Geopolitische Krisen wie der Ukraine-Konflikt und der israelisch-palästinensische Konflikt eskalieren, während Handelsprotektionismus und Antiglobalisierungswellen die weltweite wirtschaftliche Erholung ernsthaft behindern. Angesichts des Besuchs von Präsident Xi Jinping in Europa und des kürzlichen Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz in China stellen sich zwei Fragen: Wie sehen die Chinesen heute diese heiß umstrittenen Themen? Und wie sehen sie die Beziehungen zwischen China und Europa sowie zwischen China und Deutschland inmitten dieser turbulenten Situation? Die Beziehungen zwischen China und Europa sowie zwischen China und Deutschland sind entscheidend für das Wohlergehen beider Seiten und für die globale Stabilität und Prosperität. Die Welt steht am Scheideweg – und wie die Zukunft aussehen wird, hängt von den Entscheidungen ab, die wir heute treffen. China und Deutschland sollten sich zusammentun und gemeinsam Hoffnung in eine verwirrte Welt bringen.
Verhandlungen statt Feindseligkeiten
Die Auswirkungen des Ukraine-Konflikts sind bereits spürbar und halten an. Die Flammen des Krieges in der Ukraine lodern weiter, die Weltlage ist unruhig und instabil. Millionen von Flüchtlingen sind obdachlos, die Infrastruktur ist vielerorts zerstört, die Energiepreise steigen dramatisch und die Menschen beklagen ihre Situation. Die europäischen Länder, ob sie nun der Ukraine helfen oder Sanktionen gegen Russland verhängen, haben ihre eigenen Kräfte erschöpft. Europa ist heute der „typische Verlierer“ des Ukraine-Konflikts. Europäische Länder unterstützen die Ukraine militärisch und verhängen selbstschädigende Sanktionen gegen Russland. Dies führt zu enormen wirtschaftlichen und sozialen Kosten für Europa und gefährdet die Lebensgrundlagen der Menschen massiv. China versteht die Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf die Lage der Menschen in Europa. China hat keine Waffen an eine der Kriegsparteien geliefert, ist weder Verursacher noch Partei oder Teilnehmer des Ukraine-Konflikts, hat aber eine konstruktive Rolle bei der Förderung einer friedlichen Lösung der Krise gespielt. China hat der Ukraine wiederholt humanitäre Hilfe zukommen lassen und Sondergesandte ernannt, um zwischen den betroffenen Ländern zu vermitteln. China hofft, dass der europäische Kontinent bald zu Frieden und Stabilität zurückfindet. Die harte Realität zeigt, dass Waffenlieferungen keinen Frieden bringen und einseitige Sanktionen die Gegensätze zwischen allen Parteien nur verschärfen. Dialog und Verhandlungen sind der einzig gangbare Weg zur Lösung der Krise.
Der israelisch-palästinensische Konflikt hat zahlreiche zivile Opfer gefordert und eine schwere humanitäre Katastrophe verursacht, die immer weiter eskaliert und außer Kontrolle zu geraten droht. Diese andauernde Tragödie ist ein Prüfstein für das menschliche Gewissen, auf den die internationale Gemeinschaft reagieren muss. China setzt sich ein für einen sofortigen, umfassenden und dauerhaften Waffenstillstand im Gazastreifen, für die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied in die Vereinten Nationen, für die Wiederherstellung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes, für die Wiederbelebung der Zwei-Staaten-Lösung und für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten. Die grundlegende Lösung des israelisch-palästinensischen Problems liegt in der Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass die Ursache für die wiederholte Instabilität der israelisch-palästinensischen Situation in der mangelnden Umsetzung der Resolutionen der Vereinten Nationen, der kontinuierlichen Erosion der Grundlagen der Zwei-Staaten-Lösung und dem Abweichen des Nahost-Friedensprozesses vom richtigen Weg liegt.
Aus chinesischer Sicht werden die Lieferung von Waffen und die militärische Unterstützung einer der beiden Konfliktparteien als Verschärfung der Situation und als irrational angesehen. Letztlich müssen alle Beteiligten an Konflikten und Kriegen an den Verhandlungstisch zurückkehren. Die Einstellung der Feindseligkeiten und die Aufnahme von Verhandlungen haben oberste Priorität, damit die Situation nicht weiter außer Kontrolle gerät.
