Auch in der Regierung Israels wächst der Streit

Einig nur im Krieg

Am 11. Oktober, vier Tage nach dem Angriff der Hamas, hatte Benjamin Netanjahu sein Kriegskabinett installiert. Benjamin Gantz als Vertreter der Sammlungsbewegung „Nationale Einheit“ wurde als Minister ohne Portfolio in das Kriegskabinett aufgenommen. Er hatte zuletzt im Jahre 2021 die Operation „Guardian of the Wall“ gegen Gaza befehligt und sich klar gegen die von Netanjahu geplante Justizreform positioniert. Gantz und Netanjahu vereinbarten, keine politischen Entscheidungen zu treffen, solange der Krieg andauere.

Trotz dieses „Burgfriedens“ wächst die Kritik an Netanjahu. Tausende Demonstranten, Angehörige und Unterstützer der Entführten, verlangten am Wochenende in Tel Aviv von der Regierung, die Entführten zurückzubringen – lebend.

Im Norden Israels wirft man der Regierung vor, sie sei nicht in der Lage, Sicherheit zu bieten. Der Bürgermeister von Kirjat Schmonah verlangt von der Regierung, die Hisbollah von der Nordgrenze Israels vertreiben zu lassen.

Der Millionär und Wirtschaftsminister Nir Barkat von Likud bringt sich bereits als Nachfolger von Netanjahu ins Spiel. Er spricht von einem Wandel, den der Likud brauche, und von Neuwahlen nach dem Ende des Krieges.

Der frühere Generalstabschef Dan Chalutz – ein prominenter Gegner der Justizreform – kann sich angesichts der toten Israelis, der Entführten und der 200.000 Vertriebenen aus dem Umland von Gaza und der Grenze zum Libanon nur eine Bild des Sieges vorstellen: Den Rücktritt von Netanjahu.

Und die offenen Faschisten in der Regierung arbeiten daran. Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir versucht, entgegen dem „Burgfrieden“ eine politische Beamtin zu entlassen, die israelische Gefängnisdirektorin Katy Perry. Die Vertreter der Partei von Gantz empörten sich. Doch Ben Gvir argumentiert, eine Vereinbarung zwischen Netanjahu und Gantz binde ihn nicht.

Im zentralen Streitpunkt geht es um die Zukunft von Gaza. Netanjahu spricht offiziell noch immer von seinem Kriegsziel, Hamas vollständig zu zerstören. Und er rühmt sich zugleich, eine Zwei-Staaten-Lösung verhindert zu haben. Die Unterstützer Israels, die USA und ihre Verbündeten, wollen „nach dem Krieg“ die Kontrolle über den Gazastreifen an die Autonomiebehörde von Abbas übergeben, eine Zwei-Staaten-Lösung „ultra-light“. Sie sehen in Gantz den geeigneten Kandidaten, eine derartige Politik zu betreiben.

Finanzminister Bezalel Smotrich und Sicherheitsminister Ben Gvir wehren sich vehement gegen eine derartige Festlegung und Netanjahu musste eine geplante Diskussion über „den Tag danach“ im Kriegskabinett absagen. Offenbar sehr zum Unwillen von Gantz und Verteidigungsminister Jo‘aw Galant, die wegen der Absage die Teilnahme an einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Netanjahu ablehnten.

Smotrich fordert mittlerweile gar offen die Vertreibung der Einwohner von Gaza. Wenn nur noch 100.000 Einwohner in Gaza lebten, sähe „der Tag danach“ ganz anders aus.

Mittlerweile steht eine weitere Entscheidung an: wird es wieder Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch geben – und einen Waffenstillstand? Die Regierungen der Verbündeten der USA in der Region stehen unter Druck. Je länger der Krieg andauert, desto lauter wird der Ruf nach einem Waffenstillstand, Ägypten nimmt dabei eine führende Stellung ein. Der US-Außenminister wird auf seiner nächsten Nahostreise auf zunehmenden Widerstand treffen.

Und Netanjahus Position wurde weiter geschwächt: Der oberste Gerichtshof hat ein zentrales Element der umstrittenen Justizreform gekippt und mit knapper Mehrheit eine im Juli verabschiedete Gesetzesänderung für nichtig erklärt.

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"Einig nur im Krieg", UZ vom 5. Januar 2024



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