Ein Ausgangspunkt für das Bewusstsein über Umweltkrisen und globale Probleme ist der Bericht an den Club of Rome mit dem vielsagenden Titel „Die Grenzen des Wachstums“. Er erschien 1972, also vor 50 Jahren. Nach 20 Jahren wurde überprüft, inwieweit die im ersten Bericht ermittelten Entwicklungstrends eingetreten waren. Damals wurde festgestellt, „dass die Nutzung zahlreicher Ressourcen und die Akkumulation von Umweltgiften bereits die Grenzen des langfristig Zuträglichen überschritten haben“. Die Gesellschaftsform schien keinen Unterschied zu machen. Die Luftverschmutzung als Folge der rasanten Industrialisierung hatte beispielsweise im Bayerischen Wald und im Erzgebirge zum Sterben der Wälder geführt. Die besonders dreckigen Industrien aus dem Westen wurden in der Folge weitgehend in andere Weltregionen exportiert.
Business as usual
Die Aussagen in den Berichten führten immer wieder zu Diskussionen. Ein Argument lässt sich auf den Satz bringen: „Die Welt ist doch noch nicht untergegangen – die Voraussagen stimmen nicht!“ Allerdings geht es bei diesem Bericht gar nicht direkt um Voraussagen, sondern um Aussagen des Typs: „Wenn dies oder jenes (nicht) unternommen wird, dann ist mit bestimmter Wahrscheinlichkeit dies oder jenes zu erwarten.“ Wenn nicht genügend unternommen wird, um den erwartbaren Problemen zu begegnen, wird dieses Szenarium „Business as usual“ (Geschäft wie immer) genannt.
Von marxistischer Seite wurde vorgebracht, dass das Konzept der „Grenzen des Wachstums“ lediglich als Erscheinung des untergehenden, keine Auswege mehr sehenden Kapitalismus zu betrachten sei.
Die Autorinnen und Autoren sowie ihre Kritikerinnen und Kritiker ignorierten weitgehend die Erkenntnisse von Karl Marx und Friedrich Engels zur Einbettung der wirtschaftlichen Aktivitäten der Menschen in ökologische Zusammenhänge. Die Natur kümmern solche ideologischen Debatten allerdings nicht, sie zeigt uns, „dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht“ (Engels).
Verheerende Bilanz
Im aktuellen Bericht an den Club of Rome mit dem Titel „Earth for all“ (Erde für alle) wird formuliert, dass wir uns „inmitten eines planetaren Notstands“ befinden. Indien litt in diesem Sommer unter einer unerträglichen Hitze, in Teilen Afrikas herrscht „die schlimmste Dürre seit vier Jahrzehnten“. Die Menschen in den privilegierten Ländern merken nur noch nicht so viel davon.
Der Klimawandel ist in den Mittelpunkt gerückt. Von seinem natürlichen Verlauf her wird er kein kontinuierlicher Wandel, sondern ein abrupter Klima-Umbruch sein. Seit dem Bericht des Weltklimarats (IPCC) von 2018 ist bekannt, dass ohne radikale Maßnahmen das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu erreichen ist. Im neuen Bericht an den Club of Rome wird dazu festgestellt: „Die globale Durchschnittstemperatur wird um weit über 2 Grad Celsius steigen (…) Große Bevölkerungsgruppen werden immer mehr extreme Hitzewellen erleben, verheerende Dürren, die zu häufigen Ernteausfällen führen, Starkregen und steigende Meeresspiegel.“ Damit sei auch eine „Gefahr regionaler gesellschaftlicher Instabilität“ verbunden.
Zwei Szenarien
Je nachdem, wie die Wirkungsflüsse innerhalb der komplex aufeinander einwirkenden Faktoren „gelenkt“ würden, entstünden unterschiedliche Szenarien der zukünftigen Entwicklung. Die erste von zwei Hauptalternativen sei eine Strategie des „zu spät und zu wenig“, in der im Wesentlichen alles so verhängnisvoll bleibt, wie es ist. Die zweite Alternative sei die Strategie des „Großen Sprungs“, bei dem eine „echte und grundlegende Neugestaltung der Wirtschafts-, Energie- und Nahrungsmittelsysteme“ vorgenommen werden soll.
