Vor 450 Jahren, am 29. September 1571, wurde Caravaggio zur Zeit der Gegenreformation geboren und arbeitete in Rom. Die Kunstform dieser Zeit, mit einer spezifischen politischen Funktion, war der Barock.
Die Reformation
Mit der Entstehung des neuen Bürgertums aus Handwerkern, Händlern und Kaufleuten beginnt die moderne, kapitalistische Epoche. Der künstlerische Ausdruck dieser neuen Ära bürgerlichen Selbstbewusstseins war die Renaissance. Die Reformation, die 1517 in Deutschland ihren Anfang nahm, war ihr religiöser Ausdruck. Die neue Klasse musste ihren Anspruch auf politische Macht auf allen Ebenen legitimieren. Der Protestantismus ersetzte die stark hierarchisch geprägte feudale Kirche durch eine Kirche, die die Mittelsmänner abschaffte. Dies spiegelte das neue Denken wider, das die etablierte politische Hierarchie in Frage stellte und – zumindest theoretisch – den Zugang zu politischer Macht für alle anstrebte.
Die Reformation hatte den Katholizismus in vielen Teilen Europas zum Rückzug gezwungen. Außerhalb Britanniens gab es jedoch keine erfolgreiche bürgerliche Revolution, die die wachsende wirtschaftliche Macht des Bürgertums konsolidiert und den Feudalismus beseitigt hätte. Stattdessen bildete sich der Feudalabsolutismus heraus. Der Adel blieb die herrschende Klasse, obwohl zunehmend kapitalistische Formen das Wirtschaftsleben prägten.
Die Gegenreformation
Als Gegenreformation bezeichnet man die hauptsächlich politischen und militärischen Aktionen des Katholizismus zwischen 1555 und 1648, die darauf abzielten, die durch die Reformation in Mitteleuropa geschaffenen Verhältnisse umzukehren. Ihre führende Kraft waren die Jesuiten. Die Gegenreformation führte zum Wiederaufleben des Katholizismus, zu bedeutenden politischen Machtverschiebungen in Europa und zur Rückgewinnung von Österreich, Böhmen und Polen für den Katholizismus. Die Gegenreformation und der Barock gingen Hand in Hand. War die Renaissance schon eine blutige Zeit, so war die Gegenreformation noch blutiger.
Das Barock
Die Künste reflektieren den disparaten Charakter dieser Zeit. Die herrschende Klasse gaukelte sich eine Macht vor, die sie schon lange nicht mehr besaß. Damit einhergehend entstand eine noch nie dagewesene Klassendifferenzierung in der Kunst. Neben der Herrschaftskultur des Adels entwickelten sich bürgerlich-demokratische und großbürgerliche Kulturformen. Während sich die Interessen des mit dem Adel verbundenen Großbürgertums im Barock widerspiegeln, fanden die demokratischen Tendenzen ihren Ausdruck in realistischen Kunstwerken.
1591 kam ein junger Maler aus Norditalien nach Rom. Sein Name war Michelangelo Merisi, der nach seinem Geburtsort den Namen Caravaggio annahm. Er revolutionierte die Kunst in Europa. Caravaggios Realitätssinn, seine diesseitige Sinnlichkeit, berief sich auf den Realismus der Frührenaissance und entwickelte ihn weiter.
„Der heilige Matthäus und der Engel“
Das Gemälde von Caravaggio aus dem Jahr 1602 war ursprünglich für den Hauptaltar der Cappella Contarelli in San Luigi dei Francesi in Rom bestimmt. Es ist ein Bild, das bekanntlich in zwei Versionen existiert.
Auf dem ersten Gemälde sitzt der heilige Matthäus auf einem Scherenstuhl, bekleidet mit kurzer Handwerkerkleidung, die Arme und Beine sind nackt. Seine Beine sind gekreuzt und sein linker Fuß durchbricht fast das Gemälde an der Stelle, an der ein Priester die Hostie bei der Messe hochhält. Hinzu kommt, dass Matthäus Plattfüße hat und Schmutz unter den Zehennägeln. Er scheint Schwierigkeiten beim Schreiben zu haben, denn seine Hände sind es nicht gewohnt, den Kiel zu halten, während er auf die Seiten blickt; sogar seine Schrift erscheint zu groß. Der Engel hilft ihm, das Evangelium zu schreiben.
Der Betrachter sieht die Szene von oben. Es scheint, als habe Caravaggio Matthäus das Gesicht des Sokrates gegeben, der oft als bescheidener Mann dargestellt wird, der gesagt haben soll „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Der Klerus lehnte Caravaggios Interpretation des Heiligen als ungebildeten Bauern ab und kritisierte die intime Beziehung zwischen dem Apostel und dem Engel, der seine Hand hält. Er musste ein zweites Bild malen.
Das zweite Gemälde Caravaggios ist weniger realistisch. Matthäus trägt keine Arbeitskleidung mehr. Stattdessen ist er biblisch gekleidet und überragt den Betrachter. Der Engel schwebt über ihm, es gibt keinen Körperkontakt, und Matthäus schreibt allein.
Caravaggio arbeitete hauptsächlich für den römischen Klerus. Folglich haben die meisten seiner Werke religiöse Themen, sind jedoch zutiefst humanistisch. Dieser Maler lehnte die stark ornamentale, leere und oft triumphale Barockmalerei ab. Er malte die alltägliche Wirklichkeit, die gewöhnlichen Menschen, denen er auf den Straßen Roms begegnete, darunter die Ärmsten der Armen – Bettler, Prostituierte, Kriminelle. Selbst seine religiösen Gemälde sind immer mit der Gewalt und den Entbehrungen verbunden, die Caravaggio überall sah. Er war nicht bereit wegzuschauen. Das ist das Leben, dem wir auf Caravaggios Gemälden begegnen, dies ist seine Zeit, der er nicht entkommen konnte. Das Leben um ihn herum war voller Schmerz und Caravaggios Beharren auf Realismus unterstreicht das. Aus diesem Grund kann er nicht bedenkenlos zu den Barockmalern gezählt werden. Die Realisten der folgenden Jahrhunderte konnten sich mit Recht auf ihn berufen.
Als Caravaggio am 28. Mai 1606 im Streit einen Mann tötete, musste er aus Rom fliehen und verbrachte den Rest seines Lebens auf der Flucht, hielt sich in Neapel, Malta, Messina und Palermo auf – und hinterließ Meisterwerke, die die europäische Kunst des 17. Jahrhunderts nachhaltig beeinflussten. Er starb im Exil, kurz nach seiner Ankunft in Porto Ercole, am 18. oder 19. Juli 1610, im Alter von nur 38 Jahren, und wurde in einem namenlosen Grab beigesetzt.