Die „Rede zur Lage der EU“ kann von den Misserfolgen nicht ablenken

Eine magere Bilanz

Nur wenige Erfolge konnte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer ersten „Rede zur Lage der Europäischen Union“ vorweisen. Und dies konnte auch nicht anders sein, befindet sich doch die EU in einer ihrer tiefsten Krisen. Die Liste der Rückschläge ist lang:

Im Januar 2020 verließ Großbritannien die EU. Die Verhandlungen mit London über ein Freihandelsabkommen treten auf der Stelle, und nun hat das britische Unterhaus sogar die im Austrittsabkommen vorgesehene besondere Behandlung Nordirlands teilweise aufgekündigt – ein beispielloser Affront gegenüber Brüssel!

Während die Union mit Großbritannien ihr zweitwichtigstes Land verlor, kommt ihre Erweiterung um die Staaten des Westbalkans nicht voran. Hier blockiert Frankreich. Und es ist bezeichnend, dass Serbien und das Kosovo ausgerechnet im Washingtoner Amtszimmer von Donald Trump und nicht in Brüssel ein Abkommen über eine Normalisierung ihrer Beziehungen unterzeichneten.

Auch in der Migrationspolitik tritt die Union auf der Stelle. Die schon seit 2015 versprochene Regelung einer EU-weiten Verteilung von Flüchtlingen und Migranten will einfach nicht gelingen. Daran ändert auch der Brand im griechischen Lager Moria nichts. Inzwischen verweigern sich nicht allein Polen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn einer Aufnahmeregelung, auch Österreich und die Niederlande zeigen sich immer reservierter.

Am Augenfälligsten zeigte sich die Schwäche der EU in der Corona-Krise. Während die Mitgliedstaaten Wirtschaft und öffentliches Leben im März herunterfuhren, wurde die EU nahezu unsichtbar, und wo sie sich zu Wort meldete, stand sie den auf nationaler Ebene ergriffenen Maßnahmen im Wege. Das Beharren der Kommission auf offene Binnenmarktgrenzen wurde denn auch schlicht ignoriert. Auch die in den europäischen Verträgen garantierte Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU galt in der Krise nur noch eingeschränkt.

Erst die Einigung des Europäischen Rats Ende Juli über das Programm „Next-Generation EU – für einen Wiederaufbau nach der Pandemie“ brachte die Union ins Spiel zurück. Der Kommission wurde dafür erstmals gestattet, Kredite auf den Finanzmärkten aufzunehmen. Doch es ist fraglich, wie dieses Programm dem Wiederaufbau überhaupt nutzen kann, sollen die Mittel doch zu einem erheblichen Teil in Projekte des „Green Deal“ und hier vor allem zur energetischen Sanierung von Gebäuden sowie für den digitalen Ausbau fließen. Davon werden aber vor allem Bau- und Internetkonzerne profitieren – Unternehmen also, die gut durch die Krise gekommen sind.

Es ist vor allem dieser „Green Deal“, mit dem die Kommission punkten will. Doch hier geht es zunächst um Absichtserklärungen, so etwa um das Ziel, die Union bis 2050 klimaneutral zu machen. Die Politiker, die das jetzt vollmundig versprechen, werden aber bis dahin mit Sicherheit längst vergessen sein. Zudem wurde das große Ziel inzwischen relativiert: Die Kommission will, anders als bisher, den positiven Effekt berücksichtigen, den CO2-Senker wie Wälder auf das Klima haben. Doch wie soll das gemessen werden, wer zählt die Bäume Europas, wer misst dort die Menge des eingelagerten CO2?

Ernster zu nehmen ist da schon das in der Rede Ursula von der Leyens verkündete Ziel, die Reduzierung des CO2-Ausstoßes bis 2030 auf 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu setzen – bisher wurden 40 Prozent angestrebt. Doch hier ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. So warnte der mächtige Bundesverband der Deutschen Industrie davor, „der Industrie nach der Corona-Krise jeden Spielraum zu nehmen“.

Es ist somit nur eine magere Bilanz, die Ursula von der Leyen präsentieren konnte. Doch zumindest nach außen zeigte sie sich ganz entschlossen: Ihre Kritik an angeblichen Menschenrechtsverletzungen in Russland und China fiel hart aus. Doch in der Außenpolitik hat die Union – mangels Einigkeit der Mitgliedsländer – bekanntlich nicht viel zu sagen.

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"Eine magere Bilanz", UZ vom 25. September 2020



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