Im März 2023 beschloss die DKP auf ihrem 25. Parteitag in Gotha, 25.000 Euro für die Digitalisierung der Kinderklinik „Rosa Luxemburg“ in Cárdenas in Kuba zu sammeln. Das Spendenziel wurde in kurzer Zeit übertroffen. Nicht zuletzt durch die Erbschaft der Genossin Inge Holzinger aus Duisburg kamen 100.000 Euro zusammen. Im November erreichte die Klinik eine umfassende Lieferung von Computertechnik und Zubehör. UZ sprach mit Dr. Jorge Rodríguez Fernández, dem medizinischen Leiter der Klinik, die auf die Rehabilitierung von Kindern mit nervlichen Beeinträchtigungen spezialisiert ist.
UZ: Sie sind der Leiter des Reha-Zentrums „Rosa Luxemburg“ in Cárdenas in der Provinz Matanzas in Kuba. Die Kinderklinik entstand mit Hilfe eines der Solidaritätsprojekte der DKP. Wie war das damals?
Dr. Jorge Rodríguez Fernández: Die Klinik wurde am 18. September 2002 eingeweiht. Es gab finanzielle Unterstützung der DKP und auch Hilfe durch Baubrigaden. Die Brigadisten aus der BRD arbeiteten damals je fünf Wochen lang gemeinsam mit kubanischen Bauarbeitern. Sie setzten ein denkmalwürdiges Schulgebäude instand, um es in ein Zentrum für die Behandlung von Kindern mit Rückständen in der Nervenentwicklung und anderen neurologischen Problemen zu verwandeln.
Pro Jahr kommen etwa 1.000 Kinder zur ambulanten Behandlung. Im Jahr 2023 waren es 1.151 Patienten, die in den allermeisten Fällen mit dem ersten Lebensmonat in das Programm kommen. Davon kamen aus der Gemeinde Cárdenas 673 und aus dem Rest der Provinz Matanzas 420 sowie 58 aus anderen Provinzen. Darunter hatten wir 139 schwere Fälle, 785 mittelschwere und 168 leichte; bei 59 ergab sich kein neurologischer Befund.
UZ: Mit welchen Beschwerden kommen die Kinder zu Ihnen und wie werden sie behandelt?
Dr. Jorge Rodríguez Fernández: Wir behandeln alle Kinder der Provinz Matanzas mit perinatalen Risiken für die nervliche Entwicklung, also mit Risiken, die kurz vor oder nach der Geburt auftreten. In den vergangenen Jahren haben wir unsere Leistungen dahingehend erweitert, dass auch Kinder aus dem autistischen Spektrum oder mit Epilepsie versorgt werden. Zurzeit leisten wir eine interdisziplinäre und diagnostische Bewertung im perinatalen Nervenentwicklungsbereich, zum Beispiel bei Frühgeborenen, untergewichtigen Kindern oder Kindern mit genetischen oder Chromosomenerkrankungen. Wir entwickeln individuelle Programme zur Rehabilitation, die in der Klinik durchgeführt werden. Dazu kommt eine Einarbeitung der Eltern, damit sie die Behandlung der Kinder zu Hause begleiten können.
Außerdem führen wir Diagnosen im neuropsychologischen Bereich bei Kindern im Vorschul- und Schulalter durch. Dabei geht es um Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen, Sprachentwicklungsstörungen und motorische und auf Autismus beruhende Rückstände oder Lernverzögerungen. Zu unseren Behandlungsmethoden gehören physio-motorische Reha-Maßnahmen, Beschäftigungs- und Sprachtherapie, Hydromassage und Hydrotherapie, Musik- und Tanztherapie, Klimatherapie und Therapien mit Tieren, zum Beispiel mit Pferden.
UZ: Wie kommen denn die Kinder in Ihre Klinik und wie wird ihr Bedarf festgestellt?