China und Deutschland – Bilanz und Perspektiven
China und Deutschland sind wichtige Handelspartner. Deutschland ist seit 49 Jahren in Folge Chinas größter Handelspartner in Europa und China seit acht Jahren in Folge Deutschlands größter Handelspartner weltweit. Zudem sind die deutschen Investitionen in China in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gestiegen und haben im vergangenen Jahr mit fast 12 Milliarden Euro einen neuen Rekordwert erreicht. Deutschland ist weltweit führend in der traditionellen Fertigung und in vielen Technologiebereichen und seine Industrieprodukte genießen auf den Weltmärkten einen hervorragenden Ruf. China verfügt über eine vollständige industrielle Wertschöpfungskette, eine ausgereifte Förderpolitik, eine gut ausgebaute Infrastruktur, hoch qualifizierte Arbeitskräfte und einen riesigen Konsumentenmarkt. Die einander ergänzenden Stärken Chinas und Deutschlands werden in Zukunft noch breitere Kooperationsmöglichkeiten eröffnen.
Die rationale und pragmatische Seite der China-Politik der Bundesregierung wurde bei den beiden China-Besuchen von Scholz deutlich. Unter den zahlreichen deutschen Unternehmen, deren Vertreter Scholz auf seiner Reise nach China begleiteten, war die Volkswagen AG der erste ausländische Automobilhersteller, der den chinesischen Markt betrat. Ihr ID.3 hat sich zu einem der meistverkauften Elektroautos auf dem chinesischen Markt entwickelt. Laut der 2023/24 Annual Business Confidence Survey of German Companies in China, die von der AHK Greater China veröffentlicht wurde, planen über 90 Prozent der befragten deutschen Unternehmen, weiterhin im chinesischen Markt präsent zu bleiben und haben nicht vor, China zu verlassen. Mehr als die Hälfte der befragten deutschen Unternehmen plant, ihre Investitionen in China in den nächsten zwei Jahren zu erhöhen. Deutschland ist weltweit eines der aktivsten Länder bei der Umsetzung der Energiewende und setzt sich für die Integration von technologischer Innovation und grünem Umweltschutz ein. Der deutsche Plan Industrie 4.0 konzentriert sich auf die Anwendung von Technologien wie intelligente Fertigung und das Internet der Dinge in der verarbeitenden Industrie, um Energieeinsparungen, Emissionsreduzierungen und eine effiziente Ressourcennutzung in Produktionsprozessen zu erreichen. Deutschlands aktive Förderung von Forschung und Anwendung im Bereich grüner Umwelttechnologien und Chinas Engagement für eine grüne Entwicklung bieten ein breites Spektrum an Kooperationsmöglichkeiten in den Bereichen grüne Produktion und nachhaltige Entwicklung.
Störgeräusche im Konzert
Trotz der insgesamt positiven und sich ergänzenden Wirtschafts- und Handelsbeziehungen der Regierung Scholz zu China gibt es hin und wieder Störgeräusche. So werden sowohl in der westlichen Welt im Allgemeinen als auch in Deutschland im Besonderen gelegentlich Vorwürfe hinsichtlich „chinesischer Überkapazitäten“ und „chinesischer Spionageaktivitäten“ laut.
Aus marktwirtschaftlicher und wertgesetzlicher Sicht beziehungsweise vor dem Hintergrund der globalen Arbeitsteilung und der internationalen Marktsituation ist die „China-Überkapazitätstheorie“ eine falsche Behauptung. Bei der Beurteilung möglicher Überkapazitäten im Rahmen der Globalisierung sind die globale Marktnachfrage und das zukünftige Entwicklungspotenzial zu berücksichtigen. Aus globaler Sicht gibt es derzeit keine Überkapazitäten, sondern einen deutlichen Mangel an grünen Kapazitäten. Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur wird die weltweite Nachfrage nach neuen Elektrofahrzeugen im Jahr 2030 45 Millionen erreichen, mehr als viermal so viel wie im Jahr 2022, und die weltweite Nachfrage nach neuen Fotovoltaikanlagen wird 820 Gigawatt (GW) erreichen, etwa viermal so viel wie im Jahr 2022. Die derzeitigen Produktionskapazitäten reichen bei Weitem nicht aus, um die Marktnachfrage zu befriedigen – insbesondere die enorme potenzielle Nachfrage nach neuen Energieprodukten in vielen Entwicklungsländern. Es entspricht den Gesetzen der Marktwirtschaft, dass China als wichtiger Produzent grüner Produkte seine Produktionstätigkeit fortsetzt.
