Viel Aufmerksamkeit haben die drei großen, schon arg zerfledderten Plakatwände am Rande einer Landstraße auch in ihren besseren Zeiten kaum gehabt. Seit dem Bau des Highways ist der Verkehr auf der kaum noch befahrenen Straße zum Rinnsal geschrumpft – wer will schon nach Ebbing? Sieben Monate zuvor ist an genau dieser Stelle eine junge Bewohnerin von Ebbing von mehreren Männern vergewaltigt und lebendig verbrannt worden. Viel geredet wird darüber nicht in Ebbing. Die Tat blieb unaufgeklärt, aber auch das scheint niemanden im Ort mehr aufzuregen. Doch urplötzlich ist alles anders, und die drei Billboards (Werbeträger) sind in der Kleinstadt im US-Bundesstaat Missouri zum Gesprächsstoff Nr. 1 geworden. Mildred Hayes, die Mutter der Ermordeten, hat sie für ein ganzes Jahr gemietet, um darauf ihre dreigeteilte Botschaft an nur einen einzigen Menschen zu richten: „Im Sterben vergewaltigt“, „Noch immer keine Festnahmen“ und „Wie kommt das, Sheriff Willoughby?“ Welch einen Stich ins Wespennest ihre Aktion für die Menschen in Ebbing bedeutet, davon handelt ein Film, der trotz seines sperrigen Titels „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ die Festivalpreise im Dutzend abgeräumt hat und nach dem vierfachen Triumph bei den Golden Globes auch als erster Anwärter bei der kommenden Oscar-Verleihung gilt.
Das zuvor verschlafen wirkende Ebbing erwacht mit Macht, und je heftiger sich Sheriff Willoughby und seine Truppe gegen Mildreds Plakataktion zur Wehr setzen, umso verbissener besteht sie darauf, wenigstens bohrende Fragen zu stellen. Willoughbys Assistent, ein schlichtes, aber verschlagenes Gemüt namens Dixon, sieht in Mildreds Plakaten gleich nichts Geringeres als eine Kriegserklärung und will entsprechend dagegen tätig werden. Willoughby selber, schon unheilbar vom Krebs gezeichnet und kurz vor der Pensionierung, versucht es mit Druck auf den Reklame-Verkäufer, der den Vertrag mit Mildred widerrufen soll, und selbst der katholische Priester des Ortes redet der wild entschlossenen Rebellin ins Gewissen – mit wenig Erfolg, denn die fragt ihn nur schnippisch, ob er nicht selber einer der Täter war. Was folgt, sind die üblichen Manöver und Gegenmanöver. Bald bleibt es nicht mehr bei harten Worten, es fliegen Brandsätze und Molotow-Cocktails, und mit jeder Steigerung der Gewalt wird spürbarer, dass etwas faul ist in Ebbing, Missouri – und dass hinter der Bibelgläubigkeit und Rechtschaffenheit seiner Bürger ein Geheimnis steckt, dem Mildreds Plakatwände bedrohlich nahe kommen.
Man könnte es für perfektes Timing halten, denn Martin McDonaghs „Three Billboards …“ kommt nun just zu einer Zeit in die Kinos in den USA und Europa, da der Skandal um Studiomogul Harvey Weinstein jene Lawine von Missbrauchsvorwürfen, erzwungenen Rücktritten, vagen Dementis und weltweiten Kampagnen losgetreten hat, die nun seit Wochen die Traumfabrik erschüttert. Allerdings hatte der britische Regisseur, Bühnen- und Drehbuchautor da seinen Film längst fertig. Der Ort der Handlung könnte dazu verführen, in ihm eine Art Spätwestern zu sehen, komplett mit Cowboy-Schurken und edler Rächerin. Aber McDonaghs Figuren passen so gar nicht in die Rollenklischees des Genres, dafür umso besser in ein subtiles Soziogramm des als „Bible Belt“ bekannten Südwesten der USA. Allesamt scheinen sie gebrochene, vom Leben gezeichnete Charaktere, für deren Seelenzustand die heruntergekommenen Billboards zu Filmbeginn ein subtiles Symbol sein könnten und deren tiefere Beweggründe der Film höchstens andeutet. Der vom Schicksal gebeutelten Mildred (die großartige Frances McDormand in ihrer größten Rolle) ist ihr gewalttätiger Mann mit einer 19-Jährigen davongelaufen, auch ihr Sohn hat den Schicksalsschlag nie verkraftet. Sheriff Willoughby (Raubein Woody Harrelson hier einmal fast sanft) wird bald der Krebs dahinraffen. Sein verklemmter Assistent Dixon (vielschichtig dargestellt von Sam Rockwell), der noch bei seiner Mutter lebt, ist selbst das Zerrbild jener „White Supremacy“, die mehr noch als der Alkohol seine Sinne vernebelt.
Bei solch ernster Thematik mag man ein reißerisches Rachedrama oder ein existenzialistisch drapiertes Melodram erwarten. Aber McDonagh hat schon in seinen beiden vorherigen Filmen („In Bruges“ und „Seven Psychopaths“) gezeigt, wie man auch ernste Stoffe mit einer gehörigen Portion Witz und Humor erträglich macht. Seiner Hauptdarstellerin Frances McDormand, die bislang eher durch kleinere Rollen in den Filmen der Coen-Brüder auf sich aufmerksam machte, hat er hier endlich die große, in aller Tragik auch komische Rolle geschrieben, auf die man schon lange wartete. Ihr Witz und ihre Schlagfertigkeit sind die Würze seiner Dialoge, die für eine gelungene Pointe auch gerne mal die Grenzen der Political Correctness frech ignorieren. Darum hat man McDonaghs Filme gelegentlich in die Nähe der Filme von Quentin Tarantino gerückt. Doch mit dessen Zynismen und Gewaltorgien haben seine Filme nichts zu tun, schon gar nicht dieses jüngste Meisterwerk. Zwar bedient sich auch „Three Billboards …“ mancher Versatzstücke des Genrekinos, so wenn die drei Billboards plötzlich in Flammen stehen und die verzweifelte Mildred nun auch von verbalen Vorwürfen zu ganz realen Flammenwürfen übergeht. Doch McDonaghs Regie hält immer die Balance der Stimmungen. Ein reifes Meisterwerk des 48-jährigen Briten, dem die bisherigen (und die künftigen) Preise und Auszeichnungen hoffentlich das verdiente große Publikum bescheren werden. (Kinostart hierzulande ist am 25. Januar)