„Ich habe Gisela Elsner als eine großartige Frau, Kommunistin und Kämpferin wahrgenommen. Sie gekannt und einige Male als Gesprächspartnerin erlebt zu haben, gehört zu den anregendsten Begebenheiten in meiner Biografie. Die Betonung liegt auf anregend!“
Mit diesen Worten erinnerte sich der langjährige DKP-Vorsitzende Herbert Mies in einem Interview (2014) an unsere Genossin Gisela Elsner.
Gisela Elsner, 1937 geboren und aufgewachsen in einer zum Großbürgertum strebenden Familie, der Vater schaffte es bis zum Direktor eines Siemens-Werkes, veröffentlichte 1964 ihr Romandebüt „Die Riesenzwerge“. Ausgezeichnet mit dem renommierten „Prix Formentor“ und in zig Sprachen übersetzt, erlangte Elsner auf Anhieb großes Ansehen. 1977 trat Gisela Elsner der DKP bei.
Die Radikalität ihrer satirischen und konsequenten Gesellschaftskritik, aber auch ihre politische Positionierung trugen wesentlich dazu bei, dass der bürgerliche Literaturbetrieb sich ihrer bald wieder zu entledigen wünschte. Ende der 1980er Jahre hob der Rowohlt-Verlag, der Gisela Elsner noch zehn Jahre zuvor zu seinen prominentesten Autorinnen zählte, „die Buchpreisbindung auf“. Mit anderen Worten: Elsners Werk wurde verramscht. Nach ihrem Tod im Mai 1992 herrschte dann hinsichtlich des Elsnerschen Werkes ein jahrelanges Schweigen im Medienbetrieb.
In den letzten zwanzig Jahren begannen zunächst einige wenige Publizisten und Literaturwissenschaftlerinnen, sich mit Elsners Werk und Wirkung zu beschäftigen. 2012 gründete sich die Internationale Gisela Elsner Gesellschaft, die seither mit Symposien, wissenschaftlichen Tagungen und anderen Aktivitäten der Autorin Elsner eine neue Publizität verschafft. Im Berliner Verbrecher-Verlag liegen nahezu alle Bücher der Autorin in einer Werkausgabe vor.
Diese erfreuliche Entwicklung fand am 10. Juli 2021 einen neuen Höhepunkt. Der 1. Gisela-Elsner-Literaturpreis wurde an die Autorin Natascha Wodin verliehen – gestiftet vom Literaturhaus Nürnberg e. V. und mit 10.000 Euro dotiert.
Elfriede Jelinek, um ein Grußwort an die Preisverleihung gebeten, schrieb unter anderem: „Spurlos wird Gisela Elsner jetzt nicht mehr verschwinden können, denn es ist ein Literaturpreis ihr gewidmet, der den Gewinner, die Gewinnerin zumindest für eine Weile nicht verschwinden lassen wird, sondern hervorhebt. Das freut mich sehr für meine verstorbene Freundin Gisela Elsner. Und für die kommenden Preisträgerinnen und Preisträger. Ich gratuliere. Sie sollen ein Leben haben und diesen schönen Preis dazu, der sie an eine Schriftstellerin erinnern soll, die nicht verschwinden darf.“
Großen Anteil an der wachsenden Publizität Gisela Elsners hat die Germanistin und Vorsitzende der Internationalen Gisela Elsner Gesellschaft, Dr. Christine Künzel. Mit ihr führte Mathias Meyers für UZ das folgende Gespräch:
Mathias Meyers: Als Gisela Elsner 1992 starb, herrschte mehr als ein Jahrzehnt lang absolutes Schweigen, ihr Werk betreffend. Wie ist es aus heutiger Sicht gelungen, dass zum Beispiel junge Wissenschaftlerinnen und zunehmend auch wieder Leser und Leserinnen sich dem Schaffen der Romanautorin und Satirikerin zuwenden und ihren Gefallen daran finden?
Christine Künzel: Zunächst ist es dem Regisseur Oskar Roehler zu verdanken, dass er mit seinem Film „Die Unberührbare“ zur Jahrtausendwende seine Mutter, die Autorin Gisela Elsner, wieder in das literarische Gedächtnis zurückgeholt hat. Auch ich selbst bin dadurch erst auf Elsner und ihr Werk aufmerksam geworden, habe dann angefangen, mich mit ihr zu beschäftigen. Ich denke, dass gerade in Krisenzeiten satirische Texte eine bedeutende Funktion erfüllen, indem sie in aller Schärfe Kritik an bestimmten gesellschaftspolitischen Entwicklungen formulieren. Ich denke, was jüngere Wissenschaftler*innen reizt, ist die Widerständigkeit, die Kompromisslosigkeit und der schwarze Humor Elsners, mit dem sie sich abseits des literarischen Mainstreams positioniert hat.
