Rainer Perschewski zur Diskussion um die Einschränkung des Streikrechts

Eine für alle

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zieht in seinem tarifpolitischen Jahresrückblick Bilanz und stellt „ruppigere Verhandlungen“ und zunehmende Konflikte mit Auswirkungen auf die Sozialpartnerschaft fest. „Das Gebaren der Tarifparteien verkommt zunehmend zum Klassenkampf“, sagt IW-Tarifexperte Hagen Lesch. „Diese Entwicklung sollte uns Sorgen bereiten.“ Das Institut sieht angesichts des Tarifkonfliktes der GDL bei der Deutschen Bahn keine guten Zukunftsaussichten. Geschürt werden die Konflikte nach Ansicht des Institutes durch die lange Phase recht hoher Inflationsraten und den Wechsel der Gewerkschaften zu einer aktiven Tarifpolitik. Wie zu jeder Streikaktion in Deutschland werden die hohen Kosten für Wirtschaft und Gesellschaft beklagt und die Rufe nach der Einschränkung des Streikrechts laut, wie sie Teile der CDU in der letzten Woche forderten.

Konkreter wurde der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände. Er verlangte via Deutschlandfunk eine gesetzliche Regelung für den Streikverlauf bis hin zur Schlichtung. Dabei ist das in Deutschland gültige Arbeitskampfrecht schon eines der restriktivsten in Europa. Die Durchsetzung eines Tarifvertrages ist faktisch die einzige Möglichkeit, einen legalen Arbeitskampf durchzuführen. In den meisten europäischen Ländern ist eine derartige Einschränkung unvorstellbar, das Streikrecht ist nicht an die Durchsetzung von Tarifregelungen gebunden. Infolge verschiedener Streikaktionen von Berufsorganisationen wie der GDL, Cockpit oder UFO hat Deutschland das Tarifrecht durch das Tarifeinheitsgesetz (TEG) weiter eingeengt.

In Zeiten härterer Verteilungskämpfe setzen die Berufsorganisationen ihre Streik- und Durchsetzungsfähigkeit, die sie aufgrund ihrer Stellung im Betrieb haben, ungeachtet der Interessen der übrigen Beschäftigten ein. Sie wollen exklusiv für sich bessere Ergebnisse erreichen. Diese exklusive Solidarität ist es, die das Grundprinzip der Solidarität, die Unterstützung der Schwachen durch Starke, verletzt, die Einheitsgewerkschaft bedroht und die Spaltung vertieft.

Das Prinzip „Ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag“ ist aber ein Grundprinzip, das für den gemeinsamen solidarischen Kampf zur Durchsetzung besserer Löhne und Arbeitsbedingungen erforderlich ist. In dem Tarifkonflikt der Bahn wird das deutlich: Die ohnehin vorhandene Spaltung im Unternehmen wird verschärft. Selbst wenn die GDL einen Teil ihrer Forderungen durchsetzen kann, gilt das für viele ihrer Mitglieder bei der DB nicht, da die GDL-Tarifverträge nur in 18 von 300 Bahnbetrieben gelten. In allen anderen Betrieben gelten nur die EVG-Tarifverträge.

Die EVG organisiert bei der Deutschen Bahn mehr als 50 Prozent der Beschäftigten, die GDL deutlich unter 10 Prozent. Damit wird die Ausweitung der Organisationsmacht für die GDL zum Überlebenskampf. Deshalb verlangt sie einen Tarifvertrag für Fahrdienstleiter – einer weiteren durchsetzungsmächtigen Berufsgruppe. Einer Berufsgruppe, in der die GDL über fast keine Mitglieder verfügt. Der Kurs der Spaltung wird somit fortgesetzt. Leidtragende wären in der Zukunft schwächere Berufsgruppen. Die GDL-Führung führt derzeit jedoch nicht nur einen Kampf gegen die „Nieten in Nadelstreifen“, sondern auch gegen die Konkurrenzorganisation, deren Aktionen beschimpft werden. Der EVG wird das Recht abgesprochen, eine Gewerkschaft zu sein. Wir brauchen aber keine Eskalation, sondern eine scharfe inhaltliche, aber solidarische Auseinandersetzung über eine gemeinsame Praxis in den betrieblichen und tariflichen Kämpfen. Eine Konfrontation zwischen den Gewerkschaften lenkt nur von der eigentlichen Interessenlage aller Beschäftigten ab.

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"Eine für alle", UZ vom 2. Februar 2024



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