Die Wettbewerbsvorteile der neuen Energieindustrien Chinas – etwa bei der Entwicklung von Elektrofahrzeugen, Lithiumbatterien und Fotovoltaikprodukten – ergeben sich aus den Bedingungen des chinesischen Megamarktes, des kompletten Industriesystems und des reichlich vorhandenen Arbeitskräfteangebots. Chinesische Unternehmen haben ihre Produktionskosten durch technologische Innovationen gesenkt und so die Wettbewerbsfähigkeit der neuen Energieprodukte auf dem Markt verbessert. Der französische Unternehmer Arnaud Bertrand wies darauf hin, dass nicht Überkapazitäten das eigentliche Problem seien, sondern die Wettbewerbsfähigkeit. Wer „Überkapazitäten“ als Rechtfertigung für handelspolitische Schutzmaßnahmen anführt, verbessert nicht seine eigene Situation, sondern gefährdet die Stabilität und das reibungslose Funktionieren der Lieferketten, was wiederum den ökologischen Umbau der Weltwirtschaft und das Wachstum aufstrebender Industrien behindert. In diesem Zusammenhang herrscht in China der Eindruck, dass der Westen von einem freien Markt spricht, wenn es einen Wettbewerbsvorteil gibt, aber Protektionismus fördert, wenn es keinen gibt. Europa ist China in Wissenschaft und Technologie im Allgemeinen immer noch voraus, aber es sollte nicht darauf hoffen, dass China langsamer wird, sondern sich darauf konzentrieren, schneller zu werden.
Die Spekulationen über die „chinesische Spionagebedrohung“ sind eine Fehlinterpretation und eine Überreaktion auf Aktivitäten chinesischer Unternehmen, die entweder von bestimmten Medien aus Sensationslust oder von bestimmten Politikern zum Stimmenfang im Wahlkampf geschürt werden. Die weitverbreitete Aufregung kann nicht über die Fakten hinwegtäuschen: Die meisten und größten Fälle von Industriespionage gibt es derzeit in den westlichen Ländern. Die Farce „Haltet den Dieb“ ist nichts anderes als eine Inszenierung bestimmter westlicher Medien und Politiker, um von den eigenen Problemen abzulenken. Haltlose Anschuldigungen aber werden aufmerksame Beobachter nicht täuschen und den normalen technologischen und wirtschaftlichen Austausch zwischen China und Europa nicht beeinträchtigen, ganz im Sinne des deutschen Sprichworts: „Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter.“
Partnerschaft für die Zukunft
Während der Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel war die China-Politik relativ stabil – China und Deutschland vertieften ihre Zusammenarbeit in Wirtschaft und Handel und knüpften enge kulturelle Beziehungen. Seit dem Amtsantritt von Bundeskanzler Scholz ist die Haltung Deutschlands gegenüber China aufgrund der veränderten internationalen Lage, insbesondere des Ukraine-Konflikts und der Energiekrise, zunehmend unsicher geworden.
Die Regierung Scholz misst den Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit China weiterhin große Bedeutung bei. Allerdings ist eine deutliche Zunahme der Besorgnis über „Sicherheitsrisiken“ hinsichtlich des Technologietransfers, der Informationssicherheit und möglicher Unterbrechungen der Lieferketten zu verzeichnen. Dies hat zu einer stärkeren ideologischen Färbung der China-Politik geführt. Zwei aufeinanderfolgende Besuche von Bundeskanzler Scholz in China zeugten von guten Absichten, die deutsch-chinesischen Beziehungen zu vertiefen. Die Veröffentlichung eines Politikentwurfs durch das Auswärtige Amt sendet jedoch ein völlig gegensätzliches Signal. Diese aus chinesischer Sicht widersprüchliche Haltung spiegelt das Bestreben Deutschlands wider, enge Beziehungen und eine Win-Win-Kooperation mit China zu pflegen, gleichzeitig aber in sensiblen Fragen universelle „westliche Werte“ zu wahren und politisch auf Distanz zur Volksrepublik zu bleiben.
Die Weltwirtschaft erholt sich nur langsam, während der Protektionismus im Handel zunimmt und geopolitische Konflikte eskalieren. Diese globalen Herausforderungen überschreiten nationale, ethnische und territoriale Grenzen. Kein Land kann sie allein bewältigen und Abschottung ist keine Lösung. Der historische Trend zu Frieden, Entwicklung, Zusammenarbeit und Win-Win-Ergebnissen ist unaufhaltsam und spiegelt die Wünsche der Menschen wider. Die Entwicklung der Weltwirtschaft wird die Beziehungen zwischen China und Deutschland stark beeinflussen. Deshalb sollten beide Länder eine enge Kommunikation und Kooperation pflegen, echten Multilateralismus praktizieren und globale Herausforderungen gemeinsam angehen, um mehr Stabilität und Sicherheit in die Welt zu bringen. Die Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland kann für beide Seiten und für die Welt nur von Vorteil sein.
Unsere Autorin forscht im Bereich marxistische Theorie an der Tsinghua-Universität in Peking