Zum 120. Geburtstag von Jürgen Kuczynski

Ein Park in Pankow

Von Gudrun Langendorf

Am 17. September 1904 wurde der Wissenschaftler und Kommunist Jürgen Kuczynski in Elberfeld/Wuppertal geboren. In unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung, in der er von 1950 bis zu seinem Tod 1997 in Berlin lebte, benannte das Bezirksamt Pankow 2015 eine Grünfläche nach ihm. Gudrun Langendorf schrieb damals für die UZ über die Einweihung des Jürgen-Kuczynski-Parks. Zum 120. Geburtstag Kuczynskis dokumentieren wir diesen Beitrag, der sich mit dem fortwährenden Kampf um das Gedenken befasst.

Die wissenschaftlichen Leistungen Kuczynskis auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften, im Besonderen der Wirtschaftsgeschichte, sowie seine umfänglichen Publikationen waren und sind international hoch geachtet. Eine englische Zeitung schrieb, mit seinem Tode sei einer der letzten großen Ökonomen des 20. Jahrhunderts gegangen.

Nach der Machtübergabe an die Faschisten arbeitete er illegal in Berlin. 1936 musste er auch seiner jüdischen Abstammung wegen nach Großbritannien emigrieren. Unter den deutschsprachigen Emigranten wirkte er in Abstimmung mit der Auslandsleitung der KPD und der KP Großbritanniens für ein breites Bündnis im Kampf gegen Nazideutschland. 1944 trat Kuczynski in den Dienst der US-Streitkräfte und kehrte 1945 als US-Offizier nach Deutschland zurück. Unter anderem verhaftete er als solcher – das berichtete er mit großer Genugtuung – den Vorstandsvorsitzenden von I.G. Farben, Hermann Schmitz. In der DDR, für ihn immer das andere, vom Faschismus und der Monopolherrschaft befreite Deutschland, gehörte Kuczynski zu den bedeutendsten Wirtschaftswissenschaftlern. Der Marxsche Grundsatz „An allem ist zu zweifeln“ war seine Maxime. Immer streitbar, stieß er in Neuland vor, stellte bestehende Erkenntnisse in Frage. Niemals war er darum unumstritten.

Die Zeit war überreif für eine öffentliche Ehrung – wenigstens in seinem ehemaligen Wohnumfeld, wenn auch nicht in einem größeren Rahmen durch die Stadt Berlin. Dennoch kann man stolz sein auf das nun Erreichte. Ist es doch seit fast 25 Jahren üblich, Namen von Antifaschisten, welche sich um die DDR verdient gemacht hatten, mit bilderstürmerischem Eifer aus dem Stadtbild zu tilgen. Und ehe es zur Ehrung kam, hat es ebenfalls acht Jahre gebraucht.

Begonnen hat es 2007 mit einem von fast 1.000 Bürgern unterschriebenen Antrag an die Bezirksverordnetenversammlung von Pankow. Doch dieser wurde, wie fast zu erwarten, abgelehnt. Eine kleine Gruppe ehemaliger Studenten und Schüler Kuczynskis und Antifaschisten ließ aber, unterstützt aus vielen Richtungen, nicht locker.

Selbst als die BVV sich 2010 zu dem Beschluss für eine Ehrung durchrang, dies aber auf Betreiben der CDU mit der provokatorischen, natürlich inakzeptablen Forderung verband, mit der Benennung eines öffentlichen Raums eine Informationstafel aufzustellen und dort „die Verstrickung Kuczynskis in das SED-Regime“ deutlich zu machen, wurde nicht aufgegeben. Es folgte ein beharrlicher, langwieriger Diskussionsprozesses. In dessen Ergebnis sind nun auf der am 2. September enthüllten Tafel neben den Leistungen Kuczynskis als Wissenschaftler und Antifaschist auch seine „optimistische Haltung zum sozialistischen Experiment in der DDR“ und die unterschiedliche Wirkung seiner kritischen Äußerungen hierzu benannt. Das ist wenig zu beanstanden. Gleichzeitig wurde von der Gruppe eine breite Spendenaktion organisiert. Durch sie wurde es möglich, am im Park gelegenen Frei-Zeit-Haus eine Bronzetafel mit Porträt und Namenszug von Jürgen Kuzynski anzubringen. Harald Kretzschmar hat so Weisheit und Wesen des Geehrten in vielen seiner Facetten auf künstlerische und durchaus nicht verherrlichende Weise dauerhaft festgehalten.

Zu Umbenennung und Ehrung waren fast 200 Menschen erschienen, vorwiegend wissenschaftliche und politische Weggefährten sowie interessierte Bürger und eine kleine Gruppe junger Antifaschisten, Mitglieder der SDAJ und der DKP. Umbenennung und Einweihung der Tafel wurde von den Bezirksstadträten Jens-Holger Kirchner (Grüne) und Dr. Torsten Kühne (CDU) unter Anwesenheit des Pankower Bezirksbürgermeisters Matthias Köhne (SPD) vorgenommen. Ihre Reden hierzu waren durchaus freundlich konstruktiv – sieht man von der obligatorischen Nennung der „SED-Diktatur“ durch Dr. Kühne ab, für die er Buhrufe erntete.

Es war Kirchner zuzustimmen, als er die nunmehrige Ehrung eine zivilisatorische Leistung in der Bewertung der Vergangenheit nannte. Pankow ist zuletzt tatsächlich über (s)einen Schatten gesprungen. Entgegen der Annahme Kirchners liegt er aber noch sehr schwer auch über Berlin. Denkt man nur daran, dass sich der Bezirk Treptow-Köpenick nach wie vor weigert, auch nur dem grünen Spazierweg der verdienstvollen Antifaschistin und Schriftstellerin Ruth Werner („Sonjas Rapport“), Schwester Kuczynskis, ihren Namen zu geben. Und denkt man vor allem daran, was tagaus, tagein von den Massenmedien wie auch regierungsamtlichen Stellen an primitiven Vereinfachungen und demagogischen Entstellungen über die Auseinandersetzungen zwischen „Ost und West“ und über die Rolle der DDR verbreitet wird, so ist zur Entwarnung keinerlei Anlass. Man vertraut darauf, dass die politischen und wissenschaftlichen Akteure der Vergangenheit immer weniger in der Lage sind, sich mit ihren Erkenntnisse und dem, was sie erlebten, richtigstellend zu Wort zu melden. Und so wird den Nachgeborenen allmählich ein dem Zeitgeist willfähriges und von Oberflächlichkeiten strotzendes Geschichtsbewusstsein vermittelt. Letzteres macht eine ehrlich-kritische Auseinandersetzung mit dem Vergangenen immer schwerer.

Kuczynsky zu Ehren folgte danach eine von der Initiativgruppe organisierte und von Prof. Dr. Gretchen Binus im übervollen Saal des Frei-Zeit-Hauses moderierte kleine Veranstaltung. Als unmittelbarer wissenschaftlicher Weggefährte Kuczynskis würdigte Prof. Dr. Hermann Klenner ihn als Universalgelehrten mit großem humanistischen Anspruch und ebenso großer Arbeitsfreude. Der Schöpfer der Bronzetafel, Harald Kretzschmar, schilderte, wie gerade die eigenen Begegnungen mit Kuczynski es für ihn zur Herausforderung machten, sich dieser Persönlichkeit mit ihrer Weisheit und Ausstrahlung künstlerisch zu nähern. Aus Gotha angereist, trug Rechtsanwalt Ralph Dobrawa aus den Memoiren des Nebenklägers im Auschwitzprozess, F. K. Kaul, vor. Dessen Erinnerung schildern das klägliche Verhalten des Gerichts gegenüber Kuczynski und dessen Gutachten, das inzwischen als historisch eingeschätzt wurde, weil bis dahin (1964!) sich die Wissenschaft in der alten BRD nicht mit der Verflechtung von Interessen des faschistischen Staates und denen der Industrie beschäftigt hatte. Zwischendurch ließ Roger Reinsch Kuczynski selbst mit einer Reihe ernster wie heiterer Äußerungen und Zitate sprechen. Schließlich dankte eine Gruppe junger Antifaschisten aus Weißensee und Hohenschönhausen den Initiatoren der Ehrung für ihr langjähriges Engagement und beendete die Würdigung Kuczynskis mit den mit viel Applaus bedachten Worten:

„Lieber Urgroßvater, du hast den deutschen Faschismus erlebt, deshalb haben wir zwei Fragen an dich. (…) Wie können wir die Nazis und Rassisten aufhalten? – Und, lieber Urgroßvater: Wie können wir die Debatte über alternative Gesellschaftsformen erneut entfachen? Wir finden: Eines so fortschrittlichen Wissenschaftlers zu gedenken ist ein wichtiges Zeichen gegen den herrschenden Zeitgeist!“

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