Gab Kolumbiens Präsident den Mordbefehl gegen die UP?

Ein politischer Genozid

Nach einer Waffenstillstandsvereinbarung zwischen der kolumbianischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens 1984 gründeten die FARC in der Folge die politische Partei „Unión Patriótica“ (Patriotische Union/UP) als Versuch einer unbewaffneten politischen Opposition. Viele derer gewählten Senatoren, Abgeordneten, Bürgermeister, Ratsvertreter und Tausende ihrer Mitglieder wurden ab 1986 systematisch getötet; die FARC mussten wieder in den bewaffneten Kampf. Erst 2016 konnte ein dauerhafter Friedensschluss erreicht werden, der aber von Seiten der Rechten ständig verletzt wird. Seit ihrer freiwilligen Entwaffnung sind hunderte ehemalige Guerilleras und Guerilleros ermordet worden.

Inmitten dieses düsteren Szenarios erschüttert die Aufdeckung eines riesigen Skandals das Land. Darüber sprach die UZ mit dem ehemaligen UP-Nationalkomiteemitglied Jaime Cedano, der das spanischsprachige PodCast-Radio „Suenan Timbres“ betreibt.

UZ: Das Land der Skandale ist von einem Skandal neuer Dimension erschüttert worden. Um was geht es?

Jaime Cedano: Ein bewährter Journalist, Alberto Donadío, hat in einem weit verbreiteten Internetmedium einen Artikel veröffentlicht, in dem er darüber berichtet, wie der Mord an den Mitgliedern der Patriotischen Union begann. Der Journalist Donadío sagt, dass 1986 der damalige Präsident Kolumbiens, Virgilio Barco, einen israelischen Agenten ins Land einlud, damit dieser die Lage der Gewalt im Land studieren konnte. Empfehlung und Ratschlag des Spions, Rafi Eitan, waren, dass die Mitglieder der UP eliminiert werden sollten. Der Journalist stützt seine Enthüllung auf Zeugnisse von hoher Vertraulichkeit, deren Quellen bei den Treffen anwesend waren. Dort redete man über das Thema und neben Barco waren auch hochrangige Militärs zugegen. Die UP wurde Gegenstand einer Politik der systematischen Auslöschung, die die Dimension eines politischen Genozids erreichte.

UZ: Yair Klein war in den 80er Jahren ein weiterer israelischer Söldner in Kolumbien. Gibt es eine Verbindung zwischen beiden? Wie erklärt sich die Rolle Israels in Kolumbien, welche Ziele hatte sie?

Jaime Cedano: In der Wochenzeitung „VOZ“ (Zeitung der Kolumbianischen KP, Anm. der Redaktion) haben wir dargestellt, dass die Anwesenheit des Spions Eitan in Kolumbien zeitlich mit der von Yair Klein zusammenfällt, der von Großgrundbesitzern und Rechtspolitikern unter Vertrag genommen worden war, um verschiedene Auftragskiller in Morden und Attentaten in der Region Magdalena Medio auszubilden; das waren Gruppen wie die „Autodefensa Campesina“, die in den Paramilitärs aufgingen. Die These von „VOZ“ ist, dass es da keinen Zufall geben kann und dass der Vorgang außerdem Teil der israelischen Offensivstrategie war, ihren Handel mit Waffen und anderen Gütern in der Region zu verstärken. Israel hat recht enge Beziehungen zur kolumbianischen Rechten und es heißt, dass das Land Teil der Akteure war, die mithalfen, den der Aufstandsbekämpfung dienenden „Plan Colombia“ umzusetzen.

UZ: Sicher werden die Behörden alles abstreiten. Wie sicher sind denn die Behauptungen von Alberto Donadío?

