Angriff eines faschistischen und rassistischen Netzwerkes!

Es ekelt mich an, dass Behörden wieder von einer Ermittlungspanne oder einem Versäumnis reden, da sie den von dem Täter schon vor Monaten an sie gerichteten Brief „einfach unterschätzt“ hätten. Wohlgemerkt: Er kündigt da schon seine Taten an! Ein Mann mit Waffenschein kündigt seine Taten an und das wird „einfach unterschätzt“!

Es ekelt mich an, dass wieder von „Fremdenfeindlichkeit“ gefaselt wird. Noch einmal: Gökhan Gültekin, Ferhat Ünvar, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Said Nesar El Hashemi, Sedat Gürbüz, Kalojan Welkow, Vili Viorel Paun, Fatih Saraçoglu und Frau R. sind nicht FREMD. Wir sind nicht FREMD! Die Opfer gehören hier hin, sind Mütter, Väter, Schwestern und Brüder, Nachbarinnen, Freundinnen und Freunde, Arbeitskollegen, Schulkameradinnen. Ein Teil unserer Gesellschaft. Rassistische Mörder und geistige Brandstifter wie Höcke, Gauland, von Storch und Weidel sind fremd. Fremd der Menschlichkeit und der Empathie.

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"Ekel, Wut und Tränen", UZ vom 28. Februar 2020



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