Glyphosat-Prozesse bestimmen Bayers Schicksal

Eine Aktie vor Gericht

Von Jan Pehrke

Bayer: Jeder siebte Arbeitsplatz weg

Durch einen Brief des Vorstandes erfuhren die 32000 Beschäftigten von Bayer in Deutschland am Dienstag, wie die Vernichtung jedes siebten Arbeitsplatzes durchgeführt werden soll. In einer Betriebsvereinbarung waren im vergangenen Jahr betriebsbedingte Kündigungen bis zum Jahr 2025 ausgeschlossen worden.

Daher will der Konzern mittels Abfindungen 4 500 Kolleginnen und Kollegen vor die Tür setzen. Der Großteil des Stellenabbaus trifft die Verwaltung, Forschung und Informationstechnik.

Die Entscheidung, Monsanto übernehmen zu wollen, fiel bei Bayer nicht im Konsens. Der damalige Vorstandsvorsitzende Marijn Dekkers wandte sich dagegen. Für ihn passte das US-Unternehmen nicht in die Konzern-Strategie und das schlechte Image des Agro-Riesen tat ein Übriges. Sein designierter Nachfolger Werner Baumann und der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning hingegen befürworteten das Geschäft. Ihrer Einschätzung nach entsprach sie der industriellen Logik. Die ganze Branche wurde gerade von einer Konzentrationswelle überzogen und es galt, „Schlucken oder geschluckt werden“.  Zudem erlaubte die „Marktbereinigung“ das Durchsetzen höherer Preise. Darüber hinaus ergänzte das Portfolio von Monsanto das des Konzerns. Und wie immer in solchen Fällen winkten „Synergie-Effekte“.

Baumann und Wenning setzten sich schließlich durch und die nackten Zahlen geben ihnen recht. Im Geschäftsjahr 2018 erhöhte sich der Umsatz der Landwirtschaftssparte um 49 Prozent auf 14,3 Milliarden Euro, wobei 47,2 Prozent auf das Konto von Monsanto gingen. Besonders stark wirkte sich der Deal bei den Herbiziden aus, deren Umsatz wuchs um 58,4 Prozent. „Der Anstieg im Bereich Herbizide ist im Wesentlichen bedingt durch höhere Preise und Mengen-Ausweitungen von ‚Round­up‘ in Lateinamerika“, hält der Geschäftsbericht fest und führt als zweiten Faktor einen besseren Absatz in Brasilien an. Dort hatten die Landwirtinnen und Landwirte ihre Lagerbestände aus dem letzten Jahr abgebaut und kauften infolgedessen wieder größere Mengen.

Synergie-Effekte haben sich bereits eingestellt. CropScience-Chef Liam Condon konnte sie sogar schon genau beziffern: Von 870 Millionen Euro bis zum Jahr 2022 geht er aus.

Aber obwohl die Rechnung von Baumann und Wenning voll aufgegangen ist, verlor die Bayer-Aktie seit der Monsanto-Übernahme massiv an Wert. Sie fiel von 86,8 auf aktuell 58 Euro. „Die gute Verfassung des Unternehmens, die hervorragende Wachstumsperspektiven, die Ertragskraft – all das sehe ich nur sehr unvollständig im derzeitigen Börsen-Wert gespiegelt“, beklagt der Vorstandsvorsitzende sich dann auch. Offensichtlich hat da etwas die industrielle Logik durchkreuzt und dieses Etwas waren die Schadenersatz-Prozesse vor US-amerikanischen Gerichten in Sachen „Glyphosat“. Im ersten Verfahren verurteilten die Geschworenen Bayer zu einer Zahlung von 78 Millionen Dollar, im zweiten zu 80 Millionen Dollar. Die Finanzmarkt-Akteure rechneten das auf die noch ausstehenden 11200 Klagen hoch und stießen die Papiere des Unternehmens ab.

Trotzdem hält der Leverkusener Multi weiterhin in Treue fest zu seinem Präparat: „Glyphosat ist bei sachgemäßer Anwendung ein sicheres Produkt, das kein Krebsrisiko birgt.“ Dementsprechend geht er gegen die Urteile vor. Er spekuliert darauf, in den höheren Instanzen mehr Gnade für Glyphosat zu finden, weil dort Juristen statt Geschworene sitzen, die in den Augen des Global-Players leicht für das Schicksal der krebskranken Klägerinnen und Kläger einzunehmen sind. Erst wenn es hier zu keinen merklichen Reduzierungen der Strafen kommt, dürfte der Konzern den Geschädigten Vergleiche anbieten und damit anzeigen, welchen Preis er bereit ist, für das Glyphosat-Desaster zu zahlen.

Die Anleger sehnen diesen Tag herbei, denn er würde für klare Verhältnisse sorgen und die Phase der Unsicherheit beenden, welche dem Bayer-Kurs mehr als alles andere schadet. Bis es so weit ist, stellen die Investoren und Pensionsfonds selber Rechenspiele an. „Kommt Bayer mit Zahlungen von fünf Milliarden Dollar davon, hat der Bayer-Vorstand alles richtig gemacht“, sagt etwa Markus Manns von Union Investments: „Muss Bayer am Ende mehr als zehn Milliarden Dollar zahlen, hat der Vorstand die Risiken von Monsanto klar unterschätzt.“ An zehn Milliarden Dollar hängt es ihm zufolge also, ob die industrielle Logik am Ende ihren Geltungsanspruch zu behaupten vermag. Aber wie auch immer die Sache ausgeht, die Verlierer stehen jetzt schon fest: Die 12000 Beschäftigten, die im Zuge des Monsanto-Geschäfts ihren Job verloren haben, weil Blackrock & Co. angesichts des dahinsinkenden Aktienkurses Taten vom Leverkusener Multi sehen wollten.

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"Eine Aktie vor Gericht", UZ vom 12. April 2019



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