Eisig kalt ist es an diesem windigen Freitag, als zwei Mitglieder der SDAJ und ein Journalist der UZ zum Schulhof der Außenstelle der Berufsbildungsschulen (BBS) II, III und „Metall & Technik“ in Hannover-Glocksee gehen. Sie wollen mit den Berufsschülern ins Gespräch über ihre Gegenwart und Zukunft kommen.
Die Jungs – Mädchen sind nur wenige dabei – sind auskunftswillig und ihre Schule kommt gut dabei weg. Das freut eine Lehrerin, die sich zu uns stellt: „Ich will doch wissen, was die über uns sagen, wenn die Presse kommt!“ Sie hört zufrieden zu, auch wenn die Schüler darauf hinweisen, dass wegen fehlender Lehrer im Moment sowohl Englisch als auch Sport ausfällt. Einige Jugendliche – aus Osteuropa, aus Vorderasien und aus dem Iran – lernen Deutsch an der Schule und sind voll des Lobes über die Sprachkurse. Ob sie denken, dass sie eine berufliche Perspektive haben? „Klar, wird schon was werden!“ ist die Antwort von Wali, einem der Sprachschüler. Andere sind skeptischer, abwartender. Aber der Grundtenor der meisten ist positiv. Das mag auch daran liegen, dass Freitag ist und sich alle auf das Wochenende freuen – aber wohl eher daran, dass diejenigen, die hier zur BBS gehen, noch von keinen allzu großen finanziellen Sorgen geplagt werden. Fast alle, die wir fragen, wohnen noch bei ihren Eltern oder – vor allem die Migranten – in staatlichen Einrichtungen, sind also nicht darauf angewiesen, sich auf dem Markt der Wohnungen zu bewerben.
Darauf kommen wir zu sprechen, als wir uns zu einer ausführlicheren Gesprächsrunde ins „Damaskus“ zurückziehen, einem der vielen von Ausländern betriebenen Lokale rund um den Goetheplatz, in denen es einfaches, aber gutes Essen für ein paar Euro und – wichtig an Tagen wie diesem – heißen Tee für 50 Cent gibt. In solchen Lokalen treffen sich über Mittag viele Jugendliche, die wenigstens einen halben Euro nicht ein paar Mal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben.
„Wenn ich nicht das Kindergeld hätte“, sähe es finanziell schlecht aus, meint Lena. Sie korrigiert mich lachend, als ich einwerfe „250 Euro im Monat, oder?“ „Nein“, verbessert sie, „ist heftig erhöht worden – seit Januar 255!“ Mit Jobben zusammen kommt sie auf 800 Euro im Monat – zu wenig, um entspannt leben zu können und angesichts der beruflichen Unsicherheit, die sie plagt, sei „es schwierig, optimistisch zu bleiben“. Das bestätigen auch Luna, Johnny und Jan. Alle vier engagieren sich politisch, sind Mitglieder der SDAJ. Auf die Frage, ob das bei anderen Jugendlichen auch so sei, schütteln sie die Köpfe über dem heißen Tee im „Damaskus“: Die meisten hätten das Gefühl, dass man ja doch nichts ändern könne. Das könne man sogar verstehen, verweist Johnny auf seine eigenen Erfahrungen: „Ich habe, als ich angefangen habe, politisch zu arbeiten, gerödelt wie verrückt – aber bewegt hat sich wenig. Da ist es schon schwer, nicht mutlos zu werden.“
Die Berufsschüler aus der BBS II und III sind häufig noch nicht an diesem Punkt angelangt. Aber die Chancen stehen gut, dass auch einige von ihnen einsteigen in das Langstreckenrennen um eine bessere Zukunft. „Die SDAJ konnte ja einige Gruppen neu gründen in der letzten Zeit“, erläutert Jan. Und Lena bekräftigt: „Die Hoffnung auf ein besseres Morgen verdanke ich dieser organisierten Arbeit – das hilft auch persönlich.“ Schon um das bisschen Hoffnung muss also gekämpft werden, ist wohl das Hauptresümee dieses kalten Vormittags – „und dabei wollen wir doch gar nicht viel!“, sagt abschließend Johnny: „Einfach nur eine gute Wohnung, sicherer Job, der Spaß macht und nicht kaputt, und auch am Monatsende ein bisschen Geld auf der Tasch’ …“
Lena kennt gute Gründe, sich zu organisieren – am besten in der SDAJ
Für ein besseres Morgen
Als ich klein war, dachte ich, ich würde später mit einem gut bezahlten Job ein schönes Haus bauen und dort bis ans Ende meiner Tage mit meiner Familie wohnen. Wenn die anderen Erwachsenen das so machen, dann werde ich es ja wohl auch schaffen. Inzwischen weiß ich es besser. Ich treffe auf viele Jugendliche, die ihre Zukunftspläne verwerfen mussten und ratlos vor dem Leben stehen. Die Hoffnungslosigkeit und Überforderung meiner Generation wird gerne auf Faulheit oder falsche Erziehung geschoben. Doch wie sollen sich Jugendliche in einer Zeit wachsender Kriegsgefahr, steigender Mieten, von Inflation und Arbeitsplatzmangel gut entwickeln? Es war nicht politisches Interesse, das mich dazu brachte, mich gegen dieses System zu organisieren. Es war die Wut über den Zustand, in dem uns die Welt hinterlassen wurde.
