Das 25. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus

Eine Erfolgsbilanz

Von .Hans-Günther Dicks

Jubiläen sind Anlässe, sich zu erinnern, aber auch nach vorne zu schauen. In Cottbus, wo am Sonntag das 25. Festival des osteuropäischen Films zu Ende ging, sind beide Perspektiven schon in der Festivalstruktur angelegt. Während man im Wettbewerb und den Nebenreihen neue osteuropäische Produktionen zeigt, sorgt der parallel veranstaltete Branchentreff „connecting-cottbus“, kurz: „co-co“ dafür, junge Filmemacher mit Produzenten und Förderern zu verbinden, damit aus ihren Ideen Filme werden. Und er tut dies mit sichtbarem Erfolg: Gleich drei auf solchem Wege realisierte Filme waren unter den zwölf diesjährigen Bewerbern um die bunte „Lubina“ und die damit verbundene Siegerprämie von 25 000 Euro – und sie räumten rund die Hälfte der ca. 77 000 Euro Preisgeld ab!

Kleine Filmländer sind meist auf internationale Koproduktion angewiesen, und diese engen oft das Themenspektrum für Projekte ein oder schleift nationale Charakteristika, die eigentlich das „Salz in der Suppe“ sein könnten. Der Festivalsieger „Zvisdan“ („Mittagssonne“, Regie und Drehbuch: Dalibor Matanic) ist so eine Drei-Länder-Koproduktion (Kroatien-Slowenien-Serbien) und erzählt von der Liebe zwischen einer Serbin und einem Kroaten im bekannten „Romeo und Julia“-Muster. Um aus diesem Muster auszubrechen wählt Matanic eine kühne Form: Drei Episoden, 1991, 2001 und 2011 spielend, mit jeweils anderen Rollennamen, aber von immer den gleichen Hauptdarstellern gespielt, verlangen dem Zuschauer viel Konzentration ab und können doch die Künstlichkeit der Konstruktion nie ganz verdecken.

Dramaturgische Schwächen gab es auch anderswo. Mit einem Feuerwerk an Einfällen und Witz beginnt der Gewinner des Publikumspreises, „Šiška Deluxe“ von Jan Cvitkovic, eine herrlich schräge Komödie um drei soziale Verlierer, die mit der Eröffnung einer eigenen Pizzeria wieder auf die Beine kommen wollen. Ein wahrer Publikumshit, der leider im letzten Filmdrittel sein humoristisches Pulver zu früh verschossen hat. Andere Filme beginnen als packende Psychostudie, verlieren sich dann aber in holprige Krimi- oder andere Genremuster, so „Tri dena vo Septemvri“ des Mazedoniers Darijan Pejovski oder Lili Horváths „Szerdai gyerek“ („Mittwochskind“). Ganz außerhalb aller Genrekonventionen sind meist die Filme aus Kirgisien, in diesem Jahr vertreten durch Mirlan Abdykalykovs „Sutak“ („Nomaden des Himmels“), eine sympathisch stille Parabel um das allmähliche Verschwinden traditioneller Lebensart. Für „Sutak“ gab es immerhin einen Preis zur Verleihförderung, so dass er demnächst in unsere Kinos kommen wird. Von den Juroren leider völlig übersehen wurde Károly Ujj Mészáros‘ „Liza, die Fuchsfee“, ein temporeich erzähltes Erwachsenen-Märchen um eine junge Krankenschwester, die für den toten Karaokestar eines japanischen Comics schwärmt, der doch ihr böser Gegenpart ist.

Und wo blieb das unvermeidliche Stasi-Thema? Die Zeiten, in denen es zu billigen Reißern allemal taugte, scheinen auch in Osteuropa vorbei. In den Nebenreihen fand man Filme wie Karel Kachynas Klassiker „Ucho“ („Das Ohr“) von 1970, der zwanzig Jahre in den Regalen der Zensur gelegen hatte und erst 1990 in Cannes Aufsehen erregte, und eine Neufassung des gleichen Stoffes, die der in Skopje geborene FAMU-Professor Ivo Trajkov 2015 in Mazedonien unter dem Titel „Honey Night“ drehte: Auf einem hohen Staatsempfang machen Gerüchte über Verhaftungen und politischen Kurswechsel die Runde, und die beiden Hauptfiguren, ein stellvertretender Minister und seine Frau, finden sich nach ihrer Rückkehr vom Empfang plötzlich im Zentrum des politischen Hurrikans wieder. Zweimal Politthriller vom Feinsten, denn Kachynas Film hat auch nach 45 Jahren nichts von seiner beklemmenden Wirkung verloren, und Trajkovs Remake war wohl nur deshalb nicht im Wettbewerb, weil er selbst einer der Jurys angehörte.

Dort lief statt dann „Fair Play“ von Andrea Sedlácková, und der Kontrast zu Kachynas und Trajkovs Filmen hätte nicht größer sein können. Dort subtile Psychostudie, hier fleischlose Figuren aus dem Rezeptbuch von TV-Serien, statt großer Charakterdarsteller Schauspieler, die papierene Texte abliefern. Dazu eine Dramaturgie, die vor Ungereimtheiten nur so strotzt und die politische Botschaft von Anfang an vor sich herträgt – ganz ohne Scheu ruft „Fair Play“ zweimal den US-Propagandasender Radio Free Europe als Kronzeugen an für den ach so tragischen Konflikt einer tschechischen Mutter, die, vom Geheimdienst erpresst, mitwirken muss beim staatlich verordneten Doping ihrer Tochter. Welch ein Paradox: Während ein 45 Jahre alter Film frisch wirkt wie am ersten Tag, liegt auf „Fair Play“ der Staub und Schutt des Kalten Krieges.

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"Eine Erfolgsbilanz", UZ vom 13. November 2015



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