An
Präsident Roosevelt
2. August 1939
Sir:
Eine neue Arbeit von E. Fermi und L. Szilard, die mir als Manuskript zugeschickt wurde, erweckt in mir die Hoffnung, dass das Element Uran in naher Zukunft zu einer bedeutenden Energiequelle werden könnte. Bestimmte Aspekte der entstandenen Lage scheinen mir Wachsamkeit und nötigenfalls rasches Handeln der Regierung zu erfordern. Ich halte es daher für meine Pflicht, Ihre Aufmerksamkeit auf folgende Fakten und Empfehlungen zu lenken:
Im Zeitraum der vergangenen vier Monate hat die Arbeit Joliots in Frankreich ebenso wie die Fermis und Szilards in Amerika es wahrscheinlich möglich gemacht, eine nukleare Kettenreaktion in einer großen Menge Uran hervorzurufen, die gewaltige Energien und große Mengen neuer radiumähnlicher Elemente erzeugen würde. Es scheint nun nahezu gewiss, dass dies in nächster Zukunft erreicht werden kann.
Dieses neue Phänomen kann auch zur Entwicklung von Bomben führen und es ist denkbar – wenn auch durchaus nicht sicher – dass höchst wirksame Bomben neuer Art auf dieser Grundlage konstruiert werden können. Eine einzige Bombe dieses Typs, per Schiff transportiert und in einem Hafen zur Explosion gebracht, könnte leicht den ganzen Hafen sowie Teile des umliegenden Gebiets zerstören. Allerdings könnten sich solche Bomben als zu schwer für den Lufttransport erweisen.
(…)
Angesichts dieser Situation würden Sie es vielleicht für wünschenswert erachten, einen ständigen Kontakt zwischen Regierungsstellen und der Gruppe von Physikern einzurichten, die in Amerika an der Kettenreaktion arbeiten. Ein denkbarer Weg zu diesem Ziel wäre die Übertragung dieser Aufgabe an eine Person Ihres Vertrauens, die nicht unbedingt in offizieller Eigenschaft auftreten müsste. Seine Aufgabe sollte folgende Punkte umfassen:
(…)
b) Um die experimentellen Arbeiten zu beschleunigen, die gegenwärtig im Rahmender Universitätdbudgets durchgeführt werden, sollte er zur Kapitalbeschaffung Privatpersonen ansprechen, die bereit sind, zu dieser Sache beizutragen. Außerdem müsste die Kooperation mit Forschungsstätten der Industrie hergestellt werden, die über die nötige Ausrüstung verfügen.
Mir ist bekannt, dass Deutschland jetzt den Verkauf von Uran aus den übernommenen tschechoslowakischen Minen gestoppt hat. Dass sie diesen Schritt so früh getan haben, mag daran liegen, dass der Sohn des deutschen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt von Weizsäcker dem Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin angehört, an dem einige der amerikanischen Arbeiten mit Uran gerade nachvollzogen werden.
Ihr sehr ergebener
A. Einstein
Allenfalls letzte Hand angelegt hat Albert Einstein an dem als „Einstein-Brief“ in die Geschichte eingegangenen Schreiben, das den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt Anfang August 1939 erreichte. Initiiert und verfasst hatte ihn der ungarische Physiker Leo Szilard, Flüchtling vor dem Horthy-Faschismus in seiner Heimat und später wie Einstein vor dem deutschen.
Beiden schien es klüger, das Schreiben mit dem Gewicht der Autorität des weltbekannten Physikers und Nobelpreisträgers Einstein zu verbinden, indem er ihn unterschrieb. Der Brief hatte Eigengewicht, er enthielt in trockenen Worten der Wissenschaft die Warnung vor der schrecklichsten damals vorstellbaren Waffe. Und vor allem warnten die beiden Wissenschaftler davor, dass diese Waffe in dem bevorstehenden Krieg – an dem Einstein nicht zweifelte – von Nazideutschland entwickelt und dann zweifellos auch eingesetzt werden würde, ein Alptraum für die beiden Naturwissenschaftler. Den Deutschen Otto Hahn und Fritz Straßmann war im Jahr zuvor die Umwandlung von Uran in Barium durch Neutronenbeschuss gelungen – die Kernspaltung.
Der US-Präsident erkannte die Ernsthaftigkeit des Anliegens, er ließ das „Manhattan Project“ in die Wege leiten, große Summen und ein 150 000-Mann-Heer von Wissenschaftlern, Militärs und Zivilisten für die Entwicklung „der Bombe“ bereitstellen. Die erste Testbombe detonierte am 16. Juli 1945 in der Wüste von New Mexico, ihre Vernichtungskraft übertraf die Erwartungen.
Da war Roosevelt schon tot, gestorben am 16. April desselben Jahres. Mit ihm war die Vision dieses großen Linksliberalen von der „Einen Welt“ gestorben. Sein Nachfolger, das Beamtengesicht Harry S. Truman, steuerte sofort um zum Kalten Krieg gegen den großen Alliierten im Osten, die UdSSR, die die Hauptlast des Krieges der Welt gegen den Faschismus getragen hatte. Am 6. August brach das nukleare Inferno über Hiroshima, am 9. August über Nagasaki los. Eine militärische Begründung gab es nicht – der Massenmord war eine Drohgeste gegen die Sowjetunion.
Seither lebt die Menschheit mit der Bedrohung ihrer menschengemachten Auslöschung. „Den Menschen überall auf der Erde diese Situation deutlich zu machen, ist wohl die wichtigste soziale Funktion, die den Intellektuellen je zugefallen ist“, erkannte Einstein, setzte sich für Abrüstung und Frieden und gegen die Demontage der Demokratie in den Vereinigten Staaten ein. Er schrieb 1952: „Ich war mir der furchtbaren Gefahr bewusst, die das Gelingen dieses Unternehmens für die Menschheit bedeutete. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Deutschen mit Aussicht auf Erfolg am selben Problem arbeiteten, hat mich zu diesem Schritt gezwungen. Es blieb mir nichts anderes übrig, obwohl ich stets überzeugter Pazifist gewesen bin. … Unter diesen Umständen hat die Bekämpfung der Mittel keine Aussicht auf Erfolg. Nur die radikale Abschaffung der Kriege und der Kriegsgefahr kann helfen.“