„Die Tat sei unser Losungswort“

Eine unbeugsame Frau

Von Ellen Beeftink

Barbara Sichtermann „Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott“

Hommage an Louise Aston, Edition Ebersbach, 142 Seiten, 16,80 Euro

Die Ehe war der Bruch. Die durch den Vater erzwungene Ehe mit dem Fabrikanten Samuel Aston. Sie machte die Pastorentochter Louise Hoche erst zur Frauenrechtlerin, dann zur Revolutionärin.

Barbara Sichtermann beschreibt in ihrem Buch „Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott“ eine Frau, die Zeit ihres Lebens für die Rechte von Frauen und für soziale Gerechtigkeit gekämpft hat. Sie betrachtet dieses Leben nicht losgelöst von, sondern im Kontext der historischen Bedingungen. So entsteht auch ein Bild jener Zeit, des sogenannten Vormärz, zu dessen Protagonistinnen Louise Aston gehörte.

Louise Franziska wurde am 26. November 1814 als jüngstes von fünf Kindern geboren. Als Pastorentochter genoss sie eine ziemlich umfassende Bildung, die den meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen versagt blieb. Sie las viel. Neben dem üblichen bildungsbürgerlichen Kanon hatte sie Zugang zu Schriften der Frühhegelianer, die französischen Frühsozialisten konnte sie wohl im Original lesen. Eine unbeschwerte Kindheit und Jugend, immer gefördert von ihrer Mutter, endet abrupt. Irgendwann ist auch für Pastorentöchter das Idyll vorbei.

Für Louise bedeutet das, einen ungeliebten, 23 Jahre älteren englischen Unternehmer zu heiraten. Auch wenn sie sich noch so sehr sträubte. In ihrem ersten Roman „Aus dem Leben einer Frau“, der 1847 bei Hoffmann & Campe erschien, hat sie dieses Trauma literarisch verarbeitet. Da war sie schon längst aus ihrer Ehe ausgebrochen. 1844 ließ sie sich von Aston scheiden. Seit Napoleons Code civil war eine Scheidung in Preußen möglich, wenn auch für Frauen ganz und gar verpönt und mit unendlichen Schwierigkeiten verbunden.

Louise, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass nicht sie es war, die die Scheidung eingereicht hatte, nahm alle Anfeindungen auf sich und ging mit ihrer vierjährigen Tochter nach Berlin. Hier suchte und fand sie das intellektuelle, freizügige Klima und die geistige Anregung, die sie brauchte. Sie eiferte ihrem Vorbild George Sand nach, kleidete sich wie ein Mann, rauchte öffentlich Zigarren, verkehrt in den verschiedenen Szenekneipen, hat Liebhaber. Sie will Schriftstellerin werden. Das war in den 1840er Jahren für eine Frau kühn und realistisch zugleich. Es gab eine revolutionäre Stimmung im Land, den sogenannten Vormärz. Sie wechselte von der literarischen Bohème zu den Junghegelianern. Las Ludwig Feuerbachs Religionskritik und wusste endlich, warum sie ihren kindlichen Gottesglauben verlieren musste. Henri de Saint-Simons Credo der freien Liebe entsprang ihr Motto: „Freiem Leben, freiem Lieben bin ich immer treu geblieben.“

Louise sieht junge Mädchen in konventionellen Ehen seelisch verhungern und stellt die Gretchenfrage „Wie hältst du es mit der Religion?“. Im 19. Jahrhundert war die soziale Welt hierarchisch durchstrukturiert. Vom Militär und der Kirche über die Schulen und Universitäten zum Handwerk bis ins Privatleben. Von Frauen wurde Entsagung, Selbstverleugnung und fraglose Anpassung verlangt. Und die Kirchenoberen verkündeten dies als ihre göttliche Bestimmung. Louise Aston kämpft für die Emanzipation der Frauen und schließlich für die Emanzipation aller Menschen, verknüpft das Schicksal der Frauen mit dem der Arbeiterklasse. Dazu musste es kommen, hatte sie doch das Elend der Arbeiter in den Fabriken ihres Mannes gesehen. Und sie wusste sehr genau, dass sich daran nichts ändern würde, beließe es man den Kapitalisten. Sie wurde von der individualistischen Rebellin zur politischen Aktivistin.

