Vor 50 Jahren: Streik bei Ford in Köln

„Eine Mark mehr für alle“

Marco Gaetano

„Arbeitswillige Deutsche haben nach vier Tagen den wilden Streik bei Ford in Köln beendet. Sie jagten die kommunistischen Rädelsführer aus dem Werk, die tagelang türkische Arbeitnehmer aufgehetzt hatten.“ Mit solchen Lügen – hier zitiert aus der „Bild“-Zeitung – „berichtete“ die bürgerliche Presse über einen mehrtägigen Streik im August 1973 im Kölner Ford-Werk. Die Öffentlichkeit wurde über die wahren Ursachen des Streiks getäuscht und aufgehetzt. Es gelang, die Belegschaft zu spalten.

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(Foto: Klaus Rose)

Ursächlich für den Ausstand waren keine „wilden Türken“, angestachelt von „kommunistischen Rädelsführern“. Vielmehr verringerte schon seit 1972 eine Inflation von 8 Prozent die Kaufkraft der Löhne und Gehälter; Lohnsteuer, Renten- und Krankenkassenbeiträge wurden erhöht. Gleichzeitig stiegen die Preise der Energieversorgung. Für die Unternehmer sprudelten die Gewinne: Die Adam Opel GmbH beispielsweise konnte durch eine Steigerung der Arbeitsproduktivität ihren Jahresüberschuss 1972 um 80 Prozent auf 471 Millionen DM erhöhen. Die IG Metall ließ sich im Rahmen der „Konzertierten Aktion“ in die „Stabilitätspolitik“ der Regierung Brandt einbinden. Entsprechend bescheiden waren die Tarifabschlüsse: Die „8,5 Prozent Lohnerhöhung am Jahresanfang brachten für die Beschäftigten der Metallindustrie eine Reallohnsenkung“, stellten die „Roten Blätter“ des Marxistischen Studentenbunds Spartakus fest.Vor diesem Hintergrund wuchs die Unzufriedenheit in den Belegschaften. Im Jahr 1973 gab es eine Welle „wilder Streiks“ in der BRD. Um die 300.000 Beschäftigte nahmen an 400 spontanen Arbeitsniederlegungen in mehr als 100 Betrieben teil. Charakteristisch war die aktive Teilnahme zehntausender ausländischer Arbeiter. Einer der bekanntesten ist der fünftägige Streik im Kölner Ford-Werk im August 1973.

Dort arbeiteten rund 31.000 Beschäftigte, davon etwa 24.000 Arbeiter. Rund 13.000 von ihnen waren Kollegen aus dem Ausland – sogenannte „Gastarbeiter“, die meisten kamen aus der Türkei. Bezeichnend waren die besonders intensive Ausbeutung dieser Gruppe und die strukturelle Spaltung der Belegschaft je nach der Herkunft. Während die ausländischen Kollegen überwiegend als Vertragsarbeiter angestellt waren, waren die Deutschen festangestellt. Zudem wurden die „Gastarbeiter“ in den untersten Lohnstufen angesiedelt, während die deutschen Kollegen etwas darüber lagen. Trotzdem mussten sie die anstrengendste Fließbandarbeit mit hohen Taktzeiten verrichten. Zudem verstanden die türkischen Kollegen kaum ein Wort Deutsch. Sie waren sowohl in ihren Quartieren als auch am Arbeitsplatz unter sich und damit isoliert. Die UZ stellte damals fest: „Sie leben im Ghetto.“

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(Foto: Klaus Rose)

Zunächst war der Streik, der auf der Spätschicht am 24. August 1973 begann, eine gemeinsame Arbeitsniederlegung tausender Beschäftigter, unabhängig von ihrer Nationalität. Ausgelöst wurde er durch die türkischen Kollegen. Der Anlass war die Entlassung einiger hundert Türken, die zu spät aus ihrem Heimaturlaub gekommen waren. Die „Verbliebenen“ sollten die Mehrarbeit tragen. Es gab aber auch so genügend Zündstoff – dazu gehörten die besonders intensive Ausbeutung der ausländischen Kollegen, hohe Bandgeschwindigkeiten und Reallohnverlust.

Zentrale Forderungen der Streikenden waren: eine D-Mark mehr pro Stunde, Senkung des Arbeitstempos, Rücknahme der Entlassungen. Am Montag, dem 27. August, wurde der Streik fortgesetzt. Der Betriebsrat und der Vertrauensleutekörper der IG Metall waren nicht gewillt, sich an die Spitze des Streiks zu stellen. Sie versäumten es auch, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Das hatte fatale Auswirkungen: Die Beschäftigten bekamen „keine zuverlässigen Informationen und waren auf die Falschmeldungen der Geschäftsleitung angewiesen“, so die „Roten Blätter“. Eine „selbsternannte Streikleitung“ unter „Einfluss zweier Maoisten“ trug mit „gewerkschaftsfeindlichen Parolen“ („Arbeiterverräter“) dazu bei, dass das Märchen der Geschäftsleitung, „linke Chaoten“ hätten „die Türken aufgewiegelt“, umso leichter verfing.

Je länger der Ausstand dauerte, desto weniger Deutsche nahmen teil. Die DKP-Betriebszeitung „Der Prüfstand“ erschien während der vier Streiktage siebenmal auf Türkisch, Italienisch und Deutsch. Einen nennenswerten Einfluss auf das Geschehen konnte sie nicht entwickeln – zu gering war die Verankerung im Betrieb.

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Der Streik wurde infolge einer Provokation am Donnerstagmorgen gewaltsam niedergeschlagen. Manager, Werkschutz und Meister verkleideten sich als „Arbeitswillige“ und „demonstrierten“. Es kam zum Zusammenstoß mit einer Demonstration der Streikenden. 18 Arbeiter wurden krankenhausreif geprügelt. Die „zur Hilfe“ gerufene Polizei verhaftete 26 Kollegen. Der Streik, der als eine gemeinsame Aktion aller Ford-Arbeiter begonnen hatte, war zusammengebrochen.

Die DKP hatte die Forderungen von Anfang an unterstützt. Im Nachgang wurde in der UZ kritisiert, dass „der Vertrauensleutekörper nicht die Führung dieses Streiks übernahm“. Die Kommunisten betonten, eine einheitlich handelnde Gewerkschaft sei unverzichtbar. Es gelte auch, „das Vertrauen der ausländischen Arbeiter, die zu über 60 Prozent gewerkschaftlich organisiert sind, in die Gewerkschaft zu stärken“.

Als Ergebnis des mehrtägigen Ausstands konnten 280 DM Teuerungszulage und eine Bezahlung der Streiktage verbucht werden. Die Forderung nach einer Verringerung des Arbeitstempos konnte die IG Metall im Oktober 1973 erkämpfen, als sie den „Lohnrahmentarifvertrag II“ abschloss, der für die Beschäftigten am Fließband Anspruch auf eine Erholungs- und Pinkelpause festschrieb.

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"„Eine Mark mehr für alle“", UZ vom 11. August 2023



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