Palästinensische Telegram-Kanäle in EU-Ländern gesperrt. Kritiker sprechen von Grundrechteabbau

Eine Zensur findet statt

Leon Wystrychowski

Am vergangenen Wochenende sind in mehreren europäischen Ländern pro-palästinensische Telegram-Kanäle gesperrt worden, darunter „𓂆 Palestine Archive 🇵🇸“ mit 15.000 Followern und der des „Resistance News Network“ (RNN) mit 166.000 Abonnenten. Die genauen Hintergründe der Sperrungen sind nicht bekannt: Während Telegram auf eine Anfrage von UZ nicht reagierte, teilte das RNN mit, dass man keinerlei Begründung für die Sperrung erhalten habe. Wer in den betroffenen Ländern den Kanal aufzurufen versucht, erhält nun die Mitteilung, dass er „nicht angezeigt“ werden könne, weil er „gegen lokale Gesetze verstößt“. RNN und das Online-Medium „The Cradle“ sprachen von einer EU-weiten Sperrung. UZ konnte die Sperrung für mehrere EU-Länder verifizieren, darunter Deutschland, Österreich und Italien.

Bereits in der Vergangenheit hatten verschiedene Staaten einzelne Telegram-Kanäle sperren lassen, darunter auch die BRD. Dabei wird offenbar Druck von Behörden direkt, teilweise aber auch via Apple und Google, auf Telegram ausgeübt. Seit Oktober 2023 wurden in Deutschland beispielsweise die Kanäle der Hamas, des Islamischen Jihad, von Samidoun und von Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) gesperrt. Bis auf den Islamischen Jihad waren all diese Organisationen zuvor vom Bundes- beziehungsweise nordrhein-westfälischen Innenministerium verboten worden. Von einem Verbot von RNN oder Palestine Archive ist allerdings nichts bekannt. Auch nicht, ob es sich um eine konstatierte Aktion verschiedener EU-Mitgliedsstaaten handelt oder ob die Sperrung von einer EU-Institution forciert wurde.

Nur einen Tag nach diesen Sperrungen wurde Telegram-Gründer und -Geschäftsführer Pavel Durov an einem Flughafen in Frankreich festgenommen. Die offizielle Begründung dafür: Telegram gehe nicht gegen Online-Kriminalität vor. Kritiker vermuten allerdings, dass es vielmehr darum geht, dass Telegram mittlerweile die wichtigste Plattform für die vergleichsweise zensurfreie Verbreitung politischer und medialer Inhalte ist. Unter Berufung auf einen „Haaretz“-Artikel vom 21. August spekulieren mittlerweile einige internationale Medien, dass Israel hinter den Kulissen Druck ausgeübt habe, um gegen den Telegram-Gründer vorzugehen.

Wichtige Nachrichtenquelle

Von der vergleichsweise großen Freiheit, die Telegram seinen Nutzern bislang bot, hat auch „Resistance News Network“ lange profitiert. RNN, dessen Betreiber in den USA sitzen sollen, existiert seit Oktober 2022. Der Schwerpunkt des Kanals liegt auf dem palästinensischen Widerstand in seinen verschiedenen Formen. Auf Englisch stellt er teilweise im Minutentakt Eilmeldungen aus Palästina sowie Stellungnahmen und Videos verschiedener palästinensischer Widerstandskräfte bereit. Dazu kommen Meldungen über Gefangene und von der israelischen Armee oder Sicherheitskräften der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) getötete Menschen.

Dadurch ist RNN vor allem seit dem 7. Oktober 2023 zu einer wichtigen Informationsquelle geworden – vor allem für Interessierte, die kein Arabisch verstehen. Vor Beginn der Operation „Al-Aqsa-Flut“ und dem bis heute anhaltenden Genozid in Gaza hatte der Kanal nur einige Tausend Follower. Deren Zahl hatte sich in den letzten elf Monaten mehr als verzehnfacht. Zudem wird der Kanal zunehmend von internationalen Medien als Quelle genutzt. Nachdem Instagram den Account von RNN wiederholt gesperrt hatte, ist das Nachrichtennetzwerk mittlerweile nur noch auf Telegram präsent.

„Angriff auf Grundrechte“

Das bundesweite Kufiya-Netzwerk (KN), das es sich zur Aufgabe gemacht hat, gegen den Abbau demokratischer Grundrechte im Zusammenhang mit Palästina anzukämpfen, erklärte zum RNN-Verbot: „ Zwar wurde dieses Verbot offenbar auf EU-Ebene durchgeführt (…), doch wissen wir auch, dass die BRD neben Frankreich die dominierende Kraft in der Europäischen Union ist.“ Zudem komme es gerade in Deutschland „seit dem 7. Oktober 2023 zu den mit Abstand krassesten Einschränkungen und Attacken auf Grundrechte.“

Daher liege aus Sicht des Netzwerks auch der Verdacht nahe, dass die Bundesrepublik hinter dem EU-weiten RNN-Verbot steckt. In jedem Fall aber betreffe das Verbot Deutschland in besonderer Weise, weil der Diskurs hierzulande bereits besonders verengt sei. Das Netzwerk macht auf die Möglichkeit aufmerksam, RNN in der EU via VPN-Tunnel weiterhin zu verfolgen. Allerdings, so das KN, sei das keine Alternative zu der Notwendigkeit, auch politisch gegen das RNN-Verbot anzukämpfen.

Tatsächlich haben die Betreiber bereits nach kurzer Zeit Abhilfe geschaffen, zumindest vorerst: Der Kanal „Resistance News Network Backup“ war schon am selben Tag von europäischen Konten erreichbar.

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