Hausdurchsuchungen in Hessen gegen angebliche Mitglieder eines aufgelösten Palästina-Vereins

Einschüchtern, schaden, diffamieren

Leon Wystrychowski

Das Jahr 2025 ist gerade drei Wochen alt – und schon geht der antipalästinensische Repressionswahnsinn in Deutschland in die nächste Runde. Diesmal hat es Aktivistinnen und Aktivisten in Hessen getroffen. Am Mittwoch um kurz nach 6 Uhr morgens drangen 73 Beamte der Polizei Frankfurt am Main, des hessischen Landeskriminalamts (LKA) sowie Spezialeinheiten des Hessischen Polizeipräsidiums Einsatz (HPE) in Wohnungen in Frankfurt am Main und Darmstadt ein. Der Einsatz richtete sich gegen den aufgelösten Verein Palästina e. V. Durchsucht wurden Räumlichkeiten von insgesamt neun Personen, die angeblich dem Verein angehört haben sollen. Das hessische Innenministerium begründete den Einsatz mit den üblichen Phrasen. Innenminister Roman Poseck (CDU) behauptete: „Unser Rechtsstaat hat heute ein klares Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt.“ Auf der Seite des Innenministeriums heißt es, der Verein sei „dem linksextremistischen Arm des Antisemitismus zuzuordnen“.

Verein nicht verboten, aber bereits aufgelöst

Während mit dem palästinensischen Gefangenensolidaritätsnetzwerk Samidoun und Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) im November 2023 und Mai 2024 zwei aktive Organisationen zerschlagen wurden, ist der Fall bei Palästina e. V. anders gelagert: Der Verein hatte sich am 14. November 2024 selbst aufgelöst und das öffentlich bekannt gegeben.

Wieso verpulvern Behörden ihre Energie und Unmengen Steuergelder, um einen Verein zu verbieten, der sich bereits aufgelöst hat? Mutmaßlich geht es darum, ein Vereinsverbot zu erlassen, das sich auf die gesamte Palästina-Solidaritätsbewegung im Raum Frankfurt am Main erstreckt und andere Organisationen, Initiativen und Zusammenschlüsse als eine Art „Palästina-e.-V.-Netzwerk“ gleich mit kriminalisiert. Damit würde ein mögliches Vereinsverbot zu einem Bewegungsverbot ausarten. Weitere mögliche Gründe sind der Wunsch, die Betroffenen einzuschüchtern, materiell zu schädigen, sie öffentlich zu diffamieren und Informationen über sie und ihre Verbindungen zu anderen Personen und Organisationen zu gewinnen.

Dass all das wenig mit einem rechtsstaatlichen Verfahren und erst recht nichts mit dem Kampf gegen Antisemitismus zu tun hat, erkennen offenbar auch einige staatliche Institutionen. Denn die Durchsuchungsbefehle scheiterten in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main. Erst der hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel segnete die Razzien ab. Ana K., ehemaliges Vorstandsmitglied des Vereins, meint dazu gegenüber UZ: „Scheinbar gibt es seitens des hessischen Innenministeriums Schwierigkeiten in der Argumentation, um ein Verbot einfach so durchzudrücken.“ Denn: „In der Begründung für die Ablehnung in der ersten Instanz stand, dass der ehemalige Verein keine verfassungsfeindlichen Merkmale erfüllt.“ Das bestätigen auch die bisherigen Durchsuchungsergebnisse. Denn wie bei PSDU wurden im Zuge der Razzien zwar zahlreiche Datenträger sowie Flyer und anderes Agitationsmaterial sichergestellt, aber nichts Illegales.

