Die Grundthematik – eher in den schriftlichen Beiträgen von Einzelautoren als in den Gruppendiskussionen – ist gewiss die Frage nach der Grundlage des Leitantrages, der von uns für richtig gehaltenen antimonopolistischen Strategie (AMS). Wir wissen, dass die interne Auseinandersetzung dazu längst vor Erscheinen des Leitantrages begonnen hatte und dass diese Debatte auch nicht nur in der DKP geführt wird. Wir wissen, dass in mehreren kommunistischen Parteien diese Kontroverse zu scharfen internen Konflikten geführt hat und die Debatte längst in Bereiche abgehoben hat, die eine sachliche Klärung und unvoreingenommene Bewertung der Strategieentwicklung belastet.
Ein zentraler Höhe- und Ausgangspunkt liegt weit zurück. Es ist die damalige „Polemik über die Generallinie der kommunistischen Weltbewegung“ zwischen den Zentralkomitees der KPdSU und der KP China aus dem Jahre 1963. Dies war der Bruchpunkt, der für Jahrzehnte die kommunistische Bewegung zersplittert hatte, längst bevor mit 1989/91 der Sieg der Konterrevolution den damaligen Niedergangsprozess vollendete. Ich weiß aus eigenem Erleben, auf welche Irrwege und Seitenlinien die Debatte um die richtige Strategie abglitt, die bis heute mit der Frage der Bewertung des 20. Parteitages der der KPdSU verbunden ist. Ich will mich aber nicht in Vergangenheitsbewältigung ergehen, sondern nur deshalb darauf hinweisen, weil es viele Jüngeren nicht mehr wissen.
Viele – ich würde sogar sagen, die meisten – Fragen, die von einer Gruppierung in der Partei und SDAJ, die sich als wahre kommunistische Revolutionäre fühlen, als „neue Erkenntnisse“ präsentiert werden, sind sehr alte Fragen. Ich mache es niemandem der heutigen Grundsatzkritiker der AmS zum Vorwurf, dass sie diese zeitlichen Zusammenhänge nicht übersehen. Aber mich stört doch, dass diese Argumente mehrfach als die „neuesten“ Erkenntnisse präsentiert werden. Ich persönlich halte es schon fast für eine tragische Wiederholung alter Erfahrungen aus den frühen 70er Jahren, dass es nicht gelungen ist, diese Diskussionen mit mehr Geduld und mit weniger Zeitdruck zu führen. Ich bin mir absolut sicher, dass wir in diesem gemeinsamen Diskussionsprozess und im gemeinsamen vertieften Studium der Erfahrungen unserer Bewegung und der revolutionstheoretischen Arbeiten von Marx, Engels, Lenin und der Komintern den uns alle überraschenden kollektiven Austritt einer größeren Gruppe junger Genossinnen und Genossen aus SDAJ und DKP hätten vermeiden können.
Die revolutionäre Ungeduld, die ich und auch das ganze Sekretariat diesen Genossinnen und Genossen durchaus zugestehen, hätte fruchtbar gemacht werden müssen und können. Im Prinzip geht es um die Auseinandersetzung mit der bereits von der Komintern entwickelten revolutionären Strategie und Taktik, die sich auf die Leninsche Monopol- und Imperialismusanalyse, auf die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus, auf die marxistisch-leninistische Faschismusanalyse, auf den III., IV. und VII. Kominternkongress und auf die Orientierungen von Marx und Engels und dem Kommunistischen Manifest bezieht. Es geht um die Suche nach den jeweils angemessenen, den nationalen Bedingungen angepassten, nach den besten und geeignetsten Übergängen und Wegen zum Sozialismus.
Wir hatten bereits auf dem 21. Parteitag im Zusammenhang mit dem Antrag der jetzt aus der Partei ausgetretenen Genossen der Gruppe Jena als Antragskommission dazu eine grundsätzliche, aber kurze Darlegung der Entwicklung dieser Geschichte erarbeitet und im Antragsheft publiziert. Sie wurde vor einigen Wochen noch mal auf news.dkp eingestellt. Ich empfehle dies zur neuerlichen Lektüre.
