Druck zur Entsendung von Soldaten auf ukrainisches Territorium nimmt zu. Berliner Politiker fordern Übernahme der Flugabwehr

Eine EU-Schutztruppe für die Ukraine

Litauen ist bereit, bei Bedarf umgehend Soldaten in die Ukraine zu entsenden. Dies hat Ministerpräsidentin Ingrida Šimonyte in der vergangenen Woche bekanntgegeben. Demnach hat das litauische Parlament ihr die Erlaubnis erteilt, Militärs zu Ausbildungszwecken in das Kriegsgebiet zu schicken. Voraussetzung ist lediglich eine Bitte aus Kiew. Diese sei noch nicht eingetroffen, teilte Šimonyte mit. Eine Entsendung von Soldaten nicht ausschließen wollen außer Frankreich auch Polen und Estland. Polens Außenminister Radosław Sikorski bestätigte das in der vergangenen Woche; er äußerte, es sei „gut“, Moskau über die nächsten Schritte im Unklaren zu lassen, sich also nicht darauf festzulegen, keinesfalls Militär zu entsenden. In Estland wiederum hat vergangene Woche der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Parlament, Marko Mihkelson, verlangt, über die Gründung einer „Koalition der Willigen“ nachzudenken, die womöglich schon in Kürze den ukrainischen Streitkräften auf ukrainischem Territorium beistehen könne. Denkbar sei zum Beispiel, Aufgaben im Rahmen der Flugabwehr zu übernehmen, erklärte Mihkelson. Auf die Frage, ob Estland Teil einer solchen „Koalition der Willigen“ sein werde, antwortete er: „Ja, das hoffe ich.“

In Deutschland fordern bislang nur vereinzelt Bundestagsabgeordnete, eine Entsendung von Soldaten in die Ukraine in Betracht zu ziehen. Man dürfe „in der Dynamik des Krieges offiziell gar nichts ausschließen“, erklärte etwa der CDU-Militärpolitiker Roderich Kiesewetter; er könne sich „vorstellen, dass eine Koalition der Willigen ernsthaft erwägt, zu einem bestimmten Zeitpunkt zuerst nicht kämpfende Truppen“ zu schicken. Offener äußern sich Mitarbeiter von Denkfabriken. So wird zum Beispiel Nico Lange, ein Spezialist der Münchner Sicherheitskonferenz, mit der Forderung zitiert, „ab sofort“ solle man es diskutieren, Militärausbilder, Minenräumpersonal, Grenzschützer oder sogar Bodenpersonal für Kampfjets auf ukrainisches Territorium zu schicken. Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) wiederum weist darauf hin, wolle man die Ukraine in der elektronischen Kriegführung – so etwa im Kampf gegen russische Störsender – mit Spezialgerät unterstützen, setze dies die Entsendung eigener Soldaten voraus; „nur so“ lasse sich „die geheime Technologie vor Spionage“ ernsthaft schützen, schreibt die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ unter Bezug auf Gressel.

Äußern Berliner Politiker – auch mit Blick auf die Wahlkämpfe für die Landtagswahlen im Herbst – bisher keine offene Zustimmung für die Entsendung von Soldaten in die Ukraine, so zeichnet sich breite Zustimmung zu dem Vorschlag ab, Flugabwehrsysteme in Polen oder Rumänien zu stationieren und mit ihnen Angriffe auf die Ukraine abzuwehren. So könne man einen Streifen Land mit einer Breite von bis zu 70 Kilometern schützen, urteilt etwa Lange; das entlaste die ukrainischen Streitkräfte und gestatte es ihnen, bisher anderweitig gebundene Kräfte an die Front zu werfen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Kiesewetter behauptet, schössen NATO-Soldaten von polnischem oder rumänischem Territorium russische Drohnen oder Raketen ab, sei dies kein Kriegseintritt: Schließlich hätten die USA, Großbritannien und Frankreich kürzlich auf Israel gezielte iranische Drohnen und Raketen attackiert, ohne zur Kriegspartei geworden zu sein. Allerdings befinden sich Israel und Iran nicht offiziell im Krieg; die Flugabwehrmaßnahmen der drei NATO-Staaten wiederum wurden ausdrücklich mit dem Ziel durchgeführt, eine Kriegseskalation zu verhindern. Dennoch trifft der Vorschlag bei Politikern von CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Zustimmung; es wehe, heißt es, „eine Brise Jamaika-Luft“.

Unklar ist, ob der Vorschlag, die Ukraine mit Luftabwehrsystemen auf polnischem und auf rumänischem Territorium zu schützen, bereits auf Nachkriegsszenarien zielt. Aktuell ist unter anderem die EU dabei, mit Kiew über ein sogenanntes Sicherheitsabkommen zu verhandeln, das der Ukraine für die Zeit nach einem möglichen Waffenstillstand Beistandsgarantien für den Fall eines erneuten russischen Angriffs geben soll. Neun derartige Sicherheitsabkommen sind inzwischen unterzeichnet; ein zehntes zwischen der Ukraine und Spanien ist in der vergangenen Woche fertiggestellt worden. Nun soll – neben einem zwischen Kiew und Washington – eines zwischen der Ukraine und der EU folgen. Aus einem aktuellen Bericht geht hervor, dass es im Wesentlichen wohl dem Sicherheitsabkommen zwischen der Ukraine und Deutschland gleicht. Demnach sei Brüssel bereit, Kiew im Fall eines erneuten russischen Angriffs „militärische und zivile Hilfen“ zukommen zu lassen – ähnlich wie heute. Zudem würden sich die EU und die Ukraine „im Fall einer künftigen Aggression … innerhalb von 24 Stunden … konsultieren“, um „die Bedürfnisse der Ukraine“ zu eruieren. Das Abkommen ist dabei, wie die anderen bilateralen Sicherheitsabkommen, nicht rechtsverbindlich.

Und es sieht die von Kiew erwünschte Entsendung von Soldaten aus EU-Staaten zur Abwehr eines etwaigen erneuten russischen Angriffs explizit nicht vor. Diese wird allerdings, wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ jetzt bestätigt, anderweitig längst diskutiert. So spricht sich der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, aktuell dafür aus, ein „Versprechen robusten Schutzes“ abzugeben. Generalleutnant Heinrich Brauß, von 2013 bis 2018 beigeordneter Generalsekretär der NATO für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung und heute für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) aktiv, plädiert dafür, nach einem Waffenstillstand NATO-Truppen in der Ukraine zu stationieren – nach dem Modell der NATO-Brigaden im Baltikum, allerdings „in größerem Maßstab“. Der Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), allgemein in Sachen Aufrüstung der Ukraine als Hardliner bekannt, hält zwar wirksame „militärische Garantien“ für Kiew für notwendig, urteilt jedoch, eine Stationierung von Truppen zum Schutz gegen etwaige russische Angriffe sollten eher „neutralere Länder“ vornehmen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Marcus Faber hingegen plädiert für eine „internationale Schutztruppe“, die von „EU oder NATO“ gestellt werden könnte.

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"Eine EU-Schutztruppe für die Ukraine", UZ vom 17. Mai 2024



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