Die Idee hinter dem „Großen Sprung“ ist die Nutzung von Hebelpunkten. Das sind jene Stellen, an denen „eine kleine Veränderung an einer Stelle große Veränderungen in allen Bereichen bewirken kann“. Die ersten drei der vorgeschlagenen Hebel beziehen sich auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, zwei auf bio- und energiebezogene Faktoren. Die drei sozioökonomischen Hebel sind die Beseitigung der Armut, die Abschaffung der eklatanten Ungleichheit und die Ermächtigung insbesondere der Frauen.
Der Bericht von 1972 kritisierte eher plump das Wachstum der Bevölkerung und der Wirtschaft im Allgemeinen. Heute legen die Autorinnen und Autoren dar, dass bei der gegebenen extrem ungerechten Verteilung der Vermögen die ärmeren Menschen keinen Grund haben, in irgendeiner Art zu verzichten. Fakten zur Ungleichverteilung des Reichtums werden deutlich benannt. So verbraucht die reichste Milliarde Menschen 72 Prozent der globalen Ressourcen, während die ärmsten 1,2 Milliarden nur 1 Prozent verbrauchen. Auch bei den Treibhausgasemissionen ist der übergroße Anteil den Reichsten zuzuschreiben: „Ohne einen Kurswechsel besteht die Gefahr, dass das winzige Kohlenstoffbudget, das der Menschheit noch bleibt, durch Privatjets aufgebraucht wird.“
Was wäre zu tun?
Was schlagen die Autorinnen und Autoren der Studie vor? Die reichsten 10 Prozent der Gesellschaft sollen nicht mehr besitzen, als es dem Gesamteinkommen der ärmsten 40 Prozent entspricht. Dies soll erreicht werden durch eine progressive Einkommenssteuer, die Stärkung der Verhandlungsmacht von Arbeiterinnen und Arbeitern sowie eine allgemeine Grunddividende. Das Ziel des Wirtschaftens soll nicht mehr im Geldverdienen (also der Profitmacherei) bestehen, sondern in der Erhöhung des allgemeinen Wohlergehens. Es entstünde eine „Wohlergehensökonomie“, die den Bedürfnissen aller Menschen gerecht wird, ohne die planetaren ökologischen Belastungsgrenzen zu überschreiten. Die früher etwas plump angegangene Bevölkerungszahlproblematik ist nun eingebettet in eine „Neuausrichtung auf Bildung, allgemeine Gesundheitsversorgung und Umkehr des Bevölkerungswachstums“, die ein „zentraler Punkt: Geschlechtergerechtigkeit“ verbindet.
Rund 80 Prozent der Ackerflächen müssten bis 2050 regenerativ bewirtschaftet werden, also unter weitestgehendem Verzicht auf den Zusatz chemischer Stoffe. Die Landwirtschaft müsse durch den Aufbau gesunder Böden, pflanzliche Vielfalt und die Wiederherstellung von gesunden Ökosystemen erneuert werden. Dabei ließen sich erfahrungsgemäß sogar die Ernteerträge erhöhen. Allerdings erfordere dies große Investitionen. Die Dominanz von Agrarmonopolen wird beschrieben, ohne Antworten für diese Problematik zu finden.
Der Gefährdung der Lebensmittelsicherheit soll unter anderem durch die Errichtung eines „Food System Stability Board“ (Ausschuss für die Stabilität des Lebensmittelsystems) begegnet werden. Wenn die Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt sei, wird sogar ein „Überfluss“ an Energie versprochen. Das ist angesichts des erhöhten Einsatzes an Arbeitskräften, Material und Fläche zum „Einsammeln“ der neuen Energien fraglich.
Umverteilung und Marktwirtschaft
Die Autorinnen und Autoren der Studie schätzen, dass etwa 2 bis 4 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts eingesetzt werden müssten, um die Wirtschaft generell in die neue Richtung umzusteuern. Das bedeute eine massive Erhöhung der Effizienz, die „Umstellung auf bewusstere Produktion und geringeren Konsum“ sowie eine konsequente Kreislaufwirtschaft. Neben der „Umverteilung des Wohlstands“, der „nicht verhandelbar“ sei, werden auch „eine Umgestaltung der Märkte und langfristiges Denken“ notwendig.