Meine Freunde sind alle in irgendeiner Art Opfer dieses Systems. Bei dem einen wurde die Arbeitsgenehmigung plötzlich nicht erneuert und er wurde auf die Straße gesetzt. Die andere ist in einem Milliardenunternehmen angestellt, aber musste mehrere tausend Euro Schulden aufnehmen, um Bußgelder abzubezahlen.
Wut hat bei mir auch der Zustand unserer Erde ausgelöst. Uns wurde erzählt, man müsse etwas gegen das Artensterben, die Waldbrände, die Überflutungen und die schmelzenden Gletscher tun. Wir haben dafür demonstriert. Aber dann haben wir gesehen, dass sich nichts tat, gar nichts. Dafür suchte ich einen Grund. Als ich auf die Profitinteressen des gierigen Kapitalismus als Verursacher kam, war ich kampfbereit.
Doch diese Reaktion ist leider nicht üblich. Überflutet mit Informationen, gestresst und überfordert von Problemen, isoliert mit den eigenen Sorgen, ist die häufigste Reaktion leider Resignation. Natürlich will jeder eine bezahlbare Wohnung während des Studiums oder der Ausbildung. Natürlich will keiner ständig mit der Angst vor Kriegen und einem sterbenden Planeten leben. Ich kann keinem einen Vorwurf machen, der sich machtlos fühlt.
Aber ich wünsche mir, dass wir mit unserer Arbeit, dass wir mit der SDAJ Stück für Stück Hoffnung wecken, dass wir zeigen können, dass wir alle gemeinsame Interessen haben und dafür zusammen stehen und kämpfen können. Wir wollen zeigen, dass es überall organisierte Jugendliche gibt, die sie auffangen können. Eine Zukunft, in der Sozialwohnungen und Kulturangebote finanziert werden anstelle von Waffen und Völkermord, muss doch für jeden vorstellbar sein. Eine Zukunft, in die auch wir Kinder setzen wollen, ohne Angst vor Armut und Umweltkatastrophen zu haben. In der wir nicht bis Ende zwanzig bei unseren Eltern wohnen müssen und in der wir den Berufen nachgehen können, von denen wir als Kinder geträumt haben. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.
Lena …
… kommt aus einer Migrantenfamilie. Ihre Eltern, inzwischen Rentner, sind stolz auf das Abi ihrer Tochter. Sie selbst lebt vom Kindergeld und vom Jobben in der Gastronomie, möchte ihren Eltern nicht zur Last fallen. Sie träumt von einer Ausbildung als Biolaborantin.
UZ: Hast du Chancen, dass dein Traum Wirklichkeit wird?

Lena: Ja, aber es gestaltet sich doch schwerer als gedacht. Die Stelle übers Land Niedersachsen wird nur einmal alle drei Jahre vergeben. Die Medizinische Hochschule bildet wegen Fachkräftemangel zur Zeit keine Biolaboranten aus. Also habe ich mich dort alternativ zur MTL (Medizinische Technologin für Laboratoriumsanalytik, d. Red.) beworben. Ich kriege erst spät Bescheid, ob ich genommen werde. Wahrscheinlich muss ich erst ein Jahr separat an die Berufsschule, wo ich schon wieder nicht weiß, wie ich mich finanziell durchbringen soll. Über andere Ausbildungsstellen beim Gesundheitsamt oder der Tierärztlichen Hochschule zum Beispiel finde ich nirgends Infos.