Jaime Cedano: Bislang gibt es überhaupt keine Reaktion der aktuellen Regierung, weder von der Staatsanwaltschaft noch von irgendeiner Behörde. Es gab wohl ein paar Reaktionen seitens der Medien und von Politikern, die wichtige Ämter in der Regierungszeit von Virgilio Barco hatten, wie der damalige Verteidigungsminister Rafael Pardo oder von César Gaviria, der Innen- und Staatsminister war. In erster Linie sagen sie, dass Virgilio Barco ein aufrichtiger Mensch war, der niemals einem Projekt oder Plan zugestimmt hätte, wie er vom israelischen Spion vorgeschlagen worden war; überhaupt habe niemand diesen Agenten gekannt, und es gäbe auch keinerlei Beleg dafür, dass er von der Regierung engagiert worden sei. Auch wird vorgebracht, dass der Präsident damals bereits sehr krank gewesen sei, dass er Alzheimer hatte. Die Menschenrechtsorganisationen haben dagegen gefordert, dass das Thema gründlich von den Justizbehörden aufgearbeitet werden müsse.

Der Journalist Donadío muss nun Belege vorlegen, auch wenn einige mögliche Zeugen bereits gestorben sind und zudem Quellenschutz besteht. Aber es ist klar, dass der Genozid an der UP die Komplizenschaft und die offizielle Genugtuung und die direkte Beteiligung der höchsten Militärstellen genoss.

UZ: Donadío sagt, dass der bei einem Treffen zwischen Barco und Eitan anwesende Militär sich dagegen ausgesprochen haben soll, eine solche „Arbeit“ an einen Ausländer zu geben – so als seien die kolumbianischen Streitkräfte geeigneter dafür, einen Teil der eigenen Bevölkerung auszulöschen.

Jaime Cedano: Streitkräfte, Polizei und Geheimdienste Kolumbiens hatten um 1986 bereits eine lange Geschichte krimineller Gewalt gegen die kolumbianische Bevölkerung, besonders gegen Bauern- und Indigenenbewegungen, aber auch gegen die Proteste an Universitäten, von Arbeitern und in Unterschichtsvierteln. War es auch nicht der Beginn, so kann man das Jahr 1930 schon als dasjenige nennen, in dem das Militär für die gewaltsame Unterdrückung von Protesten benutzt wurde. Damals gab es das Bananenarbeitermassaker; einen Streik, der mit einem Saldo von Hunderten von Toten beendet wurde. In den 40er Jahren waren Polizei und Streitkräfte Teil der „Gewaltepoche“, als die Auslöschungspolitik eines Teils der Liberalen Partei, der Gaitanisten, stattfand. Die Gaitanisten hatten sich gegen die Hegemonie der Konservativen Partei und der Eliten der Liberalen Partei gestellt. Es starben 300.000 Menschen einen gewaltsamen Tod. Was heißt: Die Militärs hatten in der Tat die Erfahrung, die Auslöschung einer Partei umzusetzen.

UZ: Der Fall Barco/Eitan wird nun als völlig neu dargestellt, aber für Kolumbianer und Kolumbienkenner ist die Überraschung weniger groß. „VOZ“ hat vergangene Woche darauf hingewiesen, dass sie am 5. Februar 1987 über den Aufenthalt des „von der kolumbianischen Regierung unter Vertrag genommenen Aufstandsbekämpfungsexperten Rafi Eitan“ berichtet hatte. Wen kann man denn außer dem verstorbenen Barco für den Mordbefehl an tausenden UPlern verantwortlich machen? Wird es eine juristische Aufarbeitung geben?

Jaime Cedano: Seitens UP und Kolumbianischer KP verlangen wir, dass die Behörden der Sache grundlegend nachgehen und Verantwortliche dingfest machen. Es geht hier um Richter, Zeugen und Beweise. Der Fall der Unión Patriótica ist Teil des Komplexes, der von der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) und der Wahrheitskommission erforscht wird; das sind die Mechanismen, die aus dem letzten Friedensabkommen hervorgegangen sind. Parallel geht der Prozess am Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof weiter. Anfang Februar wird es bei diesem Gerichtshof weitere wichtige Anhörungen geben, dann auch zur UP. In diesem Jahr soll dann ein Urteil in Sachen UP-Genozid gesprochen werden. Es ist sicher, dass der kolumbianische Staat schuldig gesprochen wird, so wie es auch schon die Interamerikanische Menschenrechtskommission der OAS getan hatte.

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"Ein politischer Genozid", UZ vom 29. Januar 2021



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