In den vergangenen Monaten – bereits vor Erscheinen des Leitantrags – haben wir von Seiten der Parteiführung und von der Bildungskommission in verschiedenen Materialien und Artikeln dazu argumentiert. Wir entziehen uns nicht dieser Debatte. Wir führen sie offen. Wir können aber auch nicht so tun, wie es mir im Antragsentwurf von Hamburg-Süd erscheint, als begännen wir erst mit den „grundsätzlichen“ Überlegungen für die Strategie des Bruchs mit dem kapitalistischen System. So als stünden wir an einem geschichtlichen Nullpunkt.
Wir verfügen über vielfältige eigene Erfahrungen mit den unterschiedlichen strategischen Konzeptionen in unserem Lande. Wir haben Erfahrungen von Revolution und Konterrevolution 1918/19 und im Herbst 1989. Wir hatten die Debatte über die „Offensivstrategie“ in der KPD 1920/1921 mit dem bewaffneten Ruhrkampf im März 1920. Wir hatten den Aufstandsversuch 1923, mit Arbeiter-und-Bauern-Regierungen in Sachsen und Thüringen. Wir hatten die Niederlage im Herbst 1923 und das Parteiverbot 1923/24. Wir hatten Sektierertum, rechte und zentristische Abweichungen in Fragen der Strategie und Taktik in den 20er und frühen 30er Jahren. Wir haben 1933 teuer dafür gebüßt. Wir haben aus dramatischen Fehlern 1935 bis 1945 gelernt und dabei auch wieder teuer bezahlt. Wir haben die Schlussfolgerungen für den angemessenen revolutionären Weg sowohl im Osten- wie im Westen des geteilten Deutschland nach 1945 gezogen.
Wir deutschen Kommunistinnen und Kommunisten sind weder Schriftgelehrte noch Bewohner von Elfenbeintürmen, sondern wir lernen aus Erfahrungen. Und das nicht erst seit heute. Eigentlich schon seit unserem „Klassiker“, dem Manifest der Kommunistischen Partei, in dem Marx und Engels von den verschiedenen „Schritten“ in der Arbeiterrevolution sprachen und bereits die Dialektik von demokratischem und sozialistischem Kampf in ihrer Einheit dargelegt hatten.
Und wir beginnen die Debatte über die Strategie des Herankommens und der Suche nach den besten Möglichkeiten um den revolutionären Bruch nicht nur zu propagieren, sondern auch konkret zu machen, nicht erst mit diesem Leitantrag. Max Reimann hat uns im März 1968 in einem Interview mit Robert Steigerwald als bleibende strategische Lehre an ein altes Engels-Zitat gegen eine Gruppe sektiererischer, anarchistischer Teile der Flüchtlinge der Pariser Kommune erinnert. Um die Notwendigkeit, aber auch die Fähigkeit der deutschen Kommunisten zu charakterisieren, die selbst durch alle möglichen Zickzack-Linien und Rückzüge ihr Ziel nicht aus dem Auge verlieren, zitierte Engels zunächst die ungeduldigen Kommuneflüchtlinge:
„Wir sind Kommunisten, weil wir bei unserm Ziel ankommen wollen, ohne uns an Zwischenstationen aufzuhalten, an Kompromissen, die nur den Sieg vertagen und die Sklaverei verlängern.“
Engels‘ Antwort war einfach und genial: „Die deutschen Kommunisten sind Kommunisten, weil sie durch alle Zwischenstationen und Kompromisse, die nicht von ihnen, sondern von der geschichtlichen Entwicklung geschaffen werden, das Endziel klar hindurchsehn: die Abschaffung der Klassen, die Errichtung einer Gesellschaft, worin kein Privateigentum an der Erde und an den Produktionsmitteln mehr existiert. Die Dreiunddreißig sind Kommunisten, weil sie sich einbilden, sobald sie nur den guten Willen haben, die Zwischenstationen und Kompromisse zu überspringen, sei die Sache abgemacht, und wenn es, wie ja feststeht, dieser Tage ‚losgeht‘ und sie nur ans Ruder kommen, so sei übermorgen ‚der Kommunismus eingeführt‘. Wenn das nicht sofort möglich, sind sie also auch keine Kommunisten. Kindliche Naivität, die Ungeduld als einen theoretisch überzeugenden Grund anzuführen!“ (Friedrich Engels: Flüchtlingsliteratur, MEW 18, S. 534. Geschrieben Mai 1874 bis April 1875)
Aus gegebenem Anlasse erinnere ich an Max Reimann und Friedrich Engels. Wir beschreiten mit der antimonopolistischen Strategie weder einen Irrweg, noch machen wir einen unnötigen Umweg, wenn wir nach dem Hauptgegner, nach den Hauptkräften der herrschenden Kapitalistenklasse fragen, gegen die man den Hauptschlag führen muss.