Die Umverteilung soll vor allem auf folgendem Weg erreicht werden: Der ökologische Reichtum der Welt wird als Gemeingut deklariert und festgestellt, dass die privaten (kapitalistischen) Unternehmen dieses bisher kostenfrei vernutzen konnten. Dies soll sich ändern: Der Privatsektor muss für die „Nutzung nationaler und globaler Gemeingüter“ bezahlen. Auf Treib-hausgasemissionen werden Abgaben erhoben, die an alle Bürgerinnen und Bürger verteilt werden. Dadurch erhalten „Arbeitnehmerinnen die Möglichkeit, Dumpinglöhne abzulehnen“ und „die Macht, sich gegen Ausbeutung zu wehren“. In kritischer Absicht wird das Wort „Kapitalismus“ verwendet. Jedoch ist keinerlei Kapitalismusanalyse vorhanden. Das zeigt sich in den Lösungsansätzen: Die Grundstruktur der kapitalistischen Wirtschaft soll nicht infrage gestellt, sondern nur anderen „Spielregeln“ unterworfen werden: „Zwar schlagen wir den Übergang zu einer gemeingutorientierten Wohlergehens-ökonomie vor, doch es gilt zu bedenken, dass viele der Instrumente, die diesen Übergang ermöglichen, in unserem bestehenden System verwurzelt sind.“ Die soziale Frage wird zwar erkannt … Positiv ist zu bewerten, dass die soziale Frage ins Zentrum gestellt wird. Es ist offensichtlich, dass die radikalen Veränderungen die Wirtschaft betreffen. Das heißt, dass die individuellen Verhaltensänderungen, die von vielen Klimabewegungen gefordert werden, gar keine so große Bedeutung haben. Wer sich gegen Verzichtsforderungen an arme Menschen wendet, findet in diesem Bericht gute Argumente: „Indem wir den materiellen Verbrauch der Reichsten in der Gesellschaft substantiell einschränken und intelligentere Wege beschreiben, um die Menschen mit dem zu versorgen, was sie wirklich brauchen, können wir mehr Raum dafür schaffen, dass die übrigen 99 Prozent ihren gerechten Anteil an den Ressourcen erhalten.“ Alle Vorschläge für die Kehrtwenden und die Pläne für eine „Wohlergehenswirtschaft“ sind vernünftig. Sie bauen darauf, dass Menschen vernünftigen Argumenten gegenüber aufgeschlossen sein können. Das Ziel ist dementsprechend ein „neue(r) Gesellschaftsvertrag für funktionierende Demokratien im Anthropozän“, also dem Menschenzeitalter, in dem die großen globalen atmosphärischen und biologischen Zusammenhänge durch Menschen maßgeblich beeinflusst werden. Sogar „viele prominente Millionäre und Milliardäre haben das Problem erkannt und sprechen sich öffentlich für eine gerechtere Vermögensverteilung aus“. Warum solle es da nicht möglich sein, alle Menschen im Interesse eines Überlebens in einer vernünftig eingerichteten Welt zusammenzubringen? Eine Erde für alle durch alle? Um die Kehrtwenden durchzusetzen, „brauchen wir in allen Regionen engagierte Mehrheiten, die politische Mitte ebenso wie die Grünen, die Nationalisten ebenso wie die Globalisten, die Managerinnen ebenso wie die Arbeiterinnen, die Unternehmen ebenso wie die Gesellschaft, die Wählerinnen ebenso wie die Politikerinnen, die Lehrerinnen ebenso wie die Schüler*innen, die Rebellen ebenso wie die Traditionalisten, die Großeltern ebenso wie die Teenager“.
… aber Illusionen verschleiern die Realität
Hier nun beginnt das ganze Konzept in Richtung illusionärer Wunschträume abzudriften. Es ist ja nicht das Fehlen von Wissen, das die Kapitalseite dazu bringt, die Seite der Arbeitenden massiv zu bekämpfen. Es ist nicht ein bewusst ausgehandelter „Gesellschaftsvertrag“, der das eingesetzte Kapital einem Wachstumszwang unterwirft, den man einfach mal durch vernünftige Überlegungen ändern könnte. Die Erfahrung zeigt, dass die Vermögens- und Kapitalbesitzenden sich immer mit allen Mitteln gegen Einschränkungen gewehrt haben – von Kapitalflucht im Sinne von „das Kapital sei scheu wie ein Reh“ gar nicht zu reden. Die Autorinnen und Autoren des Club of Rome haben die Vorstellung, die Welt würde durch Vernunft regiert und sie müssten nur noch Wissen hinzufügen, um zu grundlegenden Paradigmenwechseln motivieren zu können. Allgegenwärtige Machtpolitik und strukturelle, an das privatkapitalistische Eigentum gebundene Handlungszwänge, ökonomische und Klasseninteressen fehlen in ihrer Analyse völlig.
Gutgemeintes kann voll daneben gehen, wenn die Wurzeln der Verhängnisse dadurch eher verschleiert als benannt werden.