Der Alternative Nobelpreis ist zweifellos bekannter als die Liste seiner Preisträger. Sie umfasst eine breite Palette von Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten. Zu den weithin bekannten Preisträgern gehören Daniel Ellsberg und Edward Snowden. Dazu gehört auch die türkische Zeitung Cumhuriyet. Sie erhielt 2016 den Preis für ihren mutigen Kampf um die Pressefreiheit in der Türkei, als sie über Waffenlieferungen türkischer Geheimdienste an die Dschihadisten in Syrien berichtete. Und diejenigen, die die Empfänger dieser Waffen unterstützen, nämlich die syrische Organisation der „Weißhelme“ – erhielt den Preis im selben Jahr.
Roger Waters – früher Mitglied der Rockband Pink Floyd – sorgte 2018 auf einem Konzert in Madrid für Aufsehen: Er sprach über die Situation in Duma in Syrien, als die letzten Dschihadisten von der syrischen Armee vertrieben wurden. Die Organisation „The Syria Campaign“, die die Medienkampagne der „Weißhelme“ durchführt, hatte ihn aufgefordert, über das Schicksal der Kinder und die Helden der „Weißhelme“ zu sprechen. Stattdessen nannte er die „Weißhelme“ eine Scheinorganisation, die nur dazu diene, Propaganda für Dschihadisten zu machen.
Die Kuratoren des Alternativen Nobelpreises dagegen nannten sie einen „Rettungsanker und seltene Quelle der Hoffnung für die leidende Zivilbevölkerung“. Ihre Zusammenarbeit mit den Dschihadisten, ihre Finanzierung durch die Staaten, die den Krieg gegen Syrien organisierten, und ihre Propaganda für eine Flugverbotszone wurden von ihnen ausgeblendet. Dies war einer der größten Erfolge einer Medienkampagne, die absolut professionell gestaltet war.
Vor dem Vater gerettet
Videos und Geschichten, die die Zuschauer emotional berühren, sind nicht neu in der Propaganda für den Krieg. Eines der bekannteren Beispiele ist die unter Tränen vorgetragene „Brutkastenlüge“, die den Boden für den Krieg gegen den Irak wegen der Besetzung von Kuweit förderte. Sie wurde von der PR-Agentur Hill & Knowlton inszeniert. Auch die Videos der „Weißhelme“ nutzen immer wieder diesen Weg zum Erfolg in der Kriegspropaganda.
Eine der bekanntesten Geschichten um die „Weißhelme“ beschreibt die Rettung des fünfjährigen Omran aus den Trümmern eines Hauses in Aleppo. Sein Bild in einem Rettungswagen ging um die Welt und rührte Kommentatoren und Zuschauer zu Tränen. Betrachten wir das Video seiner Rettung etwas distanzierter, sehen wir die Methode. Ein junger Mann trägt Omran in den Rettungswagen, setzt ihn auf einen Sitz und präsentiert ihn damit der Kamera. Keine verwackelten Bilder, eine klare Regie ist erkennbar. Aus der dunklen Nacht von Aleppo wird er ins Licht der Medien geführt. Der Junge weiß nicht, wie ihm geschieht.
In diesem so bedeutenden Fall gibt es eine zweite Stimme. Der Vater von Omran meldete sich, nachdem die Dschihadisten vertrieben waren und erzählte, wie er diese Nacht erlebt hatte: „Ich war mit meiner Familie zusammen, als unser Haus bombardiert wurde. Ich wurde verletzt, aber mein Sohn war unverletzt. Die Terroristen nahmen ihn mir weg und machten die Fotos.“
Tatsächlich zeigte das offizielle „Rettungsvideo“ nicht, dass Omran in irgendeiner Weise gerettet wurde – alles entsprach der Beschreibung des Vaters. Die „Weißhelme“, die die Aufnahmen gemacht hatten, zogen mit den Dschihadisten nach Idlib ab.
Übertrieben
Anders als die Rettungsarbeit und die medizinische Hilfe der „Weißhelme“, die oft dilettantisch ist, ist ihre Medienarbeit professionell. Bei einem Budget von dutzenden Millionen Dollar ist das nicht überraschend.
Nur in einem Fall überzogen sie ihre Aktivität. Das bizarre Video einer Rettungsaktion durch „Weißhelme“ als „Mannequin-Challenge“ – ein Internet-Trend – zeigt, wie sehr bei den Videos der „Weißhelme“ Realität und Fiktion vermischt und inszeniert werden, um Wirkung zu erzielen. Die Szenen im Video der „Mannequin-Challenge“ sind von einer der anderen inszenierten Rettungsaktionen nicht zu unterscheiden. Das Video der „Mannequin-Challenge“ stellt die Authentizität aller ihrer Videos in Frage – deshalb wurde es von der Organisation der „Weißhelme“ kurz nach Veröffentlichung wieder gelöscht.