Dr. Jorge Rodríguez Fernández: Kinder, für die eine neurologische Behandlung nötig ist, kommen über drei verschiedene Wege zu uns. Erstens kommen alle Neugeborenen mit Risiken einer nervlichen Entwicklungsstörung, zum Beispiel untergewichtige Kinder und Kinder mit pränatalen Faktoren. Das sind Kinder, deren Mütter zum Beispiel an Anämie, Bluthochdruck, Stoffwechselproblemen, Schwangerschaftsdiabetes oder Schilddrüsenproblemen leiden. Auch Kinder mit Neugeborenensepsis, Geburtserstickung oder jeder anderen von den Experten der Provinzgeburtskliniken des Landes diagnostizierten Risikosituation werden im ersten Lebensmonat in unser Zentrum überwiesen.
Zweitens kommen Kinder zu uns, bei denen die Familienärzte des Gesundheitswesens feststellen, dass es ihnen in der psychomotorischen Entwicklung nicht gut geht, oder Kinder, bei denen es eine pathologische Diagnose gibt, die die nervliche Entwicklung betrifft, wie beispielsweise bei einem Schädel-Hirn-Trauma, Nervenentzündungssyndromen oder dem Beginn einer Epilepsie. Drittens kommen Kinder zu uns, wenn Eltern ihre Entwicklung als zurückbleibend hinter der ihrer Geschwister oder von Nachbarkindern ansehen.
UZ: Wie lange bleiben die Kinder in der Regel bei Ihnen?
Dr. Jorge Rodríguez Fernández: Die Kinder werden alle drei Monate bis zum Alter von sechs Jahren von einem interdisziplinären Team evaluiert. Zu dem Team gehören jeweils ein Neurokinderarzt, ein Psychopädagoge und eine Krankenschwester. Wenn das Mädchen oder der Junge mit sechs Jahren die Probleme überwunden hat, wird das Kind entlassen. Falls die Probleme in diesem Alter weiter bestehen, es zum Beispiel bei der Sprache oder der sozialen Interaktion mangelt oder auch Epilepsie vorliegt, dann bleibt es bis zur Heilung oder zur Erlangung der bestmöglichen sozialen Kompetenz bei uns in Behandlung.
Für Volljährige, die immer noch einen Grad an Fehlentwicklung haben, versuchen wir gemeinsam mit dem Arbeitsministerium eine geeignete Beschäftigung zu finden. Jungen Menschen, die so stark beeinträchtigt sind, dass sie keiner Arbeit nachgehen können, helfen wir mit einem Projekt namens „Grandes Ilusiones“. Durch Angebote des nationalen Sportinstituts, von Computerclubs und Kulturhäusern wird ihnen gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, um ihre Lebensqualität und Sozialisierung zu verbessern.
Unsere Behandlungen sind aber sehr oft erfolgreich. Wir haben die Ergebnisse des Programms zur Früherkennung bei Kindern mit neurologischem Risiko in einer wissenschaftlichen Studie erfasst. Über sechs Jahre haben wir 200 Kinder der Geburtsjahrgänge 2012 und 2013 begleitet, von denen 184 irgendeine Art von Nervenfehlentwicklung im ersten Lebensjahr hatten. Mehr als 90 Prozent von ihnen haben ihre Schwierigkeiten komplett überwunden und konnten in das Schulsystem integriert werden. Veröffentlicht wurde die Studie in der Kubanischen Kinderheilkundezeitschrift 95/2023.
UZ: Die Klinik ist die einzige Klinik dieses Typs in der Provinz Matanzas. Hat sie auch Bedeutung auf nationaler oder sogar internationaler Ebene?
Dr. Jorge Rodríguez Fernández: Ja, unsere Klinik ist die erste und einzige so spezialisierte Kinderklinik in ganz Kuba. Damit ist sie ein nationales Referenzobjekt für die Behandlung von Kindern mit neurologischen Rückständen. Unsere Forschungs- und Behandlungsergebnisse sind international anerkannt. Es fanden bereits 22 Kurse und Praktika mit mehr als einhundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus ganz Lateinamerika statt. Im benachbarten Varadero gab es außerdem drei internationale Kongresse zu Nervenentwicklungs-, Aufmerksamkeits- und Autismusstörungen, an denen Experten aus ganz Amerika, also auch aus den USA und Kanada, teilnahmen.