Es ist eben nicht der Besitzer der Pommesbude oder der kleinere Bourgeois mit seinem Klein- oder Mittelbetrieb um die Ecke mit seinen 50 oder auch 300 Beschäftigen, der die Machtinstrumente des staatsmonopolistischen Kapitalismus bedient und kommandiert. Es ist nun mal doch das Groß- und Monopolkapital, das in erster Linie über das Schicksal von tausenden, zigtausenden und Millionen Arbeitern und Angestellten bestimmt. Ich habe dazu auf unserer theoretischen Konferenz in Hannover ja bewusst versucht aktuelle Daten zur Struktur der Großkonzerne und der Beschäftigungsstruktur zusammenzutragen um diese rein objektive Größe darzustellen. Das ist doch kein Ausweichen vor der Realität und keine Ausflucht vor dem wahren Kampf gegen die Kapitalisten, sondern die Präzisierung der Kampfetappe.
Wir reden nicht allgemein über „den“ Kapitalismus, sondern wir sagen, wem wir als erstes an den Kragen gehen müssen, wen wir als erstes entmachten und in die Knie zwingen wollen und in die politische Wüste schicken müssen.
Ersetzt diese antimonopolistische Orientierung, dieser Hauptstoß gegen das Monopolkapital etwa, wie gefragt wird, die Orientierung auf die alles überragende Lösung des Grundwiderspruchs zwischen Lohnarbeit und Kapital?
Nein, absolut nicht. Wir nennen ihn nur konkreter mit Namen und Hausnummern. Darunter sind alte bekannte Namen wie VW, Siemens, Thyssen, Bosch, Mercedes und Krupp, aber auch neue wie Amazon, Lidl und ALDI.
Wozu dient der Leitantrag? Für welche konkrete Etappe ist er gedacht? Ich will auf einen weiteren zentralen Denkfehler in diesem Zusammenhang hinweisen: In der Diskussion wird immer gerne auf die Folgen der Niederlage und Konterrevolution von 1989 bis 1991 verwiesen. Natürlich „hängt alles mit allem zusammen“. Die Niederlage des realen Sozialismus hat aber mit den Problemen des sozialistischen Aufbaus, mit der Theorie der Übergänge vom bereits vollzogenen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus seit den Tagen der Oktoberrevolution und dem Sieg über den Faschismus 1945 zu tun. Es sind Fragen der wissenschaftlichen, theoretischen Debatte und politischen Strategie für das Sozialismuskonzept – nach dem Sieg der Revolution. Die Probleme und auch konzeptionellen Fehler, die dabei gemacht wurden und auch weiter werden, sind Probleme einer Etappe, die mit unseren historischen Etappenbedingungen nur noch wenig, ich will nicht sagen gar nichts, zu tun haben.
