Vor 100 Jahren formierte Lenin die revolutionäre Zimmerwalder Linke

Ein Vorläufer der Kommunistischen Internationale

Von Gerhard Feldbauer

Teilnehmerliste (unvollständig)

Pavel Axelrod (Russland, Menschewiki) • Angelica Balabanova (Italien)•Jan Antonowitsch Bersin (Russland, Lettland) – Zimmerwalder Linke • Julian Borchardt (Deutschland) – Zimmerwalder Linke • Albert Bourderon (Frankreich) • Lew Dawidowitsch Bronstein (Trotzki) • Ernest Graber (Schweiz) • Robert Grimm (Schweiz) • Joseph Herzfeld (Deutschland) • Zeth Höglund (Schweden) – Zimmerwalder Linke • Adolph Hoffmann (Deutschland) • Wassil Kolarow (Bulgarien)•Constantino Lazzari (Italien) • Georg Ledebour (Deutschland) • Pawel Lewinson (Russland, Polnische Sozialisten) • Ernst Meyer (Deutschland) • Julius Martow (Russland, Menschewiki) • Alphonse Merrheim (Frankreich) • Giuseppe Modigliani (Italien) • Oddino Morgari (Italien)•Charles Naine (Schweiz) • Mark Natanson (Russland, Sozialrevolutionäre) • Ture Nerman (Schweden) – Zimmerwalder Linke • Fritz Platten (Schweiz) – Zimmerwalder Linke • Christian Rakovsky (Rumänien) • Henriette Roland Holst (Niederlande) • Karl Radek (Polnische Sozialdemokratie) – Zimmerwalder Linke • Giacinto Serrati (Italien) • Grigori Jewsejewitsch Sinowjew (Russland, Bolschewiki) – Zimmerwalder Linke • Bertha Thalheimer (Deutschland) •Wiktor Michailowitsch Tschernow (Russland, Sozialrevolutionäre) • Wladimir Iljitsch Uljanow (Lenin) (Russland, Bolschewiki) – Zimmerwalder Linke • Ewald Vogtherr (Deutschland) • Adolf Warski (Russland, Polnische Sozialdemokratie)

Schon kurz nachdem bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges die übergroße Mehrheit der Führungen der sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Parteien Europas auf die chauvinistischen Positionen der Vaterlandsverteidigung ihrer Imperialisten überging und damit die II.(Sozialistische) Internationale zusammenbrach, widmete sich Lenin intensiv der Bildung einer neuen internationalen Organisation des Proletariats.

„Die proletarische Internationale ist nicht untergegangenen und wird nicht untergehen. Die Arbeitermassen werden trotz aller Hindernisse eine neue Internationale schaffen“, schrieb er bereits im Oktober 1914 in seiner Schrift „Der Krieg und die russische Sozialdemokratie“, die der Schweizer „Sozial-Demokrat“ am 1. November veröffentlichte (Lenin, Werke, Bd. 21, S. 20). Schon diese Worte zeugten von der unerschütterlichen Gewissheit des Führers der Bolschewiki, dass die Arbeiterklasse den Verrätern in ihren Reihen Einhalt gebieten werde.

Auf einer Beratung der Gruppe der Bolschewiki in Bern vom 6. bis zum 8. September 1914 erläuterte Lenin die nächste Aufgabe: „die wahre Bedeutung des Krieges aufzudecken und die von den herrschenden Klassen, den Gutsbesitzern und der Bourgeosie, zur Verteidigung des Krieges verbreiteten Lügen, Sophismen und ‚patriotischen‘ Phrasen schonungslos zu entlarven.“ Er hob hervor, „die beiden Gruppen der kriegführenden Länder stehen einander hinsichtlich Plünderungen, Grausamkeiten und endlosen Kriegsgreueln durchaus nicht nach.“ Die Umwandlung des „imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg“ bezeichnete er als „die einzige richtige proletarische Losung“.

Am 14. Oktober sprach Lenin auf einer sozialdemokratischen Veranstaltung in Lausanne über „Das Proletariat und der Krieg“. „Hat der Krieg erst einmal begonnen, so ist es undenkbar, ihm auszuweichen. Man muss auch da als Sozialist seine Sache tun“. Der Korrespondent des Pariser „Golos“, der am 25. und 27. Oktober darüber berichtete, hielt fest, dass die Veranstaltung „außerordentlich stark besucht“ war (Werke, Bd. 36, S. 282).

Entschieden setzte Lenin sich mit dem führenden Opportunisten der zweiten Internationale, Karl Kau­tsky, auseinander. Dieser suchte seinen Chauvinismus durch eine „mittlere“, „zentristische“ Linie zu tarnen, die er mit internationalistischen Phrasen verdeckte und seine Fraktion als „marxistisches Zentrum“ ausgab. Lenin entlarvte das Kautzkyanertum in seiner im Juli•August 1915 verfassten Schrift „Sozialismus und Krieg“, die der Verlag des „Sozial-Demokrat“ veröffentlichte, als eine „Verbindung von Treue zum Marxismus in Worten und der Unterwerfung unter den Opportunismus in Taten“ (Bd. 21, S. 313). Er unterstrich, die Arbeiterklasse könne ihre welthistorische revolutionäre Mission nicht erfüllen ohne rücksichtslosen Kampf gegen „diese beispiellose theoretische Verflachung des Marxismus.“

Im Sommer 1915 sah Lenin die Bedingungen für eine Konferenz der internationalistischen Sozialisten herangereift. Der Tod von Millionen Menschen, die Zerrüttung des Wirtschaftslebens, Streiks, Antikriegsdemonstrationen und Verbrüderungen an den Fronten zeugten vom beginnenden revolutionären Erwachen der Massen. Der Einladung in das Schweizer Dörfchen Zimmerwald folgten 38 Delegierte aus elf Ländern. Auf der viertägigen Beratung (5. bis 8. September) hielt Lenin Reden, unterhielt sich mit den Delegierten und suchte sie von der Notwendigkeit zu überzeugen, entschlossen gegen den imperialistischen Krieg und gegen den Sozialchauvinismus zu kämpfen. Es kam zu heftigen ideologischen Auseinandersetzungen zwischen der geschlossenen Gruppe der Internationalisten und revolutionären Marxisten unter Führung Lenins und den Kautzkyanern und den mit ihnen Sympathisierenden mit dem deutschen Sozialdemokraten Georg Lebedour an der Spitze.

Während der Beratungen bildete Lenin die berühmte „Zimmerwalder Linke“, die auf den weiteren Verlauf der revolutionären Antikriegsbewegung großen Einfluss nahm. Dank der Hartnäckigkeit Lenins und seiner Anhänger gelang es, in dem von der Konferenz angenommenen Manifest gegen den Widerstand der Mehrheit Grundthesen des revolutionären Marxismus durchzusetzen. Der Aufruf an die Arbeiter und Arbeiterinnen, sich gegen den Krieg zu erheben, endete mit den Worten: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch.“ Obwohl das Manifest an Inkonsequenz litt (es fehlte die These, dass der Imperialismus der Vorabend der sozialistischen Revolution ist), trat Lenin dafür ein, es zu unterschreiben. Der „Sozial-Demokrat“, zitierte seine Begründung in der Ausgabe 45•46 vom 11. Oktober 1915: „Es wäre schlechte militärische Taktik, wollte man es ablehnen, gemeinsam mit der wachsenden internationalen Protestbewegung gegen den Sozialchauvinismus zu marschieren, weil sich diese Bewegung langsam entwickelt, weil sie ‚nur‘ einen Schritt vorwärts macht…“ („Ein erster Schritt“, Bd. 21, S. 394).

In Zimmerwald bildeten die Linken ein Büro, dessen Leitung Lenin übertragen wurde. Es gab eine Zeitschrift „Vorbote“ heraus. Lenin wertete die Konferenz als einen ersten Schritt beim Aufbau einer internationalen Bewegung gegen den Krieg. In seiner Einschätzung „Die revolutionären Marxisten auf der Internationalen sozialistischen Konferenz“, die „Der Sozial-Demokrat“ veröffentlichte, war für Lenin der Zusammenschluss der revolutionären Sozialisten „eine der wichtigsten Tatsachen und einer der Größten Erfolge der Konferenz“ (Bd. 21, S. 396).

Der Konferenz in Zimmerwald folgt vom 24. Bis 30. April 1916 eine weitere Tagung im Schweizerischen Kienthal, die die Linie des revolutionären Kampfes gegen den Krieg vertiefte. Nach dem Sieg der Oktoberrevolution spielte die Zimmerwalder Linke eine wichtige Rolle bei der Gründung kommunistischer Parteien in ihren Ländern und bei der Bildung der Kommunistischen Internationale 1919.

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"Ein Vorläufer der Kommunistischen Internationale", UZ vom 4. September 2015



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