Mit ihrer harschen Religionskritik und dem freimütigen „Ich glaube nicht an Gott“ machte sie sich nicht nur bei der Obrigkeit keine Freunde. Auch die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen, die zu dieser Zeit erste Versuche unternehmen, Frauen aus ihren Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien, standen Louise Aston feindselig gegenüber. Sie stellten die Kirche und ihre heilige Ordnung nicht in Frage. Kurz und gut, diese Frauenrechtlerinnen beschimpften sie als lasterhaftes Weib, die Polizei wies sie 1846 aus Berlin aus. Sie gefährde mit ihren Ansichten über die Ehe die öffentliche Ordnung. Es würde nicht das letzte Mal sein, dass sie ausgewiesen wurde.

Dennoch war sie in den Jahren 1846 bis 1850 enorm produktiv, schrieb in dieser Zeit drei Romane, mehrere Gedichtbände und gründete die Zeitschrift „Der Freischärler für Kunst und soziales Leben“. Ihr wichtigstes Werk jedoch ist ihre Streitschrift „Meine Emanzipation, Verweisung und Rechtfertigung“ nach ihrer ersten Ausweisung. Intelligent, scharfsinnig, humorvoll und weitblickend klagt sie darin die Zustände an. Sie will zu deren Veränderung beitragen, nicht nur mit Worten. Nein, sie ist aktiv, lebt ihre Vorstellung, und das wird ihr zum Verhängnis.

Heutige Leserinnen werden ihre Romane bestenfalls gewöhnungsbedürftig finden. Ihr Schreibstil ist schwülstig, kitschig, kaum lesbar. Inhaltlich aber brachte sie ihre Botschaften unters Volk und traf dennoch den Zeitgeschmack. Louise Aston wollte und musste von ihren Publikationen leben. Es ist also anzunehmen, dass sie alles dafür tat, viele Leserinnen zu erreichen. Ihre Gedichte dagegen sind, wenn auch schlicht im Reim, kraftvoll und geeignet zur politischen Agitation. Und im „Freischärler“ nahm sie kein Blatt vor den Mund, schrieb trotz aller Schikanen nicht unter Pseudonym. In ihrem letzten Roman „Revolution und Konterrevolution“ beschrieb sie die Ereignisse während der Märzrevolution und die sich anschließende Restauration so faktenreich, dass Barbara Sichtermann wohl nicht zu Unrecht vermutet, sie habe im März 1848 selbst auf den Berliner Barrikaden gekämpft.

Nach der Niederschlagung dieses kurzen Kampfes, der 300 Menschen den Tod brachte, schloss sich Louise Aston einem der zahlreichen Freikorps an, die für die Einheit Deutschlands im Schleswig-Holstein-Feldzug gegen die Dänen kämpften. Die Märzrevolutionäre unterstützten diesen Krieg, um die Nationalversammlung, die in der Paulskirche tagte, zu stärken. Sie erhofften sich davon mehr Freiheit, mehr Rechte und mehr Einfluss auch für die größer werdende Arbeiterklasse. Sie arbeitete als Krankenschwester und traf dabei ihre große Liebe und späteren Ehemann, den Arzt Daniel Eduard Meier. Die Konterrevolution siegte, das Parlament löste sich auf. Louise bezeichnet die Abgeordneten als Verräter. Wieder wird sie verfolgt und ausgewiesen, ihr Mann steht ihr bei, verliert darob seine Anstellung als Arzt in Bremen. Ein langes Wanderleben durch den Osten Europas beginnt. Am 21. Dezember 1871 stirbt sie, vermutlich an Tuberkulose in Wangen.

Barbara Sichtermann erzählt in ihrer „Hommage an Louise Aston“ von einer in jeder Hinsicht mutigen Frau, deren Radikalität zu früh für ihre Zeit kam. Damals wurde sie schnell wieder vergessen, heute muss sie dem Vergessen entrissen werden. Sichtermann gelingt das. „Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott“ ist eine ebenso lesenswerte wie leicht, ja spannend zu lesende Biographie, der viele Leserinnen zu wünschen sind.

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"Eine unbeugsame Frau", UZ vom 2. März 2018



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