Zum Tod von Heinrich Fink

Ein unsagbar schmerzlicher Verlust

Am 1. Juli ist der evangelische Theologe, frühere Hochschullehrer und ehemalige Rektor der Humboldt-Universität Berlin, Heinrich Fink, im Alter von 85 Jahren in Berlin verstorben. Fink, der von 1998 bis 2001 parteiloser Abgeordneter für die PDS im Bundestag war, stand von 2003 bis 2014 als Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) vor und wurde 2014 zu ihrem Ehrenvorsitzenden bestimmt. 2013 wurde dem Theologen der Menschenrechtspreis der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) verliehen. Mit dem Preis werden Persönlichkeiten oder Institutionen geehrt, die sich um die Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte verdient gemacht haben. Das jedenfalls hat der überzeugte Antifaschist und Kriegsgegner sein Leben lang – und wie kaum ein anderer – getan.

Die Grundlage für das politische Handeln Finks, der sich an der Befreiungstheologie orientierte, bildeten gleichermaßen der Schwur von Buchenwald und die Bergpredigt. Es mag für manche Materialisten nur schwer verständlich sein, aber die Bergpredigt, in der Jesus, die, die es hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, die Sanftmütigen, die Barmherzigen und die Friedfertigen wie auch die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, selig sprach, war ein Leitfaden für das Wirken des Theologen. Das galt keineswegs nur politisch, sondern auch charakterlich. So zeichnete er sich durch eine überdurchschnittliche Umsichtigkeit, Bescheidenheit und Toleranz aus, die keineswegs mit politischer Prinzipienlosigkeit verwechselt werden sollte. Fink steht in einer Reihe mit den verstorbenen kommunistischen Größen Kurt Julius Goldstein, Emil Carlebach und Peter Gingold, mit denen er zu Lebzeiten auch freundschaftlich verbunden war.

Der 1935 in Bessarabien geborene evangelische Theologe war immer bei den Menschen zu finden, deren Grundrechte beschnitten, die bedroht, ausgegrenzt oder gesellschaftlich diskriminiert wurden. Das galt für seine früheren Studentinnen und Studenten genauso wie für gesellschaftlich marginalisierte Gruppen. Fink machte sich für die Gleichstellung und Rehabilitierung von Schwulen und Lesben ebenso stark wie für die Rechte von Migrantinnen und Migranten und Sinti und Roma. Über Jahre hinweg setzte er sich auch für die Freilassung des ehemaligen Mitglieds der „Roten Armee Fraktion“ (RAF), Christian Klar, ein, der seit 1982 in Bruchsal inhaftiert und erst 2008 nach 26 Jahren Haft entlassen wurde. Für Fink war das Engagement für die Freiheit des prominenten einstigen RAF-Mitglieds eine Selbstverständlichkeit. „Ich werde immer wieder gefragt, warum ich Christian Klar besuche. Es geht darauf zurück, dass seine Mutter Christa Klar sehr aktiv in unserer antifaschistischen Bewegung mitarbeitet, wir uns im Workcamp in Buchenwald kennengelernt haben und sie mich gebeten hat, Christian zu besuchen. Es gibt für mich dafür keine Rechtfertigung als die: In meiner Bibel steht, man soll Gefangene besuchen“, erläuterte der überzeugte Christ im Jahr 2007 in Berlin auf der Internationalen Rosa Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung „junge Welt“. Ebenso solidarisch verhielt er sich bei der staatlichen Kriminalisierung von Magdeburger Antikapitalisten Mitte der 2000er Jahre, deren Prozesse er als Beobachter regelmäßig besuchte. Seine Sympathiewerte bei den Nazigegnern, die Wert auf bürgerliche Reputation legen, ließ das zwar nicht ansteigen, davon gab sich Fink jedoch gänzlich unbeeindruckt.

