70 Jahre Charta der Vereinten Nationen

Eine zwiespältige Bilanz

Von UZ

Literatur

Norman Paech, Krieg und Frieden, in: junge Welt, 23. April 2015

Helge von Horn, Mit Kriegseinsätzen zur neuen Welt-UN-Ordnung, http://www.ag-friedensforschung.de/themen/UN-Reform/horn.html

Gregor Schirmer, Als Friedensfaktor gescheitert? – Zum 60. Jahrestag der Gründung der UNO, in: „antifa“ 3./4. 9.2005

Der Krieg in Europa war nur wenige Wochen vorher beendet worden, der im Fernen Osten und im Pazifikraum dauerte noch an: Am 25. Juni 1945 unterzeichneten 50 Staaten der Antihitlerkoalition am Ende der Konferenz von San Francisco die UNO-Charta. Man wollte Schlussfolgerungen aus Krieg und Faschismus ziehen (das Wort „Faschismus“ taucht zwar nicht im Text der Charta auf, „Aber die Gründung der Weltorganisation folgte einem antifaschistisch-demokratischen Impetus“). Man war – wie es in der Präambel der Charta heißt – unter anderem fest entschlossen, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“.

Der 1920 gegründete Völkerbund,

der erste Versuch eines internationalen Sicherheitssystems,

war weder den großen Konflikten um die Mandschurei (1931/32),

um Äthiopien (1935/36) noch Spanien (1936–1939) gewachsen.

Deutschland und Japan traten 1935 aus dem Völkerbund aus.

Fünfzehn weitere Mitglieder, vor allem lateinamerikanische Staaten,

verließen ebenso den Bund. Italien folgte 1939, Spanien 1941.

US-Präsident Harry S. Truman erklärte beim Abschluss der Konferenz, die Charta sei „eine feste Grundlage, auf der wir eine bessere Welt aufbauen können“. Und: „Wenn ein Land Sicherheit für sich zu erhalten wünscht, muss es bereit sein, diese Sicherheit gern mit allen zu teilen. Das ist der Preis, den jedes Land für den internationalen Frieden zu zahlen hat.“ Doch Truman hatte noch anderes im Sinn. Am 6. und 9. August zerstörten Atombomben Hiroschima und Nagasaki. Damit begann der gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten gerichtete Kalte Krieg, ein verhängnisvoller Rüstungswettlauf wurde eingeleitet.

Trotzdem trat am 24. Oktober 1945 die Charta der Vereinten Nationen in Kraft, nachdem gemäß Artikel 110 die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats (damals noch die Republik China sowie Frankreich, Großbritannien, UdSSR, USA) und die Mehrheit der Unterzeichnerstaaten ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt hatten. Die erste Generalversammlung trat am 10. Januar 1946, der Sicherheitsrat am 17. Januar in London zusammen. Der erste Generalsekretär, der Norweger Trygve Lie, wurde am 1. Februar 1946 ernannt. Am 11. Dezember 1946 bestätigten die UNO-Mitglieder einstimmig „die Prinzipien des Völkerrechts, die vom Statut des Nürnberger Tribunals und vom Urteil des Tribunals anerkannt wurden“ und am 14. Dezember 1946 beschloss die Generalversammlung, den Sitz der Vereinten Nationen in New York zu errichten.

Die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen

enthält grundlegende Ansichten über die Rechte,

die jedem Menschen zustehen, „ohne irgendeinen Unterschied,

etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion,

politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder

sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand“

und unabhängig davon, in welchem rechtlichen Verhältnis er

zu dem Land steht, in dem er sich aufhält.

Am 10. Dezember 1948 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Palais de Chaillot in Paris die noch heute hochaktuelle Allgemeine Erklärung der Menschenrechte genehmigt und verkündet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Ausdrücklich werden auch die sozialen Menschenrechte benannt: Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit, das Recht auf Arbeit, auf angemessene Arbeitsbedingungen und auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit, auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, auf befriedigende Entlohnung usw. usf.

Damit wurde eine Organisation aus der Taufe gehoben, die in den folgenden Jahrzehnten über weite Strecken durchaus eine effektive und erfolgreiche Arbeit vorweisen konnte. So kam ihr nicht nur eine Schlüsselrolle während der Zeit des Kalten Krieges zu, bei dem sie zentrales Organ zur Schlichtung und Deeskalation von Konflikten zwischen den beiden Machtblöcken wurde und mithalf, eine atomare Katastrophe zu verhindern, sondern auch bei der Regelung regionaler Konflikte. Die erfolgreichste Arbeit leisteten die Vereinten Nationen bei der Unterstützung jener Staaten, die das Kolonialjoch abschüttelten – vor allem in Afrika.

Die Bilanz nach 70 Jahren fällt jedoch gemischt, ja seit den 90er Jahren zunehmend negativ aus. Das liegt jedoch nicht an der Charta mit ihren Zielen und Grundsätzen und schon gar nicht an Erklärungen wie der Deklaration der Menschenrechte und nur zum geringen Teil an den Institutionen der „Vereinten Nationen“. Was die UNO bewirken kann, hing immer vom politischen Willen der Mitgliedstaaten, vor allem der wirtschaftlich stärksten und politisch einflussreichsten, ab. Weder der Korea- noch der Vietnamkrieg konnten verhindert werden, nicht selten wurden entsandte UN-Truppen selbst zur Konfliktpartei.

Aber vor allem in den 1990er Jahren, in der Zeit unmittelbar nach dem Zusammenbruch und der Zerschlagung der sozialistischen Staaten – insbesondere der Sowjetunion –, gab es einen drastischen Verlust des Ansehens der Vereinten Nationen und ihrer Grundsätze. Die USA stürzten die UNO in eine existentielle Krise. Die UNO soll(te) entweder Erfüllungsgehilfe ihrer Politik werden oder ihre Rolle in der internationalen Politik verlieren. Dabei wurde auch finanzieller Druck ausgeübt. USA und die NATO missachteten zunehmend die Prinzipien des Völkerrechts. Beispiele hierfür waren der Krieg gegen Jugoslawien 1999, der Krieg in Afghanistan, der Irak-Krieg 2003. Doch: „Die UNO hat die drei Kriege hingenommen, nachträglich sanktioniert und sich mit einer Nebenrolle beim Umgang mit den schlimmen Ergebnissen und Folgen der Aggressionen abdrängen lassen.“ (Gregor Schirmer) Auch die neuen Konzepte von USA und NATO für „Präventivkriege“ leisten durch ihren Widerspruch zu den Prinzipien der Vereinten Nationen einen Beitrag zur Schwächung der UNO. (Helge von Horn)

Auch auf anderen Gebieten, wie dem Kampf gegen Armut, Hunger, Infektionskrankheiten wie Aids, Umweltzerstörung und Klimakatastrophen, gegen den internationalen Terrorismus, zur Beilegung innerstaatlicher Konflikte und Verhinderung massiver Menschenrechtsverletzungen und für Abrüstung hat die UNO nur geringe Erfolge aufzuweisen. (Schirmer) Die ehrgeizigen Millenniumsziele konnten nur teilweise erreicht werden – neue Ungleichheiten entstanden, die Kluft zwischen Arm und Reich wuchs weiter.

Trotz der großen Arbeit, die die Mitarbeiter der verschiedenen UN-Organisationen weltweit für Bildung, Gesundheit, in der Hilfe für Flüchtlinge usw. leisten, ihre Möglichkeiten bleiben angesichts der heute vorherrschenden Macht- und Eigentumsverhältnisse begrenzt.

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"Eine zwiespältige Bilanz", UZ vom 30. Oktober 2015



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