Jerome Leroys Roman „Der Block“ blickt in das Innenleben einer faschistischen Partei

Eine Nacht in Paris

Von Bee

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Jérôme Leroy

Der Block

Kriminalroman

Aus dem Französischen

von Cornelia Wend

Edition Nautilus, Hamburg 2017

320 Seiten, 19,90 Euro

Zwei Männer, Antoine und Stanko, verbringen die Nacht schlaflos einige Kilometer voneinander entfernt. Sie warten. Und erinnern sich ihrer Lebensgeschichten, die sie einst zu Freunden machte. Stanko wartet in einem dreckigen Hotelzimmer auf seine Mörder, Antoine in seiner edlen Stadtwohnung auf die Nachricht vom Tod seines Kumpanen.

Antoine Maynard, Sohn ehrenwerter Christdemokraten, Enkel eines Résistancekämpfers und Kommunisten, ist der Ehemann von Agnes Dorgelles, Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei „Bloc patriotique“. Schon als Kind wurde bei ihm eine manifeste Gewaltbereitschaft und fehlende Empathie diagnostiziert. Er liebt Bücher, liest vor allem faschistische Literatur der 20er und 30er Jahre, war Lehrer an einer Militärakademie, ambitionierter Schriftsteller und ist jetzt der intellektuelle Kopf und Stichwortgeber des „Blocks“. Antoine ist ein zynischer, bourgeoiser Geck, der Selbstgefälligkeit, moralische Attitüde und die allgegenwärtige Vergnügungssucht verabscheut. Gleichzeitig ist er Agnes sexuell verfallen. Sein Monolog beginnt mit dem Bekenntnis: „Letztlich bist du also wegen der Möse einer Frau Faschist geworden.“

Stanko, Sohn eines kommunistischen Gießereiarbeiters, ist sein glattes Gegenteil. Sein Vater arbeitete bei Usinor in Denain, dem ersten französischen Betrieb, der Mitte der siebziger Jahre Massenentlassungen vornahm. Der Vater nahm sich das Leben, der Sohn wusste sich nur mit Gewalt gegen die Ohnmacht zu wehren. Und traf dabei auf die falschen Propheten. Beim Militär als Fallschirmspringer ausgebildet, traf er auf legendäre Söldnerführer, ehemalige Angehörige der französischen Freiwilligenlegion (LVF), die später in der SS-Brigarde „Charlemagne“ aufgegangen ist, und weitere Kriegshelden. Sie alle gehören zum inneren Kreis um Roland Dorgelles, Gründer des „Bloc patriotique“. Stanko ist ein Skin, Schläger, Rassist, Kommunistenhasser. Mit Antoine verbindet ihn eine jahrzehntelange Freundschaft und dessen immer wieder ausbrechende Lust an Gewalt.

Es ist eine Zeit bürgerkriegsähnlicher Zustände in Frankreich. Die Aufstände in den Banlieus breiten sich immer weiter aus, die Polizei geht immer brutaler dagegen vor, die Zahl der Toten steigt kontinuierlich. Die Staatsmacht hat die Lage nicht mehr unter Kontrolle. In dieser Situation verhandelt Agnes über eine Regierungsbeteiligung. Anders als ihr Vater Roland Dorgelles, von dem sie das Amt übernommen hat, setzt sie auf gemäßigte Töne. Sie will auch die Mitte. Die Hilflosigkeit der rechtskonservativen Regierung ist ihr Schlüssel zur Macht. Sie will das Präsidentenamt, das ihrem Vater Jahre zuvor versagt blieb. Dafür nimmt sie auch die Bedingung des Geheimdienstes in Kauf, Stanko auszuschalten. Antoine widersetzt sich nicht. Ihm winkt ein Staatssekretärsposten, der ihn in die Lage versetzen wird, sich für Schmähungen der „Schickeria-Linken“ zu rächen.

Jerome Leroy beschreibt in „Der Block“ Strukturen, Strategien und Methoden einer faschistischen Partei. Dass es sich dabei um den Front National und sein Führungspersonal handelt, ist selbst für Deutsche leicht zu erkennen. Zeitlich ist der Roman auf diese eine Nacht beschränkt. In den Monologen der beiden Hauptfiguren wird der Aufstieg der Partei nachgezeichnet. Von der gelungenen Vereinigung der zersplitterten extremen Rechten durch Jean-Marie Le Pen bis zum verbalen Kurswechsel durch seine Tochter Marine, der den FN auch fürs bürgerliche Lager wählbar machte. Es wird klar, dass auch rechtsextreme Parteien kein monolithischer Block sind. Das gilt für den FN ebenso wie für die AFD, Geert Wilders‘ PVV in den Niederlanden und all die anderen. Es gibt unterschiedliche Milieus, die aus unterschiedlichen Gründen zusammen kommen. Gelenkt nicht von Ideologie, sondern von Hass, Angst, Herrenmenschendenken und Machtgeilheit. Antoine und Stanko verkörpern die widerstreitenden Interessen eines faschistischen Bündnisses.

Erzählen lässt Leroy den einen, Stanko, aus der Ich-Perspektive, also „Ich empfinde in dieser Nacht nichts als Hass“. Antoine redet mit sich selbst, „Du bist wegen der Möse einer Frau Faschist geworden“. Das ist zunächst etwas irritierend. Dennoch, ein genialer Schachzug. Denn eventuell aufkommende Sympathien werden durch die Distanz des Du und die Nähe des Ich immer wieder in Frage gestellt. Und Leroy findet für beide den richtigen Ton. Stankos Sprache ist vulgär, gehässig, voller Gewalt. Antoine vergewissert sich in wohlgesetzten Worten seiner eigenen Wahrheit. Er outet sich als Opportunist. „Er weiß, dass die Einzigen, die mit ihrer Analyse richtig liegen, die Roten sind. Die Kommunisten, aber keiner hört ihnen mehr zu …“ Das hindert ihn nicht die Wahlkampfparole auszugeben „Weder Kapitalist noch Sozialist: Patriot.“

Jérôme Leroy, langjähriges Mitglied der PCF, arbeitete viele Jahre als Französischlehrer im industriellen Norden Frankreichs. Der Front National kommt in dieser von Arbeits- und Perspektivlosigkeit geprägten Region auf etwa 40 Prozent der Stimmen. Er hat erlebt, wie die Rechte langsam, aber sicher die kulturelle Hegemonie übernimmt. „Der Block“ ist ein grandioser Roman, der den Leser zwingt, seine eigenen Positionen und Haltungen zu hinterfragen. Es ist kein Krimi, eher ein aufwühlender Blick hinter die Fassade einer sich bürgerlich gebenden Partei. In Frankreich schon 2011 erschienen, kommt er für uns zur rechten Zeit.

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"Eine Nacht in Paris", UZ vom 5. Mai 2017



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