Mathias Meyers: Sie engagieren sich als Vorsitzende der Internationalen Gisela Elsner Gesellschaft (IGEG) und als Literatur- und Kulturwissenschaftlerin seit Jahren für die Wiederentdeckung des Elsnerschen Werkes. Was hat Sie veranlasst, sich der Autorin und Kommunistin zuzuwenden, die vom „offiziellen“ Literaturbetrieb spätestens in den 1980er Jahren aussortiert worden ist?
Christine Künzel: Was Elsners Werk für mich attraktiv macht, ist die Tatsache, dass es sich um widerständige, herausfordernde, radikale Texte handelt und dass Elsner so völlig abseits des Kanons steht – eben als „schmutzige Satirikerin“, wie sie sich selbst einmal bezeichnete. Ich interessiere mich offenbar eher für die Ausgestoßenen, für Randfiguren des Literaturbetriebs. Elsners Essay „Autorinnen im literarischen Ghetto“ trifft das sehr genau. Darüber hinaus verstehe ich Literatur – ganz im Sinne Elsners – als ein Medium politischer Bildung und Aufklärung im besten Sinne. Aber ich muss zugeben, ich habe auch ein Faible für die satirisch-grotesken Selbstinszenierungen der Autorin Elsner.
Mathias Meyers: Am 10. Juli wurde erstmals der Gisela-Elsner-Literaturpreis für deutschsprachige Gegenwartsliteratur in der Geburtsstadt Elsners, in Nürnberg, verliehen. Wie ist es zu dieser erfreulichen Entwicklung gekommen?
Christine Künzel: Elsner hat in den letzten Jahren erfreulicherweise mehr und mehr Aufmerksamkeit bekommen. Das kam irgendwann ganz von selbst. Dieses Jahr ist ein wahres Elsner-Jahr, obwohl es nicht einmal ein Jubiläumsjahr ist: Es gibt ein wunderbares Theaterprojekt an den Münchner Kammerspielen, eine Ausstellung in Dresden – und nun den Gisela-Elsner-Literaturpreis. Einfach unglaublich. Es ist schon ein besonderes Zeichen, einen Literaturpreis einer nicht kanonisierten und streitbaren Autorin wie Gisela Elsner zu widmen. Damit sticht der Preis aus dem allgemeinen Literaturpreisdschungel hervor.
Mathias Meyers: Die Jury hat sich für die Autorin Natascha Wodin als erste Preisträgerin entschieden. Welche literarischen Gründe waren für diese Wahl ausschlaggebend?
Christine Künzel: Zum einen ist Natascha Wodin vom Alter und damit auch von ihren Erinnerungen an Nazi-Deutschland her nah an Elsner – auch was ihren Geburtsort Fürth unweit von Nürnberg betrifft. Wie Elsner sich bis zu ihrem Lebensende dem Kampf gegen den Faschismus verschrieben hat, so ist es Natascha Wodins Verdienst, mit ihren autobiografischen Büchern das Schicksal sowjetischer Zwangsarbeiter in das Gedächtnis zurückgeholt zu haben. Zwar könnten die Schreibweisen der beiden Autorinnen nicht unterschiedlicher sein, doch gelingt es jeder auf ihre Weise, eingeschliffene Rituale der bundesdeutschen Erinnerungskultur zu durchkreuzen und in Frage zu stellen.
Mathias Meyers: Als Gisela Elsners Roman „Die Riesenzwerge“ erschien und ein internationaler Erfolg wurde, war die Autorin gerade 27 Jahre alt. Was kann eine junge Frau heute, entschlossen, Schriftstellerin zu werden, von Gisela Elsner lernen?
Christine Künzel: Ich bin nicht sicher, ob Gisela Elsner in diesem Sinne als Vorbild taugt. Natürlich würde ich mir wünschen, dass sich junge Autorinnen weniger am Mainstream orientieren, ihren eigenen Weg auch gegen massive Widerstände gehen. Aber das ist anstrengend und führt höchstwahrscheinlich nicht zu einem schnellen Erfolg. Nachwuchsschriftstellerinnen sollten sich auf jeden Fall besser vor Anfeindungen und Verletzungen schützen.
Webseite der Gisela Elsner Gesellschaft: www.giselaelsner.de/
Verbrecher Verlag: www.verbrecherverlag.de/