Sprache, Identität und das moderne Belfast – „Kneecap“ jetzt im Kino

Eine elektrisierende Ode

Die irische Sprache wird oft in die Vergangenheit verbannt – ein Relikt ländlicher Idyllen oder historischer Dramen. „Kneecap”, unter der Regie von Rich Peppiatt, zertrümmert diese Vorstellung mit der subtilen Wucht eines Hammerschlags und liefert eine freche, urkomische und bewegende Quasi-Biografie des irischsprachigen linken Rap-Trios „Kneecap“ aus der Arbeiterklasse von Belfast. Mo Chara (Liam Óg Ó Hannaidh), Móglaí Bap (Naoise Ó Cairealláin) und DJ Próvaí (JJ Ó Dochartaigh) spielen fiktionalisierte Versionen ihrer selbst und stellen ihren turbulenten Aufstieg in einer Stadt dar, die mit ihrer Identität nach den Unruhen ringt. Nach ihrem preisgekrönten Debüt beim Sundance Festival und einer Oscar-Nominierung stehen sie nun vor dem internationalen Durchbruch.

Im Kern ist „Kneecap“ ein Film über Sprache – wie sie definiert, einschränkt und befreit. Der Titel – der Name der Band – ist ein Wortspiel, das sich einerseits auf Strafschüsse in die Kniescheibe durch paramilitärische Gruppen (eine Szene, die im Film enthalten ist) bezieht, andererseits aber auch auf den irischen Ausdruck für „Ich denke nicht“: ní cheapaim.

Der Film spielt 2019 in West Belfast vor dem Hintergrund eines wachsenden Einsatzes für die irische Sprache, einer Bewegung, die tief in der Widerstandsbewegung gegen die systematische Unterdrückung durch die britische Herrschaft verwurzelt ist. Seit der Gründung Nordirlands wurden irische Kultur und Sprache marginalisiert, aus dem Bildungssystem und der Regierung ausgeschlossen und während der Unruhen überwacht, wobei öffentliche Bekundungen oft rechtliche oder gewalttätige Konsequenzen nach sich zogen. Gemeinschaftliche Bemühungen wie die Gründung irischsprachiger Schulen und Kulturzentren spielten eine entscheidende Rolle bei der Bewahrung der Sprache als Symbol des Widerstands.
2022 gipfelten diese Bemühungen in der Verabschiedung des Identitäts- und Sprachgesetzes, das der irischen Sprache den gleichen Status wie Englisch verlieh, das Verbot ihrer Verwendung vor nordirischen Gerichten aufhob und ihren Gebrauch in der Nordirland-Versammlung erlaubte. Die Gründung der Band 2017 und ihre rebellische Haltung sind eng mit dieser Bewegung verbunden. Als Mo Chara sich während einer Polizeifestnahme weigert, Englisch zu sprechen, löst dies eine Kette von Ereignissen aus, die den Widerstandsgeist des Trios verdeutlichen. Der Film zeigt Irisch nicht nur als Sprache der Geschichte, sondern auch als lebendigen Ausdruck moderner Subkulturen, Jugend und urbanen Lebens, wobei seine Nutzung als Waffe und Zuflucht das Rückgrat der Erzählung bildet.

Peppiatts Regie ist dynamisch und einfallsreich und verbindet nahtlos verschiedene Stile, um „Kneecaps“ anarchische Energie widerzuspiegeln. Von Knetanimations-Drogentrips bis hin zu nüchternem dokumentarischem Realismus spiegelt der Film das Chaos im Leben seiner Protagonisten. Kameramann Ryan Kernaghans akribische Arbeit macht sich bezahlt, da jedes Bild vor Bedeutung und Witz nur so strotzt. Eine herausragende Szene – unterlegt mit „Kneecaps“ Titel „Sick in the Head“ – zeigt DJ Próvaí beim Balanceakt zwischen seinem Doppelleben als Lehrer und hart feierndem DJ und fasst perfekt die Spannung zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und Selbstausdruck. Allerdings hätte der Film eine differenziertere Darstellung der Auswirkungen von Drogenkonsum und seiner Konsequenzen – insbesondere in der Arbeiterklasse – vertragen. Er spiegelt jedoch die Realität wider und enthält auch herausfordernde Momente wie schlechte Trips. Letztlich vermittelt der Film aber eine positive Botschaft von Sprach- und Gemeinschaftserneuerung und fängt Belfast in all seiner Rauheit und Authentizität ein.