UZ: Ist das bei deinen Freunden und Freundinnen ähnlich?
Lena: Ja, das ist bei vielen Migrantenkindern so. Da wird früh entschieden: „Du machst eine Ausbildung.“ Das ist bei den meisten auch verinnerlicht. Die grenzen sich von Studis ab, auch weil sie das Gefühl haben, dass die auf sie herabblicken.
UZ: Wo wohnst du jetzt?
Lena: Bei meinem Freund – aber das ist keine Dauerlösung. Ich hoffe auf einen Ausbildungsplatz mit guter Vergütung. Dann würde ich künftig vielleicht auch das Monatsende aus finanziellen Gründen nicht so herbeisehnen, wie ich das zurzeit mache.
Johnny …
… kommt aus der Arbeiterklasse – Mutter Versicherungsangestellte, Vater Bühnenarbeiter am Opernhaus.
UZ: Was willst du beruflich machen?
Johnny: Da arbeiten, wo mein Vater arbeitet – aber als Bühnenmaler.
UZ: Bist du auf Kurs?
Johnny: Nee, keine Chance. Es gibt nur eine einzige Ausbildungsstelle. Es macht mich wütend, dass Geld ohne Ende da ist für Waffen, Uniformen und Raketen, aber so eine sinnvolle Sache wie Bühnengestaltung kaputtgemacht wird.
UZ: Was machst du jetzt?
Johnny: Ich habe erst eine Lehre als Maler und Lackierer angefangen. Aber große Flächen auf Großbaustellen sind nicht mein Ding. Jetzt pausiere ich und will noch einen zweiten Anlauf nehmen.

UZ: Und wenn der nix wird?
Johnny: Weiß nicht, vielleicht Brauer und Mälzer lernen – das klingt auch ganz gut.
UZ: Wovon lebst du jetzt?
Johnny: Bürgergeld
UZ: Reicht das?
Johnny: Nee, hinten und vorne nicht.
UZ: Wo wohnst du?
Johnny: Im Moment penne ich bei meiner Mutter auf dem Sofa. Aber jetzt habe ich in Davenstedt am Stadtrand eine Einzimmerwohnung in Aussicht. Das wäre meine erste eigene Bude. Die Wohnungssuche hier ist eine Katastrophe. Wenn die Regierung ihr Versprechen, jedes Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen, gehalten hätte, gäbe es in Hannover in diesen drei Jahren jetzt fast 10.000 mehr. War aber nix – das Geld haben die in Waffen für die Ukraine verwandelt.
Luna …
… studiert Landesarchitektur und kommt gut gelaunt zum Interview, weil sie heute ihre letzte Klausur für dieses Semester geschrieben hat – „Ist ganz gut gelaufen.“
UZ: Würdest du das wieder studieren?

Luna: Ja, das ist ein toller Job. Allerdings glaubten wir alle, als wir vor einigen Jahren anfingen, wir würden dringend gebraucht – weil durch den Klimawandel, wenn die Temperaturen weiter steigen, die Städte umgestaltet werden müssen. Zumindest wenn wir weiter in ihnen leben wollen. Aber das hängt alles an öffentlichen Geldern und die werden zur Zeit ja umgeleitet. Das ist ein schöner Beruf, aber krisenfest ist er nicht mehr. Und politisch arbeiten ist in diesem Bereich schwierig, das sind häufig sehr kleine Betriebe.
UZ: Hast du Angst vor Arbeitslosigkeit nach dem Studium?
Luna: Nein, nicht wirklich. Es hängt auch vom Fach ab. Die bei uns haben keine wirkliche Angst vor Arbeitslosigkeit – die, die Philosophie studieren, schon eher.
UZ: Wovon bezahlst du das Studium?
Luna: Meine Familie hilft und ich jobbe nebenher als Gärtnerin.
UZ: Reicht das?
Luna: Na ja, die Hälfte geht für die Miete meiner kleinen Einzimmerbude drauf und es ist stressig, nebenher jobben zu müssen, um die bezahlen zu können. Und außerdem sind die Studiengebühren immer mehr angestiegen – Hannover ist mit 800 Euro im Jahr jetzt die teuerste Uni in Deutschland.