Louise Michel, eine mutige und standhafte Kämpferin der Pariser Kommune

Ein Vorbild für unsere Zeit

Von Gerhard Feldbauer

Louise Michel

Memoiren

Erinnerungen

einer Kommunardin

Hrsg. Jörn Essig-Gutschmidt

Unrast-Verlag, Münster 2017

Klassiker der Sozialrevolte 27

368 S. 16 Euro (D).

Unzählig sind die Frauen, die in den Reihen der Kämpfer für den Fortschritt standen. So war es auch in der ersten proletarischen Revolution der Welt, der Pariser Kommune vom 18. März bis 28. Mai 1871. Eine von ihnen war die auf anarchistischen Positionen stehende Revolutionärin Louise Michel, die in den Reihen der Nationalgarde kämpfte. In überarbeiteter Form hat der Unrast-Verlag in Münster jetzt ihre – meist während der Jahre ihrer Kerkerhaft geschriebenen – Memoiren heraus gebracht. Mutige Anwälte schmuggelten sie damals nach draußen und machten sie mit Berichten über das unerschrockene Auftreten der „roten Jungfrau“ oder auch „roten Wölfin“ vor Gericht der Öffentlichkeit zugänglich. Fußnoten und ein kommentiertes Personenregister erleichtern dem Leser, den Ereignissen zu folgen.

Die in Bescheidenheit und ohne Hervorhebung der eigenen Handlungen verfassten Aufzeichnungen vermitteln dennoch ein Bild, wie Louise in den Wochen des Kampfes von 1871, der weltrevolutionäre Bedeutung erlangte, klar für eine sozialistische Gesellschaft eintrat. Die Gerichtsprotokolle halten fest, dass sie „der Aufstandsregierung stets eine grenzenlose Ergebenheit erwiesen hat“. Ihr Mut, ihr unerschrockener Einsatz, ihre Selbstlosigkeit und Hingabe an die revolutionäre Sache der Ausgebeuteten und Unterdrückten, geben uns gerade heute mehr denn je ein Beispiel.

Viele höchst aktuelle Gedanken hat sie uns hinterlassen. Nur einige wenige aus ihrer aufrüttelnden Schrift „Auf ihr, die ihr die Ketten des Elends tragt!“: „Ist es nicht ein Verbrechen zu warten, während Millionen unter dem Mühlrad des Elends wie das Korn zermahlen, wie Trauben zerquetscht werden.“ Welche gerade heute gültige Sicht auf die Zukunft verkündet sie: „Wir machen die Hälfte der Menschheit aus. Wir kämpfen gemeinsam mit allen Unterdrückten und werden unseren Anteil an der Gleichheit, die die einzige Gerechtigkeit ist, erhalten. Der Boden gehört dem Bauern, der ihn bestellt, das Bergwerk dem, der es durchforscht, alles gehört allen: Brot, Arbeit, Wissen; und je freier die Menschheit sein wird, umso größer die Reichtümer und die Macht, die sie der Natur abringt.“

Am 29. Mai 1830 als uneheliches Kind eines Dienstmädchens geboren, studierte Louise später an einem Lehrerinnenseminar, wurde aber an den allgemeinen Schulen meist nicht eingestellt, da sie den Eid auf den Kaiser verweigerte. Zunächst Aushilfslehrerin an einem Internat, gründete sie 1865 in Montemartre eine kleine Schule, in der sie gleiche Bildung für alle zu verwirklichen suchte. Es gab keine Geschlechtertrennung, aber sexuale Aufklärung. Daneben schreibt sie, schickte sie Victor Hugo ihre Gedichte. Eines heißt „Schwarze Marseillaise“, in dem sie klar ihre Position verkündet: „Ich weiß nicht, wo der Kampf zwischen der alten und der neuen Gesellschaft stattfinden wird, das ist unwichtig, aber ich werde dabei sein.“ Später hält sie fest: „Die Revolution wird die Blütezeit der Menschheit sein, wie die Liebe die Blütezeit des Herzens ist.“

Aufruf zum „Sturm auf Versailles“

Und wie sie dabei ist: Als die reaktionäre Thiers-Regierung am 18. März 1871 der Forderung Preußens entsprechend 6 000 Soldaten auf den Montmartre schickt, um die Nationalgarde zu entwaffnen, gehört Louise Michel zu denen, die zum Widerstand aufrufen. Von ihrem strategischen Weitblick zeugt ihr Aufruf „zum Sturm auf Versailles“, denn sie ahnt, dass, wenn die Euphorie der ersten Revolutionstage nicht dazu genutzt würde, eine Revolution in ganz Frankreich zu entfachen, am Ende eine Niederlage der Pariser Kommune gegen die Versailler unvermeidbar ist.

Während der blutigen Massaker an den Kommunarden im Mai steht sie heldenmütig auf den Barrikaden. 35 000 Tote werden offiziell gezählt, 40 000 verhaftet, von denen wiederum schätzungsweise 20 000 in den folgenden Monaten standrechtlich oder nach Schnellgerichtsverfahren erschossen werden.

Louise überlebt die blutigen Barrikadenkämpfe nur durch Zufall. Während der Verteidigung der Barrikade an der Chausèe Clignancourt wird sie verwundet, für tot gehalten und in einen Graben geworfen. Es gelingt ihr, in ihre Wohnung zu kommen. Doch als sie erfährt, dass ihre Mutter an ihrer Stelle verhaftet wurde, stellt sie sich ihren Feinden, in der Gewissheit, dass das ihr Todesurteil bedeutet. Während der Schautribunale, vor die auch über 1 000 Frauen gezerrt werden, verteidigt sie die Sache der Kommune, klagt das ausbeuterische System an, fordert die Republik, Gerechtigkeit, darunter Gleichberechtigung für die Frau. Ihren Anklägern entgegnet sie: „Ich gehöre mit Leib und Seele der sozialen Revolution und erkläre, dass ich die Verantwortung für all meine Taten übernehme.“ Sie bekennt stolz, mit der Waffe gekämpft zu haben und fordert in ihrem Plädoyer für sich selbst die Todesstrafe.

Victor Hugo setzte der Verteuflung der Rebellin durch die Reaktion die Meinung des Volkes entgegen: „Sie alle sah’n durch das Medusenhaupt, den Widerschein des Engels.“ Paul Verlaine, der wie Arthur Rimbaud und Peter Kropotkin bewundernd über sie schrieb, nannte eine Ballade über sie „Louise Michel ist wunderbar“. Jean Villain zitierte in seinem „Report über die Pariser Kommunarden“ einen Journalisten, der sie als einen Menschen „von einer Einfachheit, Sanftmut, Bescheidenheit und Selbstverleugnung“ beschrieb, um dann fortzufahren: „Hinter ihrer Demut freilich verbirgt sich ein unbezwingbarer Wille – sie ist eine Löwin im Schafspelz.“

Verbannt nach Neukaledonien

Das Gericht scheint eine Märtyrerin Louise Michel mehr zu fürchten als eine lebende und verurteilt sie am 16. Dezember 1871 zu lebenslanger Verbannung nach der Inselgruppe Neukaledonien im Südpazifik (die noch heute französische Kolonie ist). Als ihr mitgeteilt wird, dass sie binnen 24 Stunden Berufung einlegen könne, entgegnete sie sofort: „Nein! Keine Berufung: aber mir wäre der Tod lieber!“ 1873 wird sie nach der Strafkolonie verbracht. Vier Monate dauert die Schiffsreise dorthin, während der die Gefangenen wie Tiger und Löwen in Käfigen gehalten werden. In der Verbannung hilft sie den einheimischen Kanaken im Widerstand gegen die Kolonialherrschaft, betreibt Tier- und Pflanzenstudien und arbeitet an einem kanakischen Wörterbuch. Hier wie in vielen Abschnitten ihres kämpferischen Lebens wird ihr tiefer Internationalismus sichtbar.

1880 wird sie begnadigt und kehrt nach Paris zurück. Nun zeigt Louise Michel eine Seite, die man heute bei nicht wenigen, die sich einst zu den Kämpfern für eine sozialistische Gesellschaft zählten, vergeblich sucht: Sie steht unerschütterlich zur revolutionären Sache, setzt den Kampf in den Reihen der Anarchisten fort und engagiert sich aktiv in der Frauenbewegung. 1882 gründet sie eine Frauen-Liga.

Vorkämpferin der proletarischen Frauenbewegung

Die allgemeinen Forderungen nach Gleichberechtigung der Frau genügen ihr jedoch nicht. Weitsichtig erkennt und fordert sie als Grundlage eine tiefgehende Veränderung der sozialen Verhältnisse. Clara Zetkin ordnet Louise Michel folgerichtig als eine weit über Frankreich hinaus ausstrahlende Gestalt in die „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“ ein, als ein „Synonym der unerschrockenen, aufopfernden Heldenhaftigkeit der Pariser Commune-Kämpferinnen.“

Nach erneuter Verurteilung wird sie 1886 begnadigt, flieht vor weiteren Verfolgungen nach Großbritannien, wo sie politisch aktiv bleibt, unter anderem als Rednerin und Autorin politisch-literarischer Bücher und Theaterstücke. Unermüdlich kämpft sie gegen das vom Kapital hervorgebrachte soziale Elend und die Bildungsmisere, gründet eine internationale Schule sowie Armenhäuser.

Von und über Louise Michel, die am 9. Januar 1905 starb, liegen zahlreiche Gedichte bzw. Bücher vor, darunter von ihr selbst „Auf ihr, die ihr die Ketten des Elends tragt“ und „Warum ich Anarchistin wurde“; von Victor Hugo „An Louise Michel“; von Paul Verlaine „Ballade zu Ehren Louise Michels“; von Arthur Rimbaud, „Was macht uns das, mein Herz?“ und „Pariser Kriegsgesang“. 2001 gab der 2014 verstorbene Verleger Bernd Kramer das Buch „Leben, Ideen, Kampf. Louise Michel und die Pariser Kommune von 1871“ heraus.

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"Ein Vorbild für unsere Zeit", UZ vom 21. April 2017



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