UZ: In Trier gibt es Marx jetzt auch als Ampelmännchen. Für euch als marxistischen Jugendverband ist das doch das beste Geburtstagsgeschenk, das man sich vorstellen kann, oder?
Lena Kreymann: Den gibt es nicht nur als Ampelmännchen – es gibt kleine Marx-Porzellanfigürchen mit gehäkelten Hütchen und eine Werbeausstellung im Einkaufszentrum. Mein Eindruck von dem, was um die Enthüllung des Marx-Denkmals passiert ist, ist mindestens zwiespältig.
Auf der einen Seite spielt uns dieser Marx-Hype in die Hände. Auf der anderen Seite erleben wir dabei auch, wie Marx jeglicher Inhalte entleert wird. Für uns ist die marxistische Theorie ein System, mit dem wir uns die Welt erschließen wollen – und damit aber auch ein Instrument, um diese Welt zu verändern, also eine Kampfansage an den Kapitalismus.
UZ: Was war das Zwiespältige an der offiziellen Feier zur Enthüllung?
Lena Kreymann: Die Redner sind einen Schlingerkurs gefahren. Sie kommen an Marx nicht vorbei, sie haben die Enthüllung feierlich begangen – aber sie haben Marx dabei auf eine historische Figur reduziert, sie haben ihn als Kritiker der industriellen Revolution vorgestellt und dabei unterschlagen, wie relevant sein Denken für heute ist. Und natürlich haben die Ministerpräsidentin und der Oberbürgermeister betont, dass man sich ja kritisch mit Marx auseinandersetzen müsse, der Verweis auf die angeblichen Verbrechen der DDR durfte da nicht fehlen. Daran konnte man sehen, dass dieser Jahrestag und der Revolutionär Marx den Herrschenden auch heute unangenehm ist.
UZ: Wenn das der falsche Marx ist – was ist der richtige?
Lena Kreymann: Zuerst, Marx‘ Denken ist kein abstraktes Theoretisieren, sondern eine Anleitung, um die Welt begreifen – mit dem Ziel, sie zu verändern. Marx bietet uns die Einsicht in den Grundwiderspruch, der unsere Gesellschaft vorantreibt: Den Klassengegensatz. Marx lässt uns verstehen, dass unsere Gesellschaft historisch entstanden ist und deshalb historisch überwindbar ist – und, dass wir es sind, die sie überwinden müssen und können. Uns geht es darum, den historischen Materialismus heute anzuwenden. Konkret: Der Syrienkrieg lässt sich nicht ohne Lenins Imperialismustheorie verstehen, die Krise seit 2008 lässt sich nicht ohne Marx’ Krisentheorie verstehen. Und eine Bewegung, die dem etwas entgegensetzen kann, fängt damit an, dass Jugendliche in Schule und Betrieb aktiv werden.
UZ: Die SDAJ macht sich selbst ein Geburtstagsgeschenk. Mit dem Band „Eine Welt zu gewinnen“ legt ihr eine Einführung in den Marxismus vor. Was unterscheidet euren Ansatz von studentischen Marx-Lesekreisen?
Lena Kreymann: Das ist ja leider ein nachträgliches Geschenk, der Band erscheint erst im Juni. Dieses Buch geht anders an die Sache heran als die meisten Bücher über Marx. Wir haben darauf geachtet, eine ernsthafte und umfassende Auseinandersetzung mit Marx‘ Theorie zu befördern – aber auch darauf, das Ganze für Jugendliche verständlich aufzubereiten. Unsere Autoren sind Spezialisten auf ihren Gebieten und haben kenntnisreiche Texte vorgelegt. Wir haben dann Jugendliche in- und außerhalb der SDAJ gebeten, die Texte zu lesen und zu sagen, ob das für sie verständlich ist, die Texte sind mit diesen Anregungen überarbeitet worden.
Außerdem setzt sich dieses Buch ausführlich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung auseinander – aber nicht einfach als „Wirkungsgeschichte“ des Marxismus, sondern als unsere Geschichte, als Geschichte, aus der wir für unsere Kämpfe heute lernen können.
UZ: In deiner Rede auf der Demonstration in Trier hast du die täglichen Probleme von Jugendlichen in der Schule und am Arbeitsplatz aufgezählt. Was ist wichtiger für euch: Diese konkreten Probleme deutlich zu machen oder die marxistische Theorie zu verbreiten?
Lena Kreymann: Das eine geht nicht ohne das andere. Marx‘ Theorie ist ja kein Selbstzweck: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Der Zweck einer revolutionären Theorie ist, die Welt zu verändern. Aber dieses Bewusstsein, dass wir die Welt verändern können, entsteht nicht in Lesekreisen, sondern in der Praxis: Dann, wenn Jugendliche dort, wo sie lernen und arbeiten, für Verbesserungen – und wenn sie noch so klein sind – kämpfen. Diese praktischen Erfahrungen theoretisch zu unterfüttern, diesen kleinen Kämpfen eine Perspektive zu geben – das geht nur mit Marx.
UZ: Die SDAJ ist bei ihrer Gründung aus einer Massenbewegung der Arbeiterjugend hervorgegangen. Heute ist sie ein kleiner Jugendverband ohne starke Verankerung in Schulen und Betrieb. Was hat die SDAJ von heute mit der SDAJ der Gründungsjahre gemeinsam?
Lena Kreymann: Der Gegner ist der gleiche, das Ziel ist das gleiche. Wir kämpfen, um den Kapitalismus zu überwinden, für den Sozialismus. Für uns ist das entscheidende, die Arbeiterjugend zu organisieren, in den Schulen und Betrieben aktiv zu sein – die Entwicklungen der letzten 50 Jahre ändern daran nichts. Ein großer Unterschied zu damals ist, dass die Jugendlichen heute wenige Kämpfe selbst erlebt haben – selbst, dass es Hartz IV noch gar nicht so lange gibt, wissen viele nicht. Seit der Gründung vor 50 Jahren ist die SDAJ die Organisation, die an Schulen und in Betrieben die täglichen Auseinandersetzungen für die Rechte der Jugend führt und sie mit einer Perspektive über den Kapitalismus hinaus verbindet. Die SDAJ zeigt auf, dass wir in diesem System die Rechte der Jugend nicht verwirklichen werden – und, dass die Jugend ihre Rechte nur erkämpfen kann, wenn wir uns zusammenschließen.