Warum man das Schlemmen nicht der Bourgeoisie überlassen darf

Eine kurze Kaffee-Geschichte der DDR

Michael Polster

Kaffee ist Kult – und Kulturgut. Die Geschichte der berühmten Bohnen reicht zurück bis ins 9. Jahrhundert. Heute ist Kaffee eines der am meisten konsumierten Getränke der Welt. Die Brutalität der Börsenspekulanten, die den Rohstoffpreis nach Belieben peitschen, führte zu einer weltweiten Konzentration des Kaffeemarkts. Die Kaffeepreise wurden und werden von den globalen Handelsbedingungen und den politischen Ereignissen beeinflusst. Für viele Menschen war Kaffee ein Luxusgetränk und damit der „gute Bohnenkaffee“ nicht für alle erschwinglich. Die arbeitende Bevölkerung des 19. und 20 Jahrhundert musste sich mit „Muckefuck“, dem Ersatzkaffee, der nicht nur viele Namen, sondern auch eine lange Geschichte hat, begnügen. Die guten Bohnen gab es nur Sonntags oder an Feiertagen. Zwischen 1945 und 1989 besaß Kaffee als Wohlstandsindikator in Ost und West einen hohen Symbolwert im individuellen und gesellschaftlichen Selbstverständnis. Kaffee war Bestandteil des internationalen Klassenkampfes und hatte somit oberste Priorität bei den Regierenden der DDR.

1976/77 kam es in der DDR zur sogenannten Kaffeekrise. Der Marktpreis für Kaffee stieg aufgrund von Missernten in Brasilien derart, dass weltweit Versorgungsengpässe auftraten. Auch in der DDR hatte sich der Kaffeeverbrauch erhöht. Da es aber ein Devisen verschlingendes Handelsgut war, waren Versorgungsengpässe programmiert. Abhilfe suchte die Regierung in Bather-Geschäften zum Beispiel mit den jungen afrikanischen Staaten und dem Versuch, den enormen Verbrauch in der Bevölkerung mit einem Kaffeeersatzprodukt, dem sogenannten „Kaffee-Mix“ Abhilfe zu schaffen. Dem lag die Idee des Kaffee-Surrogates zugrunde. Doch erboste Bürger schickten Eingaben und Beschwerden nach Berlin – und der Kaffee-Mix verschwand nach zwei Jahren wieder vom Mark. Es lag nicht an dem Geschmack, die in dem Mix mit verwendeten Erbsenbestandteile führten dazu, dass die Düsen und Filter der Kaffeemaschinen verstopften und teilweise zur Zerstörung der Maschinen führten. Gut gedacht, schlecht gemacht.

Der Hallenser Georg Jarczewski, ehemals Teil der Leitung des Kombinates Nahrungsmittel und Kaffee, betreibt in der ehemaligen Waschküche seines Wohnhauses ein kleines privates Mini-Kaffee-Museum. Zu sehen sind zahlreiche Exponate zu seiner eigenen Kaffeegeschichte und der der DDR, die mit der Sozialistischen Republik Vietnam unmittelbar verbunden ist. Die Idee des Kaffeeimports aus Vietnam hatte er maßgeblich mit vorangetrieben. Das vietnamesische Hochland bietet ideale Bedingungen für den Kaffeeanbau.

In den Jahren der sich abzeichnenden Kaffeekrise in den 1980er Jahren schlossen die Regierung der DDR und ebenso weitere sozialistische Staaten einen Vertrag zur Erforschung des Kaffeeanbaus vor Ort ab, um für die Zukunft – einen Zeitraum von 20 Jahren – eine stabile Kaffeerohstoffbasis und eine Unabhängigkeit von den Weltmarktpreisen zu besitzen. In Vietnam hatte man schon mal Kaffee in kleinen Mengen angebaut, in den 1920er Jahren unter französischer Kolonialherrschaft. Zwei Regierungsabkommen zwischen der DDR und Vietnam wurden 1980 und 1986 geschlossen. Sie sahen den Anbau von Robusta-Bohnen auf einer Fläche von 8.600 Hektar im Hochland vor, die DDR lieferte dazu die Kaffeepflanzen, 18.000 Tonnen Ausrüstungen und die entsprechenden Agrarexperten. Gebaut wurde ein System von Lagerräumen mit einer Kapazität bis zu 5.000 Tonnen, 100 Kilometer befestigte Wege und 35 Kilometer Asphaltstraßen wurden gebaut. Ein Schulsystem für Grund-, Mittel – und Oberschule, ein Zentralkrankenhaus und Versorgungseinrichtungen für Waren des täglichen Bedarf wurden errichtet. Kindergärten wurden eingerichtet und organisiert, um ein normales Leben der Kombinatsangehörigen und ihrer Familien zu gewährleisten.

Die von der DDR dafür ausgereichten Kredite sollten aus der Ernte des Kombinats zurückgezahlt werden. Mehrere Jahre waren geplant, bis die ersten Erträge der Pflanzen erwartet werden konnten. Die Setzlinge kamen mit dem Schiff aus der DDR, wo sie vorher aus den Samen vorgezogen wurden. Gestartet war man 1981 auf der alten Plantage aus vorkolonialer Zeit, mit einem Ertrag von anfänglich 200 Tonnen, nach fünf Jahren konnte man die Produktion auf 1.000 Tonnen steigern. 1987 erfolgte eine erste symbolische Kaffeelieferung nach Berlin. Während die Kaffeepflanzen wuchsen, wurde in Erwartung einer reichen Ernte auf dem Gelände des VEB Kaffee Halle ein Silo für etwa 12.000 Tonnen Rohkaffee gebaut. Doch das Silo blieb ungenutzt. Die erste verwertbare Ernte war für 1990 geplant. Da wurde die DDR bereits abgewickelt. Die vietnamesische Regierung erkannte aber die Chance, die der Kaffeeanbau ihnen bot. Doch es gehört zur Ironie der Geschichte, dass die DDR schon nicht mehr existierte, als die ersten ertragreichen Ernten anstanden. Durch die Vereinnahmung der DDR und die Liquidation ihrer Röstkaffeebetriebe musste sich Vietnam neue Abnehmer für seinen nunmehr gereiften Rohkaffee suchen. Das Land stieg in der Folgezeit zum weltweit zweitgrößten Kaffeeproduzenten nach Brasilien auf.

Im Durchschnitt konsumiert heute jeder Deutsche rund 167 Liter Kaffee im Jahr. Insgesamt gibt es 66 Millionen Kaffeetrinker in Deutschland. Es darf gern ein Tässchen mehr sein.

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"Eine kurze Kaffee-Geschichte der DDR", UZ vom 20. Dezember 2024



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