Gekürzt aus der aktuellen POSITION, dem Magazin der SDAJ. Einzelhefte im UZ-Shop, Abos für 10 Euro jährlich unter position@sdaj.org.
Position, das Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) sprach mit Johnnie Hunter, dem Generalsekretär, und Robin Talbot, dem Verantwortlichen für Internationale Beziehungen der kommunistischen Jugendorganisation Young Communist League (YCL), über ihre Einschätzungen zur Lage in Britannien.
Position: Obwohl die Brexit-Kampagne vor allem von rechten Kräften getragen wurde, seid auch ihr für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Warum?
Johnnie Hunter: Die EU ist eine imperialistische und antidemokratische Institution. Klar, bei der Kampagne vor der Abstimmung über den Austritt aus der EU haben vor allem die bürgerlichen Tories und die rechte UKIP-Partei die Debatte dominiert. Das ist aber nicht verwunderlich, schließlich schenkten die kapitalistischen Medien ihnen die meiste Aufmerksamkeit. Aber es ist nicht so, dass es nur diese rechte Kampagne für den Brexit gab. Innerhalb der Gewerkschaftsbewegung zum Beispiel gab es durchgehend auch linke und progressive Stimmen, die sich für einen Brexit ausgesprochen haben.
Die Abstimmung selbst war die größte demokratische Entscheidung in der Geschichte unseres Landes. Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Wähler aufgrund der xenophoben oder immigrantenfeindlichen Hetze der Rechten für den Brexit gestimmt hat. Ich vermute vielmehr, dass es der Respekt vor einem gewählten Parlament, also das Verlangen nach nationaler Selbstbestimmung ist, das viele bewog, für den Brexit zu stimmen.
Position: Wie stehen die Herrschenden in Britannien zum Austritt aus der EU? Sind sie dafür oder dagegen?
Johnnie Hunter: Wir haben beobachtet, dass sich mit der Veränderung der Umfragewerte zum Brexit die Haltung der Konservativen Partei daran angepasst hat. Das ist am Ende ein Ausdruck der Zerrissenheit der herrschenden Klasse in unserem Land. Der Riss zur Frage, wie sie zum Brexit stehen, geht durch alle Teile der herrschenden Klasse und ihrer konservativen Tory-Partei. Die Mehrheit von ihnen ist aber klar für den EU-Austritt. Diese Mehrheit kommt durch die Verflechtungen mit dem US-amerikanischen Kapital zustande, das eben auch Interesse an einem Austritt hat, um den eigenen Einfluss zu verstärken.
Position: Welche Folgen ergeben sich durch den Brexit für Jugendliche und die Arbeiterklasse?
Johnnie Hunter: Der Brexit eröffnet natürlich neue Möglichkeiten: zum Beispiel, dass eine demokratisch gewählte Regierung in Britannien progressive Politik machen könnte, die in der EU bisher nicht machbar gewesen wäre. Wie beispielsweise Investitionen in regionale Industrien oder die Verstaatlichung der Schlüsselindustrie sowie weitere Maßnahmen, die durch die EU-Regeln verboten sind.
Robin Talbot: Für die Arbeiterklasse und die Jugend ist durch den Brexit also nichts garantiert, aber unsere Möglichkeiten, Druck auf die Herrschenden auszuüben, werden konkreter. Bisher konnten die Herrschenden immer auf Brüssel und die EU zeigen und sagen, dass ihnen die Hände gebunden seien. Jetzt ist wieder für alle offensichtlich, dass die Macht in Westminster, London, liegt. Das kann innerhalb der Jugend und der Arbeiterklasse das Bewusstsein vergrößern.
Position: Der letzte Menschenrechtsreport der Vereinten Nationen weist auf die wachsende Armut in Großbritannien hin. Was macht ihr dazu?
Johnnie Hunter: Die sozialen Angriffe auf die Arbeiterklasse treffen natürlich als erstes und am heftigsten die Ärmsten. Bei uns wächst eins von vier Kindern bereits in Armut auf. Das ist ein Verbrechen, schließlich sind wir eines der reichsten Länder der Welt. Wir versuchen also, die Öffentlichkeit darüber zu informieren und die Politik des Sozialraubs zu beenden. Dazu haben wir eine landesweite Sammlung von Lebensmitteln auf die Beine gestellt, um niemanden alleine zu lassen. Denn die Herrschenden haben den steuerfinanzierten Wohlfahrtsstaat zerschlagen und die Bevölkerung mit leeren Händen stehen lassen.
Robin Talbot: Ich will noch ergänzen, dass die Regierungspolitik oder vielmehr die Politik der herrschenden Klasse eben darauf setzt, die öffentlichen Angebote und Hilfen zu kürzen und die sozialen Leistungen verschiedenen Nicht-Regierungs-Organisationen zu überlassen. Davon abgesehen, dass das trotzdem staatliche Aufgaben sind, haben viele dieser Organisationen auch diskriminierende Hürden, achten zum Beispiel darauf, welcher Religion du angehörst.
Position: Mit wem zusammen wollt ihr dagegen vorgehen? In Deutschland hört man viel von Jeremy Corbyn, dem linken Vorsitzenden der britischen Labour-Partei.
Johnnie Hunter: Er ist durch und durch überzeugter Sozialdemokrat und steht in der gleichen Tradition wie Sozialdemokraten in ganz Europa. Ich denke, Corbyn als Individuum ist überzeugt von seinem Programm, er stand dafür schon an der Spitze von antiimperialistischen Kampagnen. Und jetzt ist er der Chef der sozialdemokratischen Partei. Wir denken, es ist positiv, dass durch Corbyn Millionen, mindestens aber hunderttausende Menschen politisiert werden, vor allem Jugendliche. Das Ganze kann eine große Chance für uns sein: Denn natürlich wollen wir sie für unsere Politik begeistern, anstatt sie auf der falschen Route der Sozialdemokratie hängen zu lassen.
Robin Talbot: Hier besteht eine echte Gefahr für all jene, die sich nun durch Corbyn politisieren. Denn er ist ja Sozialdemokrat und Labour ist eine sozialdemokratische Partei. Falls oder wenn sie also an die Macht kommen und all die schönen Versprechen sich dann als nicht umsetzbar erweisen, werden viele dieser Menschen frustriert sein. Denn die Labour Party ist in ihrem tiefsten Inneren eine imperialistische und eigentlich rechte Partei.
Position: Die Vorschläge eurer Premierministerin May finden keine Mehrheit. Wie muss es eurer Meinung nach nun weitergehen?
Johnnie Hunter: Es braucht nun einen vollen Brexit. Wir fordern Neuwahlen, denn es braucht eine linke Regierung. Diese könnte einen progressiven Brexit-Deal durchsetzen, die öffentlichen Sozialleistungen garantieren und die Verstaatlichung der Schlüsselindustrie in Angriff nehmen.
Robin Talbot: Bedingung dafür ist natürlich, dass kein fauler Kompromiss mit der EU rauskommt. Denn in allen Parteien, sowohl bei den Konservativen, Labour, Liberaldemokraten als auch bei den Grünen; überall gibt es Stimmen, die einen Kompromiss mit der EU vorschlagen. Was bringt uns ein Deal, mit dem wir am Ende zwar offiziell kein EU-Mitglied mehr wären, aber immer noch Teil der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verflechtungen der EU?