Politische Botschaft und Tagungsort: zwei Anmaßungen

Ein Septett droht aus Hiroshima

Kolumne

Als ich 1985 zu einem Jugendkongress nach Japan eingeladen war, besuchte ich auch Hiroshima. Dieses Pflaster verlässt der Geschichtsbewusste anders, als er es betreten hat. Er hat die Schatten gesehen, zu denen Menschen in der Sekunde ihres Todes verdampften. Er hat die Fotos von Mitsuo Matsushige, die einzig erhaltenen Lichtbilder vom Tage des Bombenabwurfs, in ewiger Erinnerung. Tränen des Fotografen hätten die Bilder im Sucher fast verschwimmen lassen, doch sie gingen klar und scharf um die Welt. Und sie stellten die Frage nach der moralischen Rechtfertigung für diesen nuklearen Waffentest so kurz vor der japanischen Kapitulation. Als friedensentscheidend behauptet, war der amerikanische Feldversuch vor allem eine antisowjetische Drohkulisse im sich abzeichnenden Kalten Krieg.

Jüngst traf sich in dieser Stadt die Führungsriege der stärksten imperialistischen Industrienationen zum G7-Gipfel. Der Tagungsort war schon deshalb eine Zumutung, weil US-Präsident Joseph Biden es ablehnte, sich für die sinn- und erbarmungslose Einäscherung der Stadt zu entschuldigen, moralisch also als Persona non grata an diesem Ort des Weltgewissens agierte. In der Gastgeberstadt, wo der aktuelle Aufrüstungseifer des einst pazifistischen Japan ohnehin auf breite Ablehnung stößt, nahm man das enttäuscht zur Kenntnis. Das angereiste Septett indes beanstandete die Reuelosigkeit seines globalpolitischen Anführers nicht, sondern warnte ausgerechnet in der Kulisse des einstigen US-Verbrechens vor der Atommacht Russland, die nie eine Atombombe über Menschen ausgeklinkt hat.

Während global brisante Themen wie atomare Abrüstung, Bekämpfung von sozialem Elend oder effektiver Klimaschutz in allgemeinen PR-Blasen abgehakt wurden, ging es in puncto Bellizismus sehr konkret zur Sache. So zeigten sich die G7 entschlossen, ihre „diplomatische, finanzielle, humanitäre und militärische Hilfe für die Ukraine zu verstärken“. Als gäbe es in den USA keine Bedenken gegen die sich seit Kriegsbeginn auf über 30 Milliarden US Dollar belaufenden Transfers an das korruptionsbefallene Kiew, hat Biden der Ukraine neue Militärhilfen in Höhe von rund 375 Millionen US-Dollar zugesagt. Zugleich ebnete er den Weg zur Lieferung von F-16-Kampfjets und versprach, die Ausbildung ukrainischer Piloten zu übernehmen. Damit erfüllte sich ein Herzenswunsch von Präsident Selenski, den Frankreichs Präsident Macron eigens mit einer Luftwaffenmaschine einfliegen ließ. Weitere Gäste des Gipfels wie Indiens Regierungschef Narendra Modi oder Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, den Selenski arrogant brüskierte, waren darüber nicht informiert worden. Ohnehin hatten die G7 erklärt, dass ohne einen vollständigen und bedingungslosen Abzug der russischen Truppen jeder Friedensaufruf obsolet sei, was bedeutete, dass die Initiativen Chinas, Brasiliens, afrikanischer und arabischer Staaten sowie des Vatikans Makulatur wären.

Zur Unwilligkeit des weitaus größeren Erdenteils, den in Hiroshima noch einmal verschärften Sanktionen gegen Russland zu folgen, gesellt sich dessen Weigerung, sich der eindrucksvollen Entwicklung Chinas in den Weg zu stellen und seine Zusammenarbeit mit der Volksrepublik zu drosseln. Man ahnt die toxischen Folgen der Kampfansage, die der britische Premier Rishi Sunak als Lautsprecher amerikanischer Verlustängste ausstieß: „China ist die größte Herausforderung unserer Zeit für die globale Sicherheit und den globalen Wohlstand.“ Selbst die G7 vermeiden noch die verräterische Vokabel „Entkopplung“ und reden beschwichtigend von „Risikobeschränkung“, wenn sie westliche Investitionen in China oder chinesisches Wirtschaftsengagement im Ausland restriktiv prüfen. War die Initiative „Mayors for Peace“ noch in Sorge, der G7-Gipfel in Hiroshima könnte dem Ruf der Stadt nach gerechtem internationalen Austausch und Rüstungsminderung nicht gerecht werden, so hat sich ihre Befürchtung leider erfüllt. Das Septett verließ die Stadt, wie es sie betreten hatte.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Ein Septett droht aus Hiroshima", UZ vom 2. Juni 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit