Wer sich bei unserer Berichterstattung über die Weltmeisterschaft im Schach gewundert hat, warum wir trotz Niederlage unseres Favoriten vor allem froh waren, Magnus Carlsen nicht wiedersehen zu müssen (siehe UZ vom 20. Dezember), konnte es bei der Schnell-und-Blitzschach-WM in New York erfahren. Denn dort spielte der norwegische Weltranglistenerste etwas, was als das „Jeans-Gambit“ in die Schachgeschichte einzugehen droht.
Im Schnellschachturnier spielte Magnus Carlsen – entgegen den Erwartungen, 2023 hatte er zwei mal Gold geholt – mäßig, um nicht zu sagen: ein bisschen schlecht. Magere 2,5 Punkte aus fünf Partien – da nutzte ihm auch eine kleine Aufholjagd nichts mehr, die ihn nach acht Partien mit fünf Punkten zurückließ. Gold holt man sich so nicht. Carlsen wäre aber nicht Carlsen, wenn er sich nicht trotzdem zum Mittelpunkt der WM gemacht hätte.
Denn den Schiedsrichtern fiel auf, dass Carlsen Jeans anhatte – auch noch blaue. Das verstößt gegen den offiziellen Dresscode des Weltschachverbands FIDE. Darum wurde er gebeten, vor dem nächsten Spiel die Hose zu wechseln. Doch Carlsen weigerte sich und bekam für Partie 9 keinen Gegner zugeteilt. Unter wütenden „Fuck you“-Rufen verließ der Norweger daraufhin das Turnier, immer darauf bedacht, dass die Kameras seinen Abgang auch schön aufzeichneten. Nachdem die FIDE in einem Statement den Hergang erklärte und darauf hinwies, dass in der auch von Spielern mitentwickelten Kleiderordnung Jeans explizit ausgeschlossen sind, wiederholte Carlsen sein „Fuck you“ Richtung FIDE in einem Interview mit der Schachplattform „Take, take, take“ (die ihm selbst gehört). Und postete auf Instagram ein Bild von sich in Jeans mit der Bemerkung „Outfit of the day“.
Wer nun glaubt, dass es bei der Auseinandersetzung tatsächlich um Hosen ging, liegt falsch. Mit der FIDE liegt Carlsen schon lange im Clinch, unter anderem möchte der Norweger, der sich durch Werbeverträge und seinen eigenen Schachkonzern zum Millionär gemacht hat, gern eine eigene Weltmeisterschaft veranstalten. Der Verlust von Spielern und Prestige wäre für die FIDE eine echte Gefahr.
Carlsen gibt also beim Schnellschachturnier das bockige Kind, die FIDE den strengen Erzieher. Lang angehalten hat das nicht. Nur zwei Tage später die Versöhnung. Magnus Carlsen kehrt zum Blitzturnier zurück, trägt Jeans und die FIDE erklärt, ab jetzt die Regeln „weniger streng“ auslegen zu wollen.
Im Finale gegen Jan Nepomnjaschtschi kam es direkt zum nächsten Skandal. Beim Stand von 3,5 zu 3,5 schlug Carlsen seinem Gegner eine Teilung des Weltmeistertitels vor – der schlug ein, die FIDE guckte tatenlos zu. Pfui.
Im Gegensatz zum herrschenden Klischee ging es bei der Schnellschach-WM der Frauen nicht um Klamotten oder andere Äußerlichkeiten, sondern um Schach. Souverän landetet die Inderin Koneru Humpy mit 8,5 Punkten aus elf Runden auf Platz eins, hinter ihr die Weltmeisterin Ju Wenjun aus China und die Russin Kateryna Lagno mit jeweils 8 Punkten.
Auf Männerseite endete das Turnier fast wie in alten Zeiten. Vor Alexander Gritschtuk und Jan Nepomnjaschtschi gewann der 18-jährigen Wolodar Mursin – für die Schachwelt völlig überraschend – den Weltmeistertitel. Damit standen erstmals wieder drei Russen auf dem sprichwörtlichen Podest.
Und Magnus Carlsen? Hat nach dem Turnier erst mal geheiratet. Und, wie es sich für eine wandelnde Litfaßsäule gehört, einen Sponsorenvertrag verlängert. Natürlich mit einem Jeans-Hersteller.