„Die Linke“ beschloss auf ihrem Parteitag in Erfurt ein „Weiter-so“ und wählte einen Parteivorstand, der wesentliche innerparteiliche Strömungen nicht mehr berücksichtigt. UZ sprach mit dem Gewerkschafter Ralf Krämer, einem der Bundessprecher der parteiinternen Strömung „Sozialistische Linke“ und bis 2021 Mitglied des Parteivorstandes von „Die Linke“.
UZ: Wenn Sie die Spanne der letzten 15 Jahre resümieren, was ist aus Ihrer Sicht die Hauptentwicklungsrichtung der Partei „Die Linke“?
Ralf Krämer: Sie hatte zunächst einen großen Aufschwung genommen als Partei, die sich auf die sozialen Interessen der Lohnabhängigen und der wirtschaftlich Benachteiligten konzentriert hat. Der Höhepunkt war dann sicherlich das Bundestags-Wahlergebnis 2009 mit 11,9 Prozent. Wir haben auch ein, aus meiner Sicht, sehr gutes Grundsatzprogramm der Partei 2011 beschlossen, das Erfurter Programm.
In den folgenden Jahren traten zunehmend Probleme und Krisenerscheinungen auf, weil andere Themen zunehmend in den Vordergrund getreten sind, andere Konflikte in der Gesellschaft wichtiger wurden. In der Partei selbst wurden dann eben unterschiedliche Positionen und Umgehensweisen damit immer wichtiger und diese Konflikte führten dazu, dass die bisherige Linie der Partei für viele nicht mehr erkennbar war und ist. Und das führte wiederum zu einem Rückgang der Zustimmung, insbesondere von abhängig Beschäftigten, für „Die Linke“.
UZ: Sind im letzten Jahrzehnt gewerkschaftliche Positionen in der Partei stärker oder schwächer geworden?
Ralf Krämer: Die Rolle von aktiven Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern war in der ersten Phase der „Linken“ sehr stark. Das kam durch die WASG als eine der beiden Quellparteien der „Linken“. Im vergangenen Jahrzehnt ist dann dieser Einfluss aus meiner Sicht sukzessive schwächer geworden. Das hat auch damit zu tun, dass dieser Schub an aktiven Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern nachgelassen hat, der am Anfang da war. Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich wieder stärker auf ihre gewerkschaftliche Arbeit fokussiert, zunehmend ließ auch die Motivation und der Antrieb nach, sich als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in der „Linken“ zu engagieren. Es gibt aber weiter viele aktive Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und Funktionäre, die in der Partei aktiv sind. Es ist aber so, dass in der Breite der Gewerkschaften die Orientierung auf „Die Linke“ schwächer geworden ist und gewerkschaftliche und soziale Themen in der Partei eine geringere Rolle spielen als zu Beginn.
UZ: Welche Impulse erwarten – oder erhoffen – Sie sich von der Partei für betriebliche und gewerkschaftliche Kämpfe?
Ralf Krämer: Jetzt wäre natürlich vor allem wichtig, dass die Partei eine klare Antwort gibt auf die zunehmenden sozialen Probleme, die jetzt auf uns zukommen durch die Inflation, durch die Fortsetzung des Wirtschaftskrieges. Sie müsste sich klar positionieren für die Interessen der abhängig Beschäftigten und derjenigen, die jetzt am meisten unter der Inflation und unter den Folgen der Wirtschaftskriegsauseinandersetzungen leiden. Ich fände es wichtig, dass sich die Partei klarer als bisher gegen diese Wirtschaftskriegsaktivitäten, insbesondere gegen Energiesanktionen ausspricht, weil die für die Bevölkerung und die Wirtschaft in Deutschland extrem negative Auswirkungen haben und an der Fortsetzung des Krieges gar nichts ändern. Ich denke, es ist auch wichtig, dass „Die Linke“ die Gewerkschaften unterstützt in den Kämpfen für notwendige Lohnerhöhungen, um die Inflation auszugleichen. Von ihren Positionen her wird sie das tun. Die Frage ist, wie weit wirklich Aktivitäten der Partei in diesem Sinne erfolgen.
UZ: War der Erfurter Parteitag für Sie eine Zäsur oder eher eine Trendfortsetzung?
Ralf Krämer: In gewisser Hinsicht beides. Es war ein Parteitag, der die aus meiner Sicht problematischen Entwicklungen fortgesetzt hat. Dieses Weiter-so ist ein Problem, wenn wir sehen, wie sich die Partei und ihre Wahlergebnisse entwickelt haben. Die Partei befindet sich offensichtlich in einer massiven, geradezu existenzbedrohenden Krise. Ich sehe nicht, dass dieser Erfurter Parteitag da eine Lösung gebracht hat. Er kann eher dazu führen, dass bestimmte Probleme und Spaltungstendenzen sich verstärken. Insoweit war er auch ein Stück weit eine Zäsur, weil zum Beispiel das Spektrum, für das ich in der Partei auch besonders aktiv bin, die traditionell gewerkschaftlich orientierten Teile der Sozialistischen Linken und was wir die „populäre Linke“ nennen, was auch die Unterstützerinnen und Unterstützer von Sahra Wagenknecht mit einschließt, im Parteivorstand jetzt gar nicht mehr vertreten ist. Auch die von uns unterstützten Anträge etwa zu einer klareren Friedensposition oder einer klarer auf soziale Gestaltung fokussierten Position zum ökologischen Umbau wurden abgelehnt. Wir haben auf dem Parteitag etwa ein Fünftel der Delegierten im engeren Sinne auf unserer Seite gehabt, aber ich denke, wir sind in der Parteimitgliedschaft durchaus stärker verankert als bei den Delegierten.
UZ: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem Erfurter Parteitag?
Ralf Krämer: Es stellt sich nach diesem Parteitag noch stärker als vorher die Frage, ob für die Positionen, die wir vertreten, noch ein ernsthafter Raum in dieser Partei ist. Wir werden jetzt in den nächsten Monaten Diskussionen führen in vielen Kreisen über diese Fragen, wie wir auf die gegenwärtige Lage und die Entwicklungstendenzen der Partei reagieren, wie wir uns stärker und wirksamer organisieren können, um einerseits in der Partei stärkeren Einfluss auszuüben, aber es wird eben auch diskutiert werden, wie weit das noch Sinn macht und was man sonst machen kann. Dazu wird es sicherlich unterschiedliche Auffassungen und noch erheblichen Diskussionsbedarf geben.