Wir haben bekanntlich die Macht noch nicht erobert und müssen noch nicht die Fragen der Weiterentwicklung und Sicherung der erfolgreichen Revolution thematisieren, sondern unsere heutigen Aufgaben lösen. Wir stecken noch in der Epoche des Übergangs zum Sozialismus.
Es ist also absolut seltsam, wenn ausgehend von 1989/1991 und den politischen Tragödien dieser nächstfolgenden Epoche so ganz ohne weiteres die Konsequenz daraus gezogen wird, dass die dabei gemachten Fehler der „Beweis“ dafür seien, dass unsere Strategie zur Eroberung der Macht, wie sie auf den internationalen Beratungen in Moskau 1957, 1960, 1969 oder auch auf den nationalen Parteitagen der Kommunistische Bewegung und Parteien in dieser Periode beraten und entwickelt wurden, dann ja auch schon zwangsläufig deformiert gewesen sein mussten. Wenn nun einige in sehr, sehr vielen Punkten uns nahestehende Bruder- oder Schwesterparteien die gemeinsame Geschichte der KPen – spätestens nach 1956 – so interpretieren, dann ist das bedauerlich, aber nicht ein zwingender logischer Beweis, dass wir diese Einschätzung übernehmen müssten.
Ich möchte ganz klar feststellen, dass die Strategieentwicklung der KPD/DKP nach 1945 und bis 1989 natürlich nicht im luftleeren Raum stattfand, sondern gewiss auch unter dem Eindruck dieser internationalen Diskussionen stand. Aber KPD und DKP brauchten keinen Nachhilfeunterricht. Was für unser Land gut und für unsere Strategie richtig ist, das wussten und wissen wir selbst.
Einige offene Fragen
Ich habe eine Reihe von Einzelfragen aus den bisherigen Diskussionsbeiträgen herausgefiltert. Darunter die mich besonders nachdenklich stimmenden Fragen nach der Konkretheit unserer Aussagen zum Charakter und Begriff der „Wende“. Der Begriff „Wende“ ist zu verstehen als das gegenwärtige „Momentum“, in dem wir die Offensive des Kapitals verlangsamen oder gar anhalten wollen.
Vielleicht müssen wir aber noch stärker betonen, dass es erst mal um noch etwas geht, was zu der Wende hinführt. Wir müssen wohl noch kleinteiliger angesichts der jetzigen Lage denken und planen. Es geht uns in dieser Phase darum, „Sand im Getriebe“ der rotierenden Herrschaftsmaschinerie zu sein bzw. zu werden. In der Verhaltenstherapie nutzt man dafür den Begriff „Baby-Schritte“ machen zum Zwecke des „Motivationsaufbaus“ – um ein „Dazwischengrätschen“ durch uns als machbar erscheinen zu lassen.
Ich denke, dass dieser Kampf um die nächsten konkreten Schritte mit dem klaren Bewusstsein und der Option erfolgen muss, dass wir nicht „historisch“ so weit zurückmarschieren müssen oder gedrängt werden, dass wir überhaupt nicht mehr an die Formierung und Sammlung von Gegenkräften denken können. In der Defensive müssen wir auch die Orientierung auf die Sammlung der Kräfte für ein künftiges Vorwärtsgehen vertreten und das muss uns auch immer bewusst sein.
Die Option der Verbindung von „Wende“ und längerfristigem „revolutionärem Bruch“ muss deutlich erkennbar sein und auch gezielt und mit den heutigen machbaren kleinen Schritten angepeilt werden.
Das muss sich aber im Teil III noch stärker erkennen lassen – also die Verbindung von „Baby-Schritten“, „Wende“ und den jetzt notwendigen Maßnahmen. Hier muss wahrscheinlich auch der Charakter und der Unterschied von Minimal- und Sofortforderungen stärker betont werden.
Ich denke, dass das eine sehr produktive Debatte werden kann, die uns nicht auseinander, sondern zueinanderführen wird.
(Auszug aus dem Referat an die 11. PV-Tagung der DKP, 25./26. November 2017, Essen)