Während Israel bombt, wird in Deutschland Solidarität mit Palästina kriminalisiert

„Ein unbedingter ­Verfolgungswille“

Wieland Hoban ist Vorsitzender der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Er ist Komponist und geisteswissenschaftlicher Übersetzer und lebt in Frankfurt. UZ sprach mit ihm über die Situation im Nahen Osten und die Repressionen in der BRD.

UZ: Wie kam es zur Gründung der Jüdischen Stimme, was war der Auslöser?

Wieland Hoban: Wir haben uns vor 20 Jahren gegründet, mitten in der Zeit der zweiten Intifada. Es gab Anregungen im In- und Ausland, dass jüdische und deutsche Aktivistinnen und Aktivisten, die ohnehin schon einzeln aktiv waren, sich zusammenschließen sollten, um eine ausschließlich jüdische Gruppe zu bilden als deutsche Sektion des Dachverbandes der European Jews for a just Peace. 2007 wurden wir zu einem eingetragenen Verein.

Die Kernbotschaft war, zu verdeutlichen, dass auch nicht alle jüdischen Menschen politisch hinter Israel stehen und diesen Staat als Repräsentanten empfinden. Gerade in einer Zeit wie dem „Krieg gegen den Terror“, der die Sicht auf die palästinensische Sache nochmal beeinflusst hat. Die Palästinenser wurden noch stärker mit dem Prinzip des islamischen Terrorismus verbunden. Das heißt, da wurde viel in einen Topf geworfen und nicht zwischen der Fatah oder Al-Khaida unterschieden.

UZ: Kommen wir zur aktuellen Situation. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?

Wieland Hoban: Es gibt einen Plan der israelischen Regierung, um die Bevölkerung von Gaza nach Ägypten zu vertreiben. Da sind Andeutungen, dass Präsident al-Sisi eventuell bestochen werden kann, um das mitzumachen. Er hat sicher kein großes Interesse daran, zwei Millionen Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, aber je nachdem wie die politische Situation zwischen Ägypten, Israel und den USA aussieht, ist es bisher nicht eindeutig, was passieren wird. In Gaza sehen wir in den letzten Wochen totale Zerstörung, darunter die Infrastruktur und Krankenhäuser, Kirchen, Moscheen, Schulen. Es soll Evakuierungsbefehle Richtung Süden gegeben haben, die aber keine Sicherheit gebracht haben, weil es keine gab. Zurzeit ist die Bevölkerung, die noch dort und am Leben ist, jetzt in der südlichen Hälfte des Gaza-Streifens konzentriert. Über die Hälfte der Gebäude in Gaza sind unbrauchbar und die Frage ist, ob es Interesse daran gibt, dort nochmal alles wieder aufzubauen. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass immer wieder alles kaputtgebombt und dann mit Hilfe von Staaten wie Katar wieder aufgebaut wurde.

Die Vertreibung der Menschen in Gaza kann auch als humanitäre Maßnahme verkauft werden, da sie Sicherheit brauchen und so weiter. Diverse israelische Politiker erklären ja bereits, das Beste für die Palästinenser aus Gaza wäre es, woanders in Sicherheit zu leben. Die Absichten sind nicht unklar, aber es kommt darauf an, wie sich der „Wertewesten“ positioniert und mit der Situation umgeht.

Aus Deutschland wird beschämenderweise gefordert, dass es keinen Waffenstillstand geben soll. Nun haben wir eine begrenzte Feuerpause und dann zeigt sich, ob es danach wieder so weitergeht. Es gibt keinerlei Druck aus Deutschland und kaum aus Europa. Die EU hat ebenfalls einen Blankoscheck ausgestellt und fühlt sich großzügig dabei, Hilfsgüter zu spenden.

Es ist auch fraglich, was die israelische Armee, die jetzt im Gaza-Streifen kämpft, erreicht oder auch nicht erreicht. Wenn wir an den Libanon-Krieg 2006 denken, da hatte ja die Armee einen recht bescheidenen Auftrag, nämlich einige als Geisel genommene Soldaten zurückzuholen, aber sie wurden von der Hisbollah besiegt. Die Armee hat ihre Niederlage durch massive Bombardierungen ausgeglichen und den Libanon dadurch bestraft. Es gab jetzt schon einige Berichte über Verluste der Armee und zerstörte Panzer. Wir wissen nicht, womit die israelische Armee sich zufriedengeben wird.
Ebensowenig, ob die Rettung der verbliebenen Geiseln durch die Bombardierungen sabotiert werden wird. Schon vor Wochen waren Geiseln durch Bomben gestorben. Auch in israelischen Gefängnissen sitzen hunderte Frauen und Kinder, sie sind ebenfalls als Geiseln zu betrachten. Es muss ein umfangreicher Gefangenenaustausch unter Beteiligung der Vermittler wie Katar stattfinden.

UZ: Kommen wir zur Situation in der BRD. Hätten Sie gedacht, dass es eine derart umfangreiche Repression gegen Palästina-Solidarität geben würde?

Wieland Hoban: Es ist eine Steigerung von Maßnahmen, die schon in den letzten zwei Jahren zu beobachten waren. Es fing vor zwei Jahren mit den Demonstrationsverboten an. Es wurden dann im Voraus und pauschal Demonstrationen mit bestimmter Thematik einfach verboten, weil sie angeblich grundsätzlich die öffentliche Sicherheit gefährden würden. Das war dieses Jahr massiv und in einem viel größeren Ausmaß.

UZ: Besonders massiv fand ich auch die Versammlungsverbote in Berlin im Oktober, sogar nachdem ein Schüler von einem Lehrer geschlagen wurde.

Wieland Hoban: Richtig, da wurden Eltern verhaftet. Es ging ja eigentlich immer um eine Kriminalisierung von allen, die sich hinter Palästina stellen. Ob es jetzt optische Zeichen des Widerstandes durch Flaggen oder auch Slogans sind. Es wird immer wieder debattiert, was gesagt werden darf und was strafbar ist. Was wird als Kennzeichen einer verbotenen Vereinigung behandelt? Da wird entsprechend an den Gesetzen geschraubt.

UZ: Nun gab es ja bereits die ersten Vereinsverbote. Befürchten Sie weitere?

Wieland Hoban: Ja, diese Verbotslust bietet Raum für mehr. Das Hamas-Verbot zum Beispiel ist völlig unsinnig, weil es in Deutschland keine Hamas gibt. Aber aus juristischer Sicht gibt das jetzt eben die Möglichkeit, um jede Gruppierung oder Aktivität zu verbieten, wenn sie mit irgendeiner Argumentation mit Hamas in Verbindung gebracht werden kann. Dass jahrzehntelang gebrauchte Slogans nun einfach so verboten werden, zeugt ja auch von einem unbedingten Verfolgungswillen, finde ich.

Es wird auch um den Slogan „From the river to the sea – Palestine will be free“ gestritten. Der wird seit den sechziger Jahren benutzt, damals von der PLO. Hierzulande versuchen manche, ihn als Hamas-Slogan zu verkaufen. Dementsprechend soll er jetzt auch in manchen Kontexten verboten sein, weil er als Kennzeichen einer verbotenen Vereinigung behandelt wird. Das ist ein konkretes Beispiel.

Alles läuft über das Kontaktschuldprinzip, das außergesetzlich schon besteht. Da werden Menschen von Veranstaltungen ausgeladen, weil sie schon mal einen entsprechenden Brief unterstützt haben oder mit jemandem auf dem Podium saßen, der das getan hat.

Oft geht es auch um die BDS-Kampagne. Manche denken, BDS sei illegal, was gar nicht zutrifft. Die Resolution von 2019 war eine Meinungsäußerung des Bundestages. Aber weil es wie ein Gesetz vermittelt wurde, fühlten sich viele gezwungen, jeden Vorwurf von Kontaktschuld selber zu vermeiden. Jetzt noch mehr als vorher, wenn wir uns die politische Landschaft und den rassistisch und nationalistisch aufgeladenen Diskurs anschauen. Die militante Forderung nach Solidarität mit Israel wird als Waffe gegen „die anderen“ eingesetzt, damit sind meist auch migrantische Menschen gemeint. Auf einmal werden dann auch die Rechten zu den angeblich großen Antisemitismus-Bekämpfern.

UZ: Was sind Ihre politischen Forderungen angesichts der Situation?

Wieland Hoban: Auch wenn es jetzt diese vorübergehende Feuerpause gibt, muss weiterhin ein Ende der Bombardierungen gefordert werden und auch ein schnelles Abkommen zum Gefangenenaustausch. Was wenig thematisiert wurde seit dem 7. Oktober von den Kräften, die das nicht sehen wollen, ist, dass die Blockade von Gaza, die ein normales Leben dort unmöglich macht, seit Jahren andauert. Die Blockade muss unbedingt enden, auch wenn nicht klar ist, was für ein Leben es in Gaza geben wird. Humanitäre Hilfe muss unverzüglich zugelassen werden. In Deutschland müssen die Repression und die Unterhöhlung der demokratischen Grundrechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit sofort beendet werden.

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"„Ein unbedingter ­Verfolgungswille“", UZ vom 1. Dezember 2023



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