Trotz der gegen ihn gerichteten Hasskampagnen bürgerlicher Medien und selbsternannter DDR-Bürgerrechtler war Fink kein verbitterter Ideologe. Vielmehr war sein Wirken geprägt von einer Warmherzigkeit und Empathie, die ihresgleichen sucht und von dem sich manche Linke eine gehörige Scheibe abschneiden könnten. Auch das nicht selten im linken Spektrum zu beobachtende Pharisäertum war seine Sache nicht. Er ließ sich davon aber auch in seinem Wirken nicht aufhalten, sondern warb entschlossen für einen politischen Dreiklang aus Antifaschismus, Antikapitalismus und dem Kampf um Frieden. Ein für Linke eigentlich naturgegebener Dreiklang, der aber zunehmend an Bedeutung verliert und durch Moral und Selbstgefälligkeit ersetzt wird.

Der Tod des überzeugten Antifaschisten und Kriegsgegners löste über Partei- und Organisationsgrenzen hinweg tiefe Betroffenheit aus. „Mit Heinrich Fink verliert meine Partei, aber auch die politische Linke im Allgemeinen, einen über Parteigrenzen hinweg geschätzten Humanisten und Antifaschisten. Über Jahre hinweg unterstützte er etwa die Proteste des antifaschistischen Bündnisses ‚Dortmund stellt sich quer!‘ gegen die örtliche Naziszene oder die Ostermärsche der Friedensbewegung“, erinnerte Sascha H. Wagner, Landesgeschäftsführer der Linkspartei in NRW.

„Wir verlieren mit Heinrich Fink einen aufrechten Gefährten und Mitstreiter für Frieden und Antifaschismus. Seine Menschlichkeit hat alle, die ihn kannten, beeindruckt. Trotz der Debatten um seine Person und zahlreichen Anfeindungen hat er nie Groll, sondern immer Größe gezeigt. Heinrich Fink blieb bis ins höchste Alter hinein engagiert und hat sich auch in Sachsen zahlreichen Naziaufmärschen entgegengestellt. Wir verlieren mit Heinrich Fink einen erfahrenen Mitstreiter, einen engagierten Friedensfreund und einen liebenswürdigen Menschen, dessen Werk und Wirken wir würdig in Erinnerung behalten werden“, betonten die Vorsitzenden der sächsischen Linkspartei, Susanne Schaper und Stefan Hartmann.

„Mit Heinrich Fink verliert die gesellschaftliche Linke einen jahrzehntelangen Kampfgefährten und aufrechten Mitstreiter, dessen antifaschistische Stimme auch im Freistaat weithin Gehör fand. Über seine politische Ausstrahlung hinaus war er im persönlichen Umgang ein sehr angenehmer, ehrlicher und offenherziger Gesprächspartner, auf dessen Rat man immer zählen konnte. Bis ins hohe Alter war er auch in Sachsen bei vielen Veranstaltungen präsent, wenn es darum ging, gegen alte und neue Nazis Gesicht zu zeigen“, erklärte der sächsische Linksfraktionschef Rico Gebhardt.

Für die DKP erinnerte Parteichef Patrik Köbele an den „großen Antifaschisten und Freund der DKP“: „Sein Verlust ist groß, auch weil er Zeitzeuge und Opfer der herrschenden Klasse der Bundesrepublik war, die ihm nicht verzeihen konnte, dass er als Theologe am Aufbau der DDR mitgearbeitet hatte. Sein rechtswidriger Rausschmiss als Rektor der Humboldt-Universität ist ein bleibendes Zeugnis davon, dass der Kapitalismus bereit war und ist Recht zu brechen, um seine Strategie der Delegitimierung der DDR und des Sozialismus umzusetzen“, konstatierte Köbele. Die DKP trauere „um unseren Freund Heiner“ und spreche den Angehörigen – allen voran seiner lieben Frau und politischen und theologischen Wegbegleiterin Ilsegret – „unser tiefes Beileid aus“.