Durch dieses Prestige wurde es möglich, 2019 das Zentrum „Nervenentwicklung der Gesellschaft der Neurowissenschaften Kubas“ zu gründen. Mir wurde die Präsidentschaft übertragen, die im April 2023 bestätigt wurde. Derzeit beteiligen wir uns gemeinsam mit den vier Provinzen Havanna, Santa Clara, Holguín und Santiago de Cuba an einem landesweiten Forschungsprojekt autismusbedingter Entwicklungsstörungen.
UZ: Ihre Arbeit bestätigt eindrucksvoll den hohen Stellenwert, den Kinder seit dem Sieg der Revolution in Kuba genießen. Dem steht die politische, wirtschaftliche und finanzielle Blockade gegen Kuba entgegen. Inwieweit leidet der Gesundheitssektor und dabei speziell die Pädiatrie an der Blockade?
Dr. Jorge Rodríguez Fernández: Die Auswirkungen der US-Blockade zeigen sich in allen Teilen des Lebens auf Kuba, aber einer der am stärksten betroffenen Bereiche ist in der Tat der Gesundheitssektor. Es fehlen alle möglichen Arzneibestandteile und Medikamente, sogar die gebräuchlichsten, wie Antibiotika, Blutdrucksenker oder Gerätschaften für einfachste chirurgische Eingriffe, wodurch das Leben der Patienten gefährdet wird.
In unserer Klinik fehlen zum Beispiel häufig Medikamente mit krampflindernden Substanzen für epileptische Kinder. Das ist für uns ein großes Problem, da mehr als 30 Prozent unserer Patienten an verschiedenen Typen von Epilepsie leiden. Außerdem gibt es Probleme bei der Beschaffung für Material eigentlich in allen Therapiebereichen. Betroffen sind sogar die Beschäftigungstherapie, die Logophoniatrie und die Durchführung psychometrischer Tests, die wir für die Diagnostik benötigen. Wir haben auch Schwierigkeiten, die EEG-Apparate für die Messung der Gehirnströme zu pflegen – unsere Geräte sind in die Jahre gekommen und müssen häufig repariert werden.
Hinzu kommen die alltäglichen Probleme zum Beispiel des Transports. Wenn zum Beispiel ein Kind aus einer entfernten Gemeinde kommt, wird die Teilnahme an den Reha-Maßnahmen durch den Treibstoffmangel massiv erschwert.
UZ: Die DKP hat im vergangenen Jahr ein neues Solidaritätsprojekt verwirklicht und Spenden gesammelt, um die Klinik „Rosa Luxemburg“ mit moderner Computertechnologie auszustatten. Inzwischen ist das Material bei Ihnen angekommen. In welcher Weise kann es Ihre Arbeit erleichtern?
Dr. Jorge Rodríguez Fernández: Die DKP und einzelne Genossen der DKP haben uns in all den Jahren seit Eröffnung der Klinik solidarisch begleitet. Mit dieser Hilfe konnten wir die Arbeit aufrechterhalten und verbessern. Wir konnten zum Beispiel einen Umbau zur Nutzung größerer Räume durchführen und nötige Geräte zur Ventilierung und Klimatisierung kaufen.
Nun ist eure jüngste und sehr wichtige Spende eingetroffen, die uns eine komplette IT-Versorgung des Zentrums erlaubt. Damit können wir Computerprogramme für Diagnose, Rehabilitation und Ausbildung unserer Fachkräfte nicht nur bei uns, sondern auch in der ganzen Provinz Matanzas und anderen Provinzen des Landes anwenden. Wir konnten nun auch Programme installieren, die uns erlauben, künstliche Intelligenz bei Evaluierung, Diagnose und Fortlauf der Diagnose unserer Patienten anzuwenden. Wir sind noch dabei, die neuen Geräte zu installieren und hoffen, zu Jahresbeginn 2024 alles angeschlossen zu haben.
Aufgrund eurer Solidarität trägt unsere Klinik den Namen „Rosa Luxemburg“, zu Ehren unserer Genossinnen und Genossen der Deutschen Kommunistischen Partei.
Eine Erfolgsgeschichte
Vor über 20 Jahren wurde die Klinik „Rosa Luxemburg“ eingeweiht
Gesundheit hat im kubanischen Sozialismus einen besonderen Stellenwert. Und auch die Kinder spielen eine besondere Rolle. Nur so lässt sich erklären, dass das kubanische Gesundheitsministerium 1992 über die Gründung einer Einrichtung zur frühzeitigen Behandlung von Entwicklungsstörungen bei Neugeborenen und Kleinkindern in der Provinz Matanzas nachdachte. 1992, das war mitten in der „período especial“, der „Sonderperiode“, in der die Kubanerinnen und Kubaner nach der Konterrevolution in der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern in Europa und der Verschärfung der US-Blockade im wahrsten Sinne des Wortes ums Überleben kämpften.
Impulsgeber für die Schaffung einer Rehaklinik für Kinder war ihr heutiger Leiter, Dr. Jorge Pedro Rodríguez Fernández. Er ist selbst Vater eines Kindes mit Entwicklungsstörungen. Aus der Idee reifte innerhalb von acht Jahren das Gemeinschaftsprojekt heran. Im November 2000 wurde das bis dahin in Kuba einzigartige Projekt unter dem Namen „Clínica de Rehabilitación del Neurodesarrollo Rosa Luxemburgo“ mit der DKP als Partner präsentiert. Die DKP hatte zu dem Zeitpunkt mit Spenden und eigenen Baubrigaden bereits drei Familienarztpraxen und eine Reha-Klinik in der Stadt Matanzas errichtet und sich so für das große Vorhaben in Cárdenas empfohlen. Die Kuba-AG der DKP sammelte für dieses Projekt umgerechnet 250.000 Euro und sandte zehn Container mit Material nach Matanzas. Insgesamt brachte die DKP in den 1990er Jahren umgerechnet 2,5 Millionen Euro an Geld- und Sachspenden für Gesundheitsprojekte in Kuba zusammen.
Im Herbst 2001 begannen die Bauarbeiten durch die kubanische Baubrigade „Esteban Hernández“. Unterstützt wurden sie durch vier DKP-Solidaritätsbrigaden mit jeweils rund 15 deutschen Brigadistinnen und Brigadisten. Mitten in der Bauphase verwüstete der Hurrikan Michelle im November 2001 Teile der Provinz Matanzas. Viele Bauarbeiter verloren ihr eigenes Heim, aber arbeiteten dennoch weiter auf der Klinikbaustelle. Nur elf Monate nach Baubeginn, am 18. September 2002, wurde das Zentrum unter Anwesenheit des Ersten Sekretärs der KP Kubas in Matanzas, Víctor Gaute López, und des damaligen Vorsitzenden der DKP, Heinz Stehr, feierlich eröffnet. Am folgenden Tag wurden in der Clínica „Rosa Luxemburgo“ die ersten Kinder behandelt.
Seitdem unterstützten DKP-Mitglieder, ehemalige Brigadisten, auch die Kölner Firma „Die Stromer“ und die Kuba-AG des DKP-Parteivorstandes die Klinik immer wieder mit kleineren und größeren Spenden. Zuletzt beschloss die DKP auf ihrem 25. Parteitag, die Klinik mit moderner Computertechnik auszurüsten. Im November ist das Material im Wert von 100.000 Euro in der Klinik angekommen. Die Solidarität geht weiter!
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