Eine Art von Schaulaufen

Klaus Wagener zum „Flüchtlingsstreit“

Man kann kaum behaupten, dass die europäische Rechte erfolglos ist. Worum wird gestritten? Geht es um Armut, soziale Ungleichheit, obszönen Reichtum, zerbröselnde Altersversorgung, marode Schulen, die Pflegekatastrophe, die marode Infrastruktur? Den ganz normalen Wahnsinn der neoliberalen Zurichtung? Natürlich nicht. Es geht um jene sehr überschaubare Zahl armer Menschen, die es trotz Auffanglager, Mauern und Natodrahtzäunen, die schon weit südlich in Afrika beginnen, trotz Mittelmeer und versperrten Häfen, trotz der europäisch finanzierten Konzentrationslager Erdogans irgendwie nach Europa geschafft haben. Diese Menschen sollen hier nicht sein. Ihre Zahl ist den Vorkämpfern des christlichen Abendlandes und der europäischen Wertegemeinschaft zu hoch. Sie soll gesenkt werden – soweit irgend möglich. Der „Flüchtlingsstreit“ ist eine Art Wettlauf, wer dazu die reaktionärsten und brutalstmöglichen Regelungen anzubieten hat.

Natürlich ist die „Flüchtlingskrise 2018“ weit davon entfernt ein objektives Problem zu sein. Die Bundesrepublik hatte nach dem II.Weltkrieg um Dimensionen höhere Flüchtlingszahlen „freudig“ aufgenommen. Aber damals waren die Flüchtlinge aus dem Osten der Beweis für die „Unmenschlichkeit des kommunistischen Unrechtsregimes“. Heute sind die Flüchtlinge aus dem Süden höchstens der Beweis für die von der „westlichen Wertegemeinschaft“ angerichteten, und auch auf „uns“ zustürzenden ökonomischen und ökologischen Katastrophen. So etwas will von den Allerchristlichsten niemand wissen. Da wird doch lieber der Bote für seine Botschaft erschlagen.

Die „Flüchtlingskrise 2015“ war so etwas wie der Reichstagsbrand 1933, oder der Anschlag auf die Zwillingstürme 2001. Ein medial als traumatisch dargestelltes Ereignis, das alles legitimiert, was vorher undenkbar war. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die flüchtenden Menschen 2015 nur deshalb so ins Land gelassen wurden, um nun ein „Argument“ für einen umfassenden rechten Durchmarsch zu haben. Einer nun AfD-nahen CSU werden 18 Prozent bescheinigt. Es entstünde mit der AfD ein rechter Block, ohne den im Bundestag, angesichts der neoliberalen Vasallenhaltung der SPD nichts mehr läuft.

In der Sache reicht dieser Durchmarsch von den umfassenden Polizeigesetzen, welche die Repressionskräfte im Inneren wieder bürgerkriegsfähig machen sollen, Repressionskräften, zu denen auch die Bundeswehr zu zählen ist, bis hin zu einer europäischen Armee, natürlich inklusive der Bundeswehr, die „strategische Autonomie“ (von derLeyen) anstrebt, also wieder autonom, ohne die US-Army, angriffskriegsfähig zu werden. Geradezu klassisch wird auch die Unschuldsvermutung abgeräumt, die allseitige digitalisierte und automatisierte Überwachung ermöglicht und eine, wie in Bayern, möglichst unbeschränkte Vorbeugehaft durchgesetzt. Diese natürlich völlig unvollständige Sammlung zeigt schon, wohin die Reise geht: Deutsch-Europa will ohne Zweifel ein „erwachsenes“ imperialistisches Zentrum werden, das sich erfolgreich mit den russisch-asiatischen Konkurrenten um die Erbmasse des US-Imperiums streiten kann.

Die Kanzlerin stand bislang ungerührt für die atlantische Vasallentreue, für die großen Erzählungen des globalen neoliberalen Handelsimperialismus im Schatten der US-Flugzeugträger. Dieses Feigenblatt ist mit Donald Trump abgeräumt und damit die Kanzlerinnen-Dämmerung eingeleitet. Was nun zählt, ist der ordinäre, selbstgefällige, egozentrische und immer auch rassistische Imperialismus. Die Flüchtlingsdebatte zeigt sehr klar, dass dieses Land – und vor allem seine Eliten – damit eine Menge Erfahrung hat.

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"Eine Art von Schaulaufen", UZ vom 29. Juni 2018



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