Wie K. außerdem berichtet, standen nicht nur ehemalige Mitglieder des Vereins im Fokus. „Die Betroffenen waren unterschiedliche Palästina-solidarische Aktivisten. Als Anlass für die Hausdurchsuchungen hat es bereits gereicht, dass Leute Demos angemeldet oder einfach nur unterstützt haben. Die Staatsgewalt hat also vollkommen willkürlich festgelegt, wer zum ehemaligen Verein gehört und wer nicht.“

„Wir werden uns wehren“

Dieser Repressionsakt der Behörden gegen die organisierte Palästina-Solidarität reiht sich ein in eine immer länger werdende Liste von Vereins- und Betätigungsverboten, von Hausdurchsuchungen und Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die alle im Zusammenhang mit Palästina und dem Völkermord in Gaza stehen. In Frankfurt am Main hatte am 15. Januar eine vom bundesweiten Kufiya-Netzwerk sowie den Ortsgruppen von DKP und Kommunistischer Organisation (KO) organisierte Veranstaltung zum Verbot von PSDU stattgefunden. An den beiden darauffolgenden Tagen wurde dort zudem eine wissenschaftliche Palästina-Konferenz abgehalten, an der international renommierte Forschende und Lehrende teilnahmen. Letzterer waren die Räume an der Goethe-Universität zuvor verwehrt worden, so dass sie verlegt werden musste. In Darmstadt läuft seit dem dritten Advent-Wochenende eine Kampagne gegen eine lokale Palästina-Gruppe, die einen Antikolonialistischen Weihnachtsmarkt veranstaltet hatte. Seit 2019 macht zudem der hessische Antisemitismus-Beauftragte Uwe Becker (CDU) leidenschaftlich Jagd auf vermeintliche „Antisemiten“ – sprich auf alles und jeden, der die israelische Politik kritisiert. So forderte er in der Vergangenheit nicht nur ein Vereinsverbot gegen Palästina e. V., sondern auch ein Verbot von Palästina-Kulturfesten in der Frankfurter Innenstadt und des Palästina-Camps an der Frankfurter Universität.

Gegenüber der Tageszeitung „junge Welt“ kommentierte der in Frankfurt lebende Vorsitzender des Vereins Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Wieland Hoban, das Verbot so: „Je offensichtlicher das Ausmaß der Zerstörung und der genozidalen Massaker in Gaza wird, desto härter muss der deutsche Staat durchgreifen, um die notwendige Opposition dagegen zu unterdrücken.“ Ana K. sieht die Repression indes auch als Bestätigung dafür, dass die Palästina-Solidaritätsbewegung in Frankfurt gute Arbeit geleistet hat: „Das hessische Innenministerium setzt alle Hebel in Bewegung, um uns als Bewegung zum Schweigen zu bringen. Die Leute sollen davon abgeschreckt werden, sich öffentlich zu Palästina zu äußern. Das deutet daraufhin, dass die lokale Palästina-solidarische Bewegung eine Wirkung entfaltet, die den Regierenden Sorgen bereitet.“

Das Kufiya-Netzwerk, das unter anderem von Palästina e. V. mit ins Leben gerufen wurde und dem zahlreiche Organisationen aus ganz Deutschland angehören, erklärte in einer Stellungnahme am Mittwochabend: „Wieder einmal wird denen Antisemitismus vorgeworfen, die eigentlich dagegen kämpfen. Es werden die kriminalisiert, die sich für ein Ende des Mordens und der Unterdrückung einsetzen, während die eigentlichen Täter, die Hass und Hetze verbreiten, Waffen liefern und einen Genozid betreiben, es weiterhin gemütlich haben. Während die Westbank brennt und Gaza in Trümmern liegt, tut die Bundesrepublik weiter alles dafür, Opposition zu ihrem Kriegskurs zum Schweigen zu bringen und die deutsche Gesellschaft auf Genozid einzuschwören.“

Dass man diesem Druck nicht nachgeben will, betont nicht nur das Netzwerk. Auch Ana K. zeigt sich kämpferisch: „Wir werden uns natürlich juristisch gegen diese Willkür wehren! Der Kontakt zu unseren Anwälten steht. Die Frankfurter Palästina-solidarische Bewegung lässt sich nicht einschüchtern. Unsere Stadt bleibt aktiv und Palästina-solidarisch!“

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