Die Entscheidung des Nobelpreiskomitees in Sachen Frieden lässt reichlich Platz für Spott, aber leider mehr noch für Zynismus. Nach einem Friedensnobelpreis für Kissinger mit seinen Napalm- und Agent-Orange-Einsätzen in Vietnam mit Millionen Toten, für Menachem Begin, den Verantwortlichen für den Libanonkrieg 1982 und die Massaker in Palästinenserlagern, für Obama, der der Ehrung ein tausendfaches Drohnenmorden folgen ließ, ist der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos gewiss keine schlechte Wahl.
Auf der Liste aus seiner Zeit als Verteidigungsminister unter Ex-Präsident Uribe steht vor allem die Anreizregelung an seine Soldaten, wonach jeder getötete Guerillero Sonderurlaub und Geldprämien bedeutete. Das führte zu mehr als 1 200 Morden an irgendwelchen armen Landbewohnern vor allem aus der Gegend um Soacha; Menschen, die man in FARC-Uniformen gesteckt und erschossen hatte. Neben der auf diese Weise durch Santos’ Verfügung quasi nebenbei eingeführten, in Kolumbien illegalen Todesstrafe, diese also noch dazu an Unbeteiligten auszuführen – das zeugt von einem extremen Maß an Menschenverachtung. Dass außerdem ausgerechnet der UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi sich für Santos freute, hat angesichts von fünf Millionen Binnenvertriebenen eine besondere Note. Und dass Santos zwei Tage vor der Preisvergabe erklärt hatte, dass der Waffenstillstand zum 31. Oktober beendet sein werde, hat das Osloer Komitee seltsamerweise nicht berührt.
Dennoch: Man muss anerkennen, dass Santos diesen Krieg gegen einen Teil seines eigenen Volkes jetzt beenden wollte, für dessen Menschenrechtsverletzungen vor allem die Oberschicht mit ihrem Militär, ihren Paramilitärs, ihren Präsidenten und manchen ihrer Minister verantwortlich war. Trotz des Drucks von rechts; nicht weniger als dreißig Unternehmungen haben die Kampagne des „Nein“ finanziell unterstützt.
Wollte man die Beendigung des Tötens also dennoch würdigen, dann wäre ein Friedensnobelpreis an beide Seiten sicher zu begrüßen gewesen. Nur, nicht beide Seiten haben ihn bekommen, sondern nur die eine. Das Mindeste wäre gewesen, auch die FARC mit dem Nobelpreis zu würdigen, denn sie waren es, die immer wieder mit einseitigen Waffenstillständen Vorleistungen erbracht haben. Sie haben trotz der ungeheuren Provokation des Mordbefehls an ihrem höchsten Befehlshaber Alfonso Cano, der 2011 laut Zeugenaussagen lebend gefangen und auf persönlichen Befehl von Santos noch am Ort erschossen wurde, die schon laufenden Friedensvorverhandlungen nicht beendet.
Und überhaupt: Es geht nicht um einen Krieg zwischen Nationen. Zwei Klassen stehen sich in Kolumbien gegenüber, von denen sich die eine, neben ihrem eigenen – der anderen abgepressten – Geld, der milliardenschweren Hilfe der größten Militärmacht der Welt bedienen kann. Wäre auch diese Erkenntnis noch nicht genug: Der Krieg hat nicht mit der Entstehung der FARC 1964 begonnen, sondern die historische Wahrheit ist, dass es sich hier um einen Konflikt handelt, der 1948 mit der Tötung von Jorge Eliécer Gaitán begann und in den folgenden eineinhalb Jahrzehnten 200 000 Tote forderte, bevor die FARC-Gründung dem Bauernschlachten wenigstens in ein paar Landkreisen ein Ende setzen wollte.
Angesichts der Lebensleistung einiger seiner Preisvorgänger könnte sich Juan Manuel Santos nun ermutigt sehen, ab November nicht dem Töten, sondern den FARC ein Ende zu setzen. Er würde scheitern, aber es gäbe Tausende Tote mehr.