Als „skurril“ und „zäh“ beschrieben Teilnehmer der ersten großen Sondierungsrunde die Gespräche, die in der Nacht zum Sonnabend in der vorigen Woche in Berlin stattfanden. Es hatte mehr als drei Wochen gedauert, ehe es nach den Bundestagswahlen überhaupt zu ersten Sondierungsgesprächen kam. Zunächst mussten sich die Unionsparteien untereinander über Streitpunkte verständigen (siehe UZ vom 13.10.). Nun steht wohl auch der Zeitplan für die weiteren Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition im Bund. Noch in dieser Woche wollten die Vertreterinnen und Vertreter der Unionsparteien, der FDP und der Grünen ihre Gespräche fortführen: am Dienstagabend nach der konstituierenden Sitzung des Bundestages und am Donnerstag.
In diesen ersten Fachrunden sollte über Finanzen, Haushalt, Steuern und Europa bzw. laut um Klima, Energie und Umwelt sowie über Flucht, Asyl, Migration, Integration debattiert werden. Am 30. Oktober will man dann vormittags in kleiner Runde über „Arbeit, Rente, Gesundheit, Pflege, Soziales“ sowie über „Familie, Frauen, Senioren, Jugend“ beraten und am Nachmittag soll eine Zwischenbilanz gezogen werden. Bis zum 17. oder 18. November könnte es ein Sondierungspapier mit ersten Ergebnissen geben. Die Grünen werden danach wohl einen Parteitag durchführen und dann wohl beschließen, ob die Partei sich an Koalitionsverhandlungen beteiligt. Der Termin dafür ist noch nicht bekannt. Mitte Dezember soll auf einem Parteitag der CDU bereits über den Koalitionsvertrag abgestimmt werden. Parallel wird am 15. und 16. Dezember die CSU zudem eine neue Parteiführung wählen.
Doch die Differenzen zwischen den möglichen Koalitionspartnern, aber teilweise auch zwischen FDP und Grünen, sind derzeit nach wie vor groß: in der Finanz- und Steuerpolitik, in der Energie- und Klimapolitik, in der Asylpolitik, in Fragen der „inneren Sicherheit“ usw. Es ist also, wenn die Verhandlungen nicht vorher platzen, ungewiss, ob der Zeitplan für „Jamaika“ eingehalten werden kann.
So fürchten Vertreter der Unionsparteien zum Beispiel, dass sich eine Jamaika-Koalition als Gefahr für den ausgeglichenen Bundeshaushalt, also die „Schwarze Null“, erweisen könne und machen entsprechend Stimmung. Cem Özdemir (Grüne) hatte am Wochenende noch einmal gefordert, Investitionen des Bundes vor allem in Klimaschutz, schnelles Internet, Kitas, Schulen und Europa den Vorrang zu geben, den Wohnungsbau und die Pflege zu stärken, „Allein die bereits bezifferbaren Forderungen betragen in Summe weit über 100 Milliarden Euro“, heißt es dagegen in einem Papier aus der CDU, über das die Zeitung „Die Welt“ am Montag berichtete. Der „vorhandene Spielraum im Bundeshaushalt der 19. Wahlperiode“ betrage aber insgesamt nur „etwa 30 Milliarden Euro über vier Jahre“. „Es wäre ein falsches Signal, den Weg der Solidität zu verlassen. Neue Schulden belasten den Gestaltungsspielraum künftiger Generationen!“ CSU-Vize Christian Schmidt bestand am Montag in der „Passauer Neuen Presse“ auf die „Schwarze Null“. Die FDP warnt andererseits vor „staatlicher Investitionslenkung“ – vor allem in der Klima- und Energiepolitik – und fordert in diesen Bereichen, ganz im Interesse der großen Energiekonzerne und ohne Rücksicht auf den Klimaschutz – „freien Wettbewerb“. Die Grünen verlangen dagegen die eigenen Klimaschutzziele auch einzuhalten.
Zudem dürften auch die steuerpolitischen Vorschläge der Grünen bei den Verhandlungspartnern auf wenige Gegenliebe stoßen. Auch, weil die Grünen verlangen, dass eine Steuerreform Besserverdiener nicht bevorzugen dürfe, sondern für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen müsse. Allerdings war in der vorigen Woche offenbar von einer Vermögenssteuer, die sie noch im Wahlkampf gefordert hatten, nicht mehr die Rede.
Ob die Grünen wenigstens in der Asyl- und Einwanderungspolitik konsequent bleiben? Mit der FDP sind sich die Grünen darüber einig, dass man ein Einwanderungsgesetz wolle. Und dabei wohl auch in einigen Fragen mit den Unionsparteien. Ansonsten aber lehnen die Unionsparteien Kompromisse in der Flüchtlingspolitik ab. Die CDU- und CSU-Vertreter bestehen auf der untereinander am 8. Oktober ausgehandelten „Limitierung“ des Zuzugs, also einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen, auf die Begrenzung des Familiennachzugs und die Anerkennung der nordafrikanischen Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer. Und nicht nur CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stellt in diesem Zusammenhang für eine Jamaika-Koalition die Bedingung die Migrationspolitik weiter zu verschärfen. Wollen die Grünen in die Koalition, dann müssen sie auch hier in wesentlichen Fragen einknicken.
Streit mit den Unionsparteien wird es zudem in Fragen der „inneren Sicherheit“ geben. Hier sind sich Grüne und FDP in wichtigen Fragen offenbar einig. Sowohl was die Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung, die Ausweitung der Überwachung öffentlicher Orte betrifft als auch den Schutz von Bürgerrechten. – Ebenso einig ist man sich bei der Abschaffung des sogenannten Kooperationsverbots, das es dem Bund verbietet, in das Schulsystem der Länder zu investieren.
Offiziell ist natürlich nicht die Rede davon, welche Partei welches Ministeramt beansprucht, denn es geht ja jetzt nur um „die politischen Inhalte“. Aber genauso natürlich ist das „Namedropping“ alter und neuer Figuren, die gehandelt werden im Berliner Basar.
Übrigens: Der Grünenpolitiker Robert Habeck erklärte am 22. Oktober in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ sehr unbestimmt: „Wir stellen uns der Verantwortung, aber wir werden sie nicht um jeden Preis annehmen.“