Nicht einmal zu einem kleinen Schritt der Würdigung und des Respekts für ihren ehemaligen Rektor konnten sich hingegen die Verantwortlichen der Humboldt-Universität durchringen. Nahezu frei von jedwedem bürgerlichem Anstand verzichte die Universität auf eine faktentreue Würdigung des bei seinen damaligen Studentinnen und Studenten überdurchschnittlich beliebten Wissenschaftlers. Ganz anders hingegen der Bundessprecherkreis der VVN-BdA, der die zentralen Punkte des Lebenswegs des Theologen anlässlich seines Todes – und im krassen Gegensatz zur Leitung der Humboldt-Universität – skizzierte und zu würdigen wusste: „Heinrich Fink vereinigt in seiner persönlichen und beruflichen Biographie zentrale Zäsuren der deutschen Geschichte. Geboren 1935 in einer deutschen Siedlung in der Sowjetunion wurde seine Familie von den Nazis ‚heim ins Reich‘ geholt und zuerst im okkupierten Polen angesiedelt, das Kriegsende erlebte er in Brandenburg. Als Kind einer Bauernfamilie nutzte er die Möglichkeiten, die die DDR bot, und studierte von 1954 bis 1960 Theologie an der Humboldt-Universität (HUB). Im Blick auf die ‚Frontstadt Berlin‘ entschied er sich bewusst für die DDR. Er promovierte 1966 und habilitierte sich 1978 an der HUB mit dem ausgewiesen, antifaschistischen Thema ‚Karl Barth und die Bewegung Freies Deutschland in der Schweiz‘, was nicht bei allen professoralen Kollegen gut ankam. Er war jedoch in der Lage, in beharrlichen Gesprächen und überzeugender Offenheit seine Kritiker zu gewinnen. So wurde er 1980 zum Dekan der Theologischen Fakultät gewählt. Gleichzeitig mit seiner Ernennung zum Professor für Praktische Theologie wurde er auch Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. In beiden Funktionen hatte er vielfältige Kontakte ins Ausland, wobei er die DDR stets als seinen Staat ansah ohne Mitglied der SED oder einer anderen Blockpartei zu sein. Das politische Ende der DDR im Herbst 1989 begleitete er als Engagierter, der für eine bessere DDR stritt. Bei einem Einsatz der Volkspolizei gegen Demonstranten vor der Berliner Gethsemane-Kirche wurde er im Oktober 1989 verletzt, im Dezember 1989 leitete er den ‚Runden Tisch‘ an der Humboldt-Universität. Im April 1990 wurde er in freier Wahl mit 341 zu 79 Stimmen zum Rektor der HU gewählt. Eine solche Richtungsentscheidung widersprach den Vorstellungen der ‚Abwickler der DDR‘. Mit dem Vorwurf, inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit gewesen zu sein, wurde Fink 1991 fristlos entlassen. Obwohl weder die Gauck-Behörde, noch die im Prozess angerufenen Instanzen gerichtsfeste Beweise vorlegen konnten, kämpfte Heinrich Fink sieben Jahre lang vergebens gegen diese Verleumdungen. Noch 2013 wurde sie im bayerischen Verfassungsschutzbericht wiederholt, wogegen Hinrich Fink ebenfalls klagte“, so Finks VVN-Mitstreiterinnen und Mitstreiter.

„Von Finks Vision, die Humboldt-Universität als ‚sozialistische Volksuniversität‘ 1990 neu zu erfinden, ist nach seiner Entlassung nichts geblieben“, wusste hingegen Prof. Dr. Gabriele Metzler, Vorsitzende der Historischen Kommission beim Präsidium der Humboldt-Universität, auf der Internetseite der Universität nahezu triumphierend zu berichten. Das letzte Wort darüber ist jedoch beileibe noch nicht gesprochen!

„Unsern Heiner nimmt uns keiner“, riefen Finks Studentinnen und Studenten als die Humboldt-Universität von ihm und zugleich jedwedem sozialistischem Gedanken gesäubert wurde. Diese Erinnerung kann auch die heutige Universitätsleitung nicht tilgen. Und genauso wird es auch bleiben!

Noch ist nicht annähernd zu begreifen, welchen Verlust der Tod Heiners für die politische Linke aller Couleur tatsächlich bedeuten wird. Er hinterlässt eine riesige Lücke, die nicht zu schließen ist. Die politische Linke hat am 1. Juli 2020 einen ihrer renommiertesten Vertreter verloren – und der Autor dieser Zeilen einen langjährigen Weggefährten, Mentor und lieben Freund. Wir werden ihn niemals vergessen.

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