Die Darstellungen sind roh und ungeschliffen – im besten Sinne. „Kneecaps“ Mitglieder sind keine professionellen Schauspieler, aber ihre Authentizität sticht hervor. Mo Charas Erzählstrang, der sich auf seine Beziehung zu einer protestantischen Freundin konzentriert, gibt mit einem satirischen Verweis auf Romeo und Julia Einblick in das empfindliche Zusammenspiel von Liebe und Identität in einer geteilten Stadt. DJ Próvaís Wandel vom zurückhaltenden Sprachlehrer zur kokaingetriebenen Partyikone ist gleichermaßen urkomisch wie tragisch und gewinnt das Publikum mit seiner schieren Nahbarkeit. Móglaí Baps schwieriges Verhältnis zu seinem Vater Arló (Michael Fassbender – bekannt unter anderem für seine Rolle als Bobby Sands in „Hunger“, hier humorvoll „Bobbly Sandals“ genannt) – verankert die filmische Auseinandersetzung mit dem Generationenkonflikt innerhalb des irischen Republikanismus – eine Geschichte, die die „Ceasefire-Generation“ ausdrücklich hinter sich lassen möchte.

Die alte Freiheitsbewegung wird durch Arló und das Leid von Dolores – seiner Frau und Mutter von Bap – dargestellt, ebenso wie durch die realitätsnahe Darstellung der republikanischen Dissidenten, die den bewaffneten Kampf fortzusetzen schwören. Dies wird auf einer anderen Ebene durch die Ablehnung des alten Mottos von Arló durch die Band reflektiert: „Jedes gesprochene Wort Irisch ist eine Kugel für die irische Freiheit“ – ein Motto, das längst überholt ist. Auch Arló erkennt, dass die Zeit gekommen ist, altes Denken hinter sich zu lassen, und findet schließlich Frieden mit dem neuen Weg der jungen Generation.

Doch ist der Film kein reiner Männerclub. Die Frauen in „Kneecap” sind seine emotionalen Stützpfeiler. Von Caitlín (Fionnula Flaherty), DJ Próvaís gesetzestreuer Partnerin, über Dolores (Simone Kirby), Georgia (Jessica Reynolds) bis hin zu Detective Ellis (Josie Walker) verleihen diese Figuren dem Film Tiefe und Nuancen. Besondere Erwähnung verdient die Rolle der katholischen Frauen in der Vergangenheit des Widerstands – zusätzlich zur Widmung des Films an Móglaí Baps Mutter, die sich das Leben nahm – als eine aufrichtige Hommage an die oft übergangenen Beiträge von Frauen zum irischen Unabhängigkeitskampf.

„Kneecap“ ist kompromisslos politisch, mit einem Belfast voller Wandgemälde, einer palästinensischen Flagge und den Narben imperialistischer britischer Herrschaft. Doch das Genie des Films liegt in seiner Behauptung, dass irische Identität konfessionelle Grenzen überschreiten kann. Das Engagement des Trios, Irisch für alle zugänglich zu machen, einschließlich der Protestanten, unterstreicht das Potenzial der Sprache als vereinendes, nicht spaltendes Element. Die Band hat durch Wort und Tat betont, dass sie Sektierertum ablehnt und sich für eine integrative Gesellschaft einsetzt.
Der Soundtrack ist, wenig überraschend, herausragend. Tracks wie „Get Your Brits Out“ verkörpern Kneecaps respektlosen Humor und politischen Biss, während die Einbindung moderner irischer Umgangssprache und Neologismen für Substanzen wie Kokain und ­Ecstasy den Glauben der Band widerspiegelt, dass Sprache sich entwickeln muss, um relevant zu bleiben.

Hinter dem Lachen und dem Chaos steckt in „Kneecap“ eine tiefe Solidarität. Der Aktivismus der Band reicht von der Beschaffung von Geldern für ein palästinensisches Fitnessstudio bis hin zur Thematisierung der Mitverantwortung irisch-amerikanischer Unterdrückung von Minderheiten. Dieses globale Bewusstsein fügt dem Film weitere Schichten hinzu, indem es lokale Kämpfe mit breiteren Bewegungen für Gerechtigkeit verbindet.

„Kneecap“ ist mehr als nur ein Film über eine Band; es ist eine Liebeserklärung an Belfast, ein Aufruf für die irische Sprache und eine Feier der Resilienz und Kreativität der Arbeiterklasse. Inmitten des Chaos wird deutlich: Eine bessere Zukunft ist möglich. Dies ist irischsprachiges Kino, wie es noch nie zuvor gesehen wurde: urban, modern und kompromisslos lebendig.

Kneecap
Regie und Drehbuch: Rich Peppiatt
Unter anderem mit: Móglaí Bap, Mo Chara (II), DJ Próvai
Ab 23. Januar im Kino

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"Eine elektrisierende Ode", UZ vom 24. Januar 2025



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