„Russische Propaganda“
Sie sind von NATO-Staaten finanziert, in der Türkei trainiert und handeln, wie immer wieder dokumentiert, in Personalunion mit Dschihadisten. Sie waren beteiligt, als Terroristen die Wasserversorgung von Damaskus mit seinen 5 Millionen Einwohnern unterbrochen haben. Und doch hält sich das Bild der „Helden“ in den Medien bis heute. Kritik an den „Weißhelmen“ wird immer wieder aktiv bekämpft und als „russische Propaganda“ abgetan. Dabei tut sich der „Spiegel“ besonders hervor, der einen Artikel über „Russlands Feldzug gegen die Wahrheit“ veröffentlichte und unter anderem die Organisation SWEDHR angriff, die „Swedish Doctors for Human Rights“. Sie seien in Schweden nie in Erscheinung getreten, sondern erst international bekannt geworden, seit sie von Dutzenden Kreml-kontrollierten Medien zitiert wurden.
Es ist schon etwas Wahres am Vorwurf, sie seien nur über Kreml-kontrollierte Medien bekannt geworden. Denn sie vertreten Positionen, die in den Mainstream-Medien keinen Platz haben dürfen.
„In ihren Statements erklärten sie dort, dass die „Weißhelme“ ihre Opfer erfinden, Kinder töten würden und ein Propagandainstrument der NATO seien“, schreibt der „Spiegel“. Tatsächlich zeigt die Analyse der SWEDHR, dass bestimmte Aktivitäten der „Weißhelme“ in einem Video inszeniert sind. Unter anderem geht es um die Behandlung eines Babys mit einer Injektionsspritze, aus der tatsächlich nichts injiziert wird. Genau dieses Video wurde im UN-Sicherheitsrat gezeigt und rührte die US-Botschafterin Nikki Haley „zu Tränen“ – schon wieder.
Der „Focus“ steht dem „Spiegel“ nicht nach. Als Professor Günter Meyer seine kritische Sicht auf die „Weißhelme“ darlegte, titelte der Focus: „Syrien-Experte verbreitet Propaganda in ARD-,Mittagsmagazin‘ – und liefert keine Beweise“.
Strafe für Kritik
Wie wütend Medien und Institutionen gegen diejenigen vorgehen, die ein Bild der „Weißhelme“ zeichnen, das der zulässigen Meinung widerspricht, zeigen auch die Vorgänge um den „Schweizer Presseclub“.
Mitte November 2017 bat die ständige Vertretung Russlands in Genf den „Presseclub“ eine Pressekonferenz zum Thema „Weißhelme“ durchzuführen. Noch bevor die öffentliche Einladung zur Konferenz erfolgt war, bauten die „Weißhelme“ Druck auf. Ein Tweet der Dachorganisation der „Weißhelme“ in London fordert den Geschäftsführer des Presseclubs dazu auf, sich über diese Veranstaltung zu erklären und anzugeben, wer sie organisiere und mit welchem Ziel.
Dennoch fand am 28. November die Pressekonferenz im geplanten Rahmen und mit etwa 60 Teilnehmern statt. Es folgte eine Kampagne mit dem Ergebnis: Ein Mitglied der Finanzkommission des Kantonsrats forderte bei der Verabschiedung des kantonalen Budgets 2018 eine Änderung, um die Subventionen des „Schweizer Presseclubs“ (100 000 Franken) zu annullieren. Sein Antrag wurde mit knapper Mehrheit angenommen.
Hunderttausend Franken Strafe für die Veröffentlichung kritischer Stimmen zu den „Weißhelmen“ – das ist bitter. Zum Glück gab es in diesem Fall ein Happy End. Nach verschiedenen Gesprächen gelang es dem Presseklub, die Entscheidung des Kantonsrates rückgängig zu machen.
Anders geht es kritischen Journalisten wie Karin Leukefeld, die dem erlaubten Bild widersprechen. Sie verlieren Aufträge im öffentlichen und privaten Fernsehen.
Märchen von weißen Rittern
Nominiert für den Friedensnobelpreis, den alternativen Nobelpreis erhalten und in einem Video gefeiert, das einen Oscar erhielt – die Arbeit von The Syria Campaign feierte Erfolge. Sie hat die Millionen Dollar von Regierungen und Milliardären eingesetzt für eine Medienkampagne, die ihresgleichen sucht. Ihre Erzählung von den Helden, den weißen Rittern im Kampf gegen Elend und Not – und gegen die syrische Regierung – fiel auf fruchtbaren Boden. In Medien, bei Prominenten und auch weit in die Reihen der Linken hinein.
Durchsetzen wird sie sich nicht: Die Inszenierung von „The Syria Campaign“ findet ihr Ende, sobald die Dschihadisten auch aus Idlib, der letzten Hochburg der „Weißhelme“, vertrieben sind.
Militärs und Milliardäre
Wer steht hinter den Weißhelmen?
Organisiert hat die Medienkampagne der Weißhelme die Organisation „The Syria Campaign“, die von Vertretern von „Purpose“ initiiert und beeinflusst wurde. Und wer ist „Purpose“? „Purpose“ sagt über sich selbst: „Wir nutzen öffentliche Mobilisierung und Storytelling. Wir schaffen Initiativen, die die Politik beeinflussen und die öffentliche Wahrnehmung ändern können – wenn es darauf ankommt.“
„Purpose“ will Politik beeinflussen und verändern – in welche Richtung? Einer der Gründer von „Purpose“, Jeremy Heimans, sagt von sich, er habe mit 8 Jahren seine erste Medienkampagne geführt. Später war er Mitbegründer von „Avaaz“. Auch „Avaaz“ ist eine Organisation, die Politik ändern möchte. Eine ihrer Kampagnen drehte sich um die Forderung, eine Flugverbotszone gegen die libysche Luftwaffe zu verhängen. War es eine Forderung oder war es vielmehr Propaganda in höherem Auftrag? Das Ergebnis ist jedenfalls bekannt – die völlige Vernichtung des libyschen Staates durch die Luftwaffe der NATO. Eine der zentralen Forderungen in der Arbeit von „The Syria Campaign“ und den „Weißhelmen“ war, gegen Syrien ebenfalls eine Flugverbotszone zu verhängen. Dank des Widerstandes von Russland und China blieb diese Kampagne erfolglos.
„The Syria Campaign“ wurde massiv von Ayman Asfari finanziert und beeinflusst, einem britischen Milliardär mit syrischen Wurzeln. Er hatte beste Beziehungen zum Weißen Haus – und zur „Syrian National Coalition“, der größten syrischen Oppositionsgruppe.
Die „Weißhelme“, für die „The Syria Campaign“ die Medienkampagne führt, wurden von Regierungen der NATO-Staaten finanziert (darunter Deutschland mit 12 Millionen Dollar) und von USAID – der US-Behörde für Entwicklungshilfe. Sie zahlte bis 2018 32 Millionen Dollar. Über USAID hieß es im britischen „Guardian“, die Organisation habe unter anderem an einem Regime Change in Kuba gearbeitet. All das verbietet jede Behauptung einer „Neutralität“ der „Weißhelme“. Dieser Meinung sind auch neoliberale Politiker der USA. Das McCain-Institut ist ein neoliberaler Think-Tank, und sein Sedona Forum verlieh den „Weißhelmen“ 2018 einen Preis. Die Preisverleihung fand buchstäblich unter dem Beifall des damaligen CIA-Chefs Mike Pompeo statt, der geladener Gast war. Das McCain-Institut und Pompeo wussten: Die „Weißhelme“ stehen auf ihrer Seite.
Die „Weißhelme“ wurden 2013 in der Türkei gegründet, aktiv sind sie nur in Gebieten, die unter Kontrolle von Dschihadisten stehen. Ihr Gründer war James Le Mesurier, ein ehemaliger britischer Soldat, der später in internationalen Einsätzen als Sicherheitsexperte gearbeitet hat. In einem Interview mit „Al Jazeera“ sprach er über die Gründung der Organisation: „Die ‚Weißhelme‘ begannen zu Beginn des Jahres 2013 als Organisation von damals 20 Freiwilligen, die von den türkischen Ausbildern und mir trainiert wurden.“ James Le Mesurier selbst rühmt die „Weißhelme“ dafür, dass unter den später fast 3 000 Mitgliedern niemand war, der zuvor bei Feuerwehr, Polizei oder dem syrischen Zivilschutz gearbeitet hatte. Auch das spricht gegen die behauptete Neutralität der „Weißhelme“. Für eine neutrale Hilfsorganisation wäre jeder bereits ausgebildete Feuerwehrmann ein Gewinn gewesen.
Wie die Finanzierung war auch das (vorläufige) Ende der „Weißhelme“ eine internationale Angelegenheit. Nachdem die syrische Armee die Dschihadisten endgültig aus dem Süden Syriens vertrieben hatte, fand eine außergewöhnliche Rettungsaktion statt. Auf höchsten Befehl – die Planungen begannen auf dem NATO-Gipfel im Juli 2018 – wurden fast 500 Personen aus Syrien evakuiert. Der Weg: über den Golan nach Israel und von dort nach Jordanien. Die Evakuierten waren „Weißhelme“ und ihre Familien.
mz