Rudolph Bauers „Aus gegebenem Anlass“

Eingreifende Dichtung

Von Bernd Redlich

Rudolph Bauer/Thomas Metscher

Aus gegebenem Anlass

Gedichte und Essay

Verlag tredition

174 Seiten, 18,90 Euro

Was leset Ihr, mein Prinz?“ fragt der Polonius den Hamlet, und der antwortet: „Worte, Worte, Worte“. Das Problem ist also kein junges, wenn Shakespeare schon vor über 500 Jahren Grund für den Hinweis hatte, dass zu viele Worte gemacht werden. Auch wenn der Schaumsprache damals noch nicht die überreichen Möglichkeiten der Verbreitung zur Verfügung standen. Schaumsprache ist eine Sprache, die sich vom Begriff gelöst hat und in der man auf dem Wort kein festes Gedankengebäude mehr errichten kann. Schließt euch ein in der Kammer und sie quillt durch die Ritzen in Ohren, Hirn und Herz, hat ihren Raum in den eigensten Gedanken schon gefunden und vergiftet das Denken. Wer braucht Beispiele? Ich liebe Frischkäse; die Freiheit nehm ich mir; für die Verteidigung müssen mehr Mittel bereitgestellt werden; Europa wählt im Mai. Wer so denkt, unterscheidet nicht zwischen Liebe und Konsum, zwischen Freiheit und Kredit, zwischen Verteidigung und Drohung, zwischen einem Erdteil und einem aggressiven Wirtschaftsbündnis. Wer so schreibt, lügt schon mit dem Wörtchen „Wir“. Wörter sind korrumpierbar durch korrupte Schreiber und Schwätzer.

Dem stemmen sich seit alters die Dichter entgegen. Sie üben die Kunst der Auslassung, sie ver-dichten Sprache zur Kenntlichkeit des Gemeinten – wenn sie gute Wortwerker sind. Wortwerker müssen auch die Geisteswissenschaftler sein – wenn sie gut sind und erklären, wie es kam, was gekommen ist, auch Vorschläge für Künftiges machen, statt Werbung für eine Sicht auf den Stoff ihrer Untersuchungen zu machen. Rudolph Bauer ist Wissenschaftler, emeritierter Professor der Sozialpädagogik. Er hat jetzt einen Band mit Gedichten vorgelegt. Die könnte man, wäre das Wort nicht verschlissen, engagiert nennen.

Warum tut er so was? Zum ersten, um Begriff und Wort wieder in eins zu bringen. Zweitens: Weil er‘s kann: „gedichte sind steine/beschriftete kiesel/um sie auf den grund des meeres zu werfen/oder gegen die glasbunker der banken“. Er macht es sich nicht einfach: Das reimlose politische Gedicht ist nicht grundlos in Verruf als in Zeilen gebrochener Leitartikel. Die Klippe umschifft Bauer durch Gefühl für Rhythmus und Sinneinheit. EinWiderspruch in Nachrichtensprache erhält durch diesen Kunstgriff harte Kanten:

menschenrechtsverletzungen sind

   kein grund

exporte von kriegsmaterial zu

   verweigern

umgekehrt sind sie der vorwand

für den einsatz deutscher und

   nato-soldaten

um offene handelswege zu sichern

und den zugang zu rohstoffen und öl

Die beiden Sätze waren schon wahr, als sie noch nicht sagbar waren. Dann sagte ihn der oberste Repräsentant Deutschlands – einer von den Schlichten im Land – und musste dafür zurücktreten. Heute sind sie fraglos und alltäglich. Erst die Rhythmisierung macht ihre Brutalität wieder kenntlich.

In dem Gedicht „Hunnenrede des Wilhelm Zwo“ braucht es zwei Einführungsstrophen, um in den folgen sieben Strophen allein aus dessen eigenen Worten ein scharfes Bild des gekrönten Mordhetzers erstehen zu lassen.

Bauer kennt die Formen, auch die schwierigen. Den Haiku, japanischen Ursprungs, mit seiner engen Silbenstecherei. Da entstehen scharf gezeichnete Momentaufnahmen: „Als Geldanlage/nicht um zu wohnen darin/fördert man den wohnungsbau“. Distichen, Aphorismen und Sonette – Formen, von denen man mit Glück zuletzt in der Schulzeit gehört hat oder, keine Schande, bei landesüblichen Bildungsgänge gar noch nie – Bauer klopft sie ab auf ihre Eignung, aktuelle Vorgänge und Schlussfolgerungen zu transportieren. Und füllt die alten Formen mit alten und neuen Worten, die haltbar genug sind, Bedeutung zu tragen und vom Einzelnen zum Ganzen zu kommen.

Der Literaturwissenschaftler und Philosoph Thomas Metscher hat dem Gedichtband unter der Überschrift „Aktualität und Utopie“ ein essayistisches Nachwort mitgegeben, das nicht Zubrot ist, sondern eigenen Wert besitzt. Er analysiert Rudolph Bauers Gedichte als „operative Lyrik“und stellt sie in die Tradition der „Flugschriften“ und der eingreifenden Dichtung. Ein Stück von der neuen Aufklärung, die kommen muss, oder wir haben keine Zukunft.

Geisterbahn-Medien

den soundtrack liefert die presse

das radio und das t. v.

dass man uns den kuchen wegfresse

das brot und die butter den brie

täglich krimi-geisterbahn-sendung

bohlen terror und blutrote tracht

die kommentare als billige blendung

das kritische spät in der nacht

muslime mit sehr vielen kindern

afrikaner als schwarze gefahr

um jenen sozialstaat zu plündern

der lange schon keiner mehr war

öffentlich-rechtlich und r. t. l.-aufgehetzt

wird masse zum lynchen in stimmung versetzt

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"Eingreifende Dichtung", UZ vom 12. April 2019



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