Ein Ruck durch die EU

Lucas Zeise zur deutsch-französischen Freundschaft

Stillstand in Europa? Krise der EU und des Euro? Wer den Reden der großen Politiker und und Politikerinnen im edlen Staatenverbund lauschte, musste den Eindruck gewinnen, sie haben die Sache fast aufgegeben. EU-Präsident Donald Tusk, Komissionspräsident Jean-Claude Juncker, ja selbst die herrschende Kanzlerin Angela Merkel wirken in den letzten zwölf Monaten defätistisch. Sie schienen selbst nicht mehr daran zu glauben, dass aus dieser EU noch ein großer, vom Finanzkapital des Kontinents locker geführter Bundesstaat werden könnte. Als in den schweren Jahren der Eurokrise von 2010 bis 2012 das deutsche Regierungspersonal die faulen Griechen zum Personal- und Sozialabbau zwang, stellte es fest, dass die Knebelung ganz ohne Änderung des Regelwerks der EU geschehen musste. Deshalb gewöhnten sie sich daran, immer neue Sonderkonstruktionen wie den ESM (European Stability Mechanism) zu erfinden. Die Kanzlerin hörte man öffentlich seufzen, dass die EU-Verträge nicht veränderbar seien.

Seit der Erschaffung, Salbung und anschließenden Wahl Emmanuel Macrons zum französischen Präsidenten ist alles anders. Ein geradezu Herzogscher Ruck ist durch die europäische Politelite gegangen. Nicht alles, aber vieles, von dem die Mitglieder der Elite und die, die es noch werden wollen, geträumt haben, kann und soll Wirklichkeit werden. Ein bescheidener Anlass für diesen neuen Optimismus bot das ganz gewöhnliche halbjährlich stattfindende gemeinsame Treffen der deutschen und der französischen Regierung in Paris am Tag vor dem 14. Juli. Atmosphärisch erinnerte alles an de Gaulle & Adenauer oder Giscard & Schmidt und sogar Mitterrand & Kohl. Da wehte die Geschichte der deutsch-französischen Freundschaft durch den Elysée.

Ganz wie in den gesegneten früheren Zeiten ging es auch um Konkretes. Zunächst eine Petitesse: Die alberne Finanztransaktionssteuer wurde endlich ad acta gelegt. Dieses Überbleibsel demokratischer Forderungen zur Eindämmung der Genies am Finanzmarkt wird abgewürgt. Der neue Held Macron nahm es auf sich, daran schuld zu sein. Wer Herrn Schäuble zugehört hatte, weiß, dass auch die deutschen Banken die Sache lästig finden, weshalb das aus der Hysterie der kleinen Finanzmarktkrise 2007/08 zugestandene Vorhaben ungeboren sterben muss. Eine Dimension größer ist die Übereinkunft der beiden hohen Regierungen zur gemeinsamen Entwicklung eines Kampfjets. Das ist Solidität und Solidarität. EU-Europa wird durch gemeinsame Rüstungsanstrengungen groß und stark. Schon die Vorgängerflugzeuge haben mit ihrem hohen Verbrauch an Finanzmitteln die deutsch-französische Freundschaft vertieft und unumkehrbar gemacht. Das ist Zukunft. Wer Ursula von der Leyen sah, wie sie den ihr gegenübersitzenden jungen Präsidenten anstrahlte, erlebte, dass Militärisches ans Herz gehen kann.

Kommen wir nun zum Kern: Die beiden Regierungen stimmen überein, die EU umzugestalten. Sie sind bereit, sagen Macron und Merkel, den Defätismus abzulegen und die EU-Abkommen zu verändern. In welche Richtung? Das ist noch nicht in trockenen Tüchern. Aber die Richtung ist wenigstens klar. Frankreich erhält endlich den seit Chiracs, nein, seit Mitterrands Zeiten gewünschten EU-gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzminister. Und es erhält endlich einen eigenen Haushalt der Eurozone. Und das besonders Schöne daran ist: Es erhält beides zu deutschen Bedingungen. Denn der Realist Macron erkennt die deutsche Führung an: Der gemeinsame Finanzminister wird also ein Sparkommissar. Er wird ein Vetorecht über die von nationalen Parlamenten beschlossenen staatlichen Budgets erhalten. Das gemeinsame Budget der Eurozone wird so ausgestaltet, dass sparende Nationen Finanzmittel erhalten, jene aber, die Geld für Sozialklimbim, Infrastruktur oder gar Bildung ausgeben, bestraft werden. Kurz, die lästigen Reste nationaler Souveränität sollen vom deutsch-französischen Hegemon schön und glatt abgehobelt werden.

Die Details werden allerdings erst nach der Bundestagswahl mitgeteilt.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Ein Ruck durch die EU", UZ